MEINUNG

„Gewichtsabnahme von fast 23%“: Diabetes-Update (Teil 2) – zu Schwangerschaftsdiabetes, Adipositas, Leitlinien und neuen Medikamenten 

Prof. Dr. Stephan Martin

Interessenkonflikte

27. März 2023

Im Teil 2 seiner Zusammenfassung vom Diabetes-Update spricht Prof. Dr. Stephan Mart in über Schwangerschaftsdiabetes, Pumpen, Adipositas, Leitlinien und neue Medikamente.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie versprochen werde ich nun über den 2. Tag des Diabetes-Updates in Mainz berichten.(Teil 1 der Übersicht vom Diabetes-Update, finden sie als Video hier .)

Diabetes und Schwangerschaft

Begonnen hat der 2. Tag mit Dr. Katharina Laubner aus Freiburg, die die Aufgabe von Dr. Helmut Kleinwechter, Kiel, übernommen hat, der 17 Jahre lang Studien aus dem Bereich Schwangerschaft, Gestationsdiabetes und Diabetes vorgestellt hat. Frau Laubner hat das nun ganz hervorragend weitergeführt.

Zum Gestationsdiabetes: Die Häufigkeit des Gestationsdiabetes steigt weiter. Das ist unserem Lebensstil zuzuordnen. Es gibt viele Frauen, die in frühen Jahren eine Adipositas entwickeln, einer der wesentlichen Faktoren. Frau Laubner hat vorgestellt, dass bei 1.000 Geburten ungefähr bei 10 Geburten die betroffenen Frauen Typ-1- oder Typ-2-Diabetes haben, aber 78 einen Gestationsdiabetes.

Damit stellt sich die Frage, wie wir auf den Gestationsdiabetes screenen. Hierzu haben wir in Deutschland den zweizeitigen Test. Wir starten mit einem 50-g-Screening-Test. Ist dieser auffällig, kommt der OGTT mit 75 g Glucose. Grenzwerte sind 92, 180 und 153 mm/dl nüchtern, nach 1 und nach 2 Stunden. Wenn einer dieser Werte auffällig ist, gehen wir von einem Gestationsdiabetes aus.

Frau Laubner hat eine große randomisierte Studie vorgestellt, bei der die Grenzwerte etwas verändert wurden. Man hat hier 2 Grenzwerte genommen, und zwar den Nüchternblutzucker mit 99 mg/dl als Grenze und den 2-Stunden-Wert mit 162 mg/dl. Wenn man diese Kriterien anwendet, stellt man fest, dass im Gegensatz zum Ergebnis mit dem herkömmlichen Test, nach dessen Ergebnis 15% der Schwangeren in dieser Studie einen Gestationsdiabetes hatten, nur noch 6%, also weniger als die Hälfte, einen Gestationsdiabetes aufwiesen.

Wir wollen große Kinder, also Large for Gestational Age (LGA) verhindern. Hier gab es beim Vergleich der beiden Zielwerte keine Unterschiede.

Nun sollten die Fachgesellschaften nochmal überlegen, ob die bisherigen Grenzwerte richtig sind oder ob man diese etwas liberalisieren sollte.

Geändert hat sich im letzten Jahr auch, dass Metformin jetzt während der Schwangerschaft zugelassen ist. Aber: Es gibt nur 2 Präparate, die dafür zugelassen sind. Alle anderen sind nicht zugelassen. Diese beiden Präparate sind nur zugelassen bei Frauen mit Typ-2-Diabetes, also nicht für Gestations-Diabetes.

Wenn eine Frau schon vor der Schwangerschaft einen Typ-2-Diabetes hat und mit Metformin behandelt wird, dann kann man das Metformin weiterlaufen lassen. Hier muss man aber aufpassen, denn es gibt einige Hinweise, dass die Rate an Kindern, die Small for Gestational Age sind, dadurch steigt.

Wir müssen also weiterhin die Insulintherapie dann anwenden, wenn wir mit den Lebensstilmaßnahmen, wenn wir mit der Ernährungstherapie bei Gestationsdiabetes nicht weiterkommen.

Typ-1-Diabetes und Pumpensysteme

Prof. Dr. Thomas Ebert, hat sich mit dem Thema Typ-1-Diabetes und AID-Systemen (Automatische Insulin-Dosierung) beschäftigt. Bei diesen Closed-Loop-Systemen ist eine Insulinpumpe mit einem kontinuierlichen Sensor kombiniert. Nach bestimmten Algorithmen wird die Basalrate der Insulintherapie automatisch gegeben. Die Algorithmen sind leider in der Hand der Firmen, so dass man sie nicht anschauen kann.

Die AID-Systeme führen dazu, dass Personen, die schlecht eingestellt sind, deutlich bessere Blutzuckerwerte haben. Man muss aber weiterhin angeben, wieviel man isst. Das muss genau eingegeben werden. Deshalb war eine Studie von besonderem Interesse. Man hat den Betroffenen 3 Möglichkeiten zur Eingabe gegeben, und zwar gaben sie im System an, dass sie wenig, mittel oder viel Kohlenhydrate essen. Interessanterweise hat dies auch funktioniert. Es kam zu einer deutlichen Senkung des HbA1c-Werts.

Da werden wir in den nächsten Jahren sehr viele neue Daten bekommen. Wir werden sicherlich den Betroffenen viele Hilfen geben können, dass sie diesem System vertrauen können und nicht selbst irgendwelche Dinge verändern müssen.

Wichtig ist und das war noch mal eine große Warnung: SGLT-2-Inhibition bei Typ-1-Diabetes geht mit einer erhöhten Rate an Ketoazidosen einher. Also bei Patienten mit geringer Insulinproduktion gilt Vorsicht mit SGLT2-Inhibitoren. Keines der verfügbaren Präparate ist bei Typ-1-Diabetes zugelassen.

Leitlinie bei Typ-2-Diabetes

Prof. Dr. Andreas Hamann, Bad Homburg, hat über die Leitlinien berichtet, die in den letzten Jahren deutlich verändert worden sind. Es steht nicht mehr der HbA1c-Wert im Vordergrund, sondern die Diabetologie macht nunmehr Organprotektion. Die neuen Leitlinien aus den USA empfehlen bei Personen mit kardiovaskulärer Erkrankung unabhängig vom HbA1c-Wert einen Therapiebeginn mit GLP-1-Agonisten. Wenn Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz im Vordergrund steht, dann ist ein SGLT-2-Inhibitor einzusetzen.

Hierzu gab es natürlich Diskussionen. Wir sollen den HbA1c-Wert aber nicht komplett vergessen, er spielt weiterhin eine Rolle. Aber der Beginn der Therapie ist davon völlig unabhängig.

In den Leitlinien gibt es neue Hinweise zur bariatrischen Chirurgie. Nach den amerikanischen Leitlinien muss man jeden Patienten zumindest darauf hinweisen, dass dies bei maximal adipösen Patienten ein interessantes Verfahren ist.

Adipositas und Typ-2-Diabetes

Zur Adipositas hat Prof. Dr. Jens Abele, Hamburg, einer der deutschlandweit renommiertesten Adipositas Forscher, neue Studien vorgestellt.

In der-STEP-TEENS-Studie wurde Semaglutid bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Es wurde von 0,25 auf 0,51 und 1,7 bis auf 2,4 mg pro Woche hochtitriert. Es kam zu einem Gewichtsverlust von 16,1%. Das ist beachtlich, denn hiermit kommt man langsam in den Bereich, den man auch bei der bariatrischen Chirurgie erreicht. Mit diesen neuen Medikamenten kann man auch Menschen helfen, die wirklich ein Gewichtsproblem haben.

In der STEP-5-Studie wurde bei Erwachsenen ähnlich vorgegangen. Hier sind die 2-Jahres-Ergebnisse erschienen. Semaglutid führte zu einem Gewichtsverlust von 15,2%, der auch anhielt. Es kommt nicht zur Tachyphylaxie. Es wurde diskutiert, ob das ein Studieneffekt ist, ob das besondere Patienten sind.

Man muss warten, wie es in der Praxis aussieht. Aber leider werden wir das in der Praxis kaum anwenden können, weil die Kassen natürlich keine GLP-1-Agonisten bei Personen bezahlen, wenn diese „nur“ eine Adipositas haben. Bei Adipositas und Typ-2-Diabetes ist das keine Frage.

Neue Medikamente

Zum Abschluss gab es noch einen Blick in die Zukunft. Tirzepatid ist im September 2022 von der EU-Kommission zugelassen worden, es ist aber in Deutschland noch nicht im Handel verfügbar. Es ist eine Kombination aus einem GLP-1-Agonisten und einem GIP-1-Agonisten. Es kann zu einer Gewichtsabnahme von fast 23%, also genau 22,5% führen.

Weitere Medikamente sind in der Pipeline. Eines ist zum Beispiel eine Kombination aus GLP-1-Agonisten und einem Glucagon-Rezeptoragonisten, weiter gibt es sogar ein Dreierkombination aus GIP-1-, GLP-1- und Glucagonrezeptor-Aktivator.

Der Glucagonrezeptor führt zu einer Steigerung des Grundumsatzes, hat also eine unterstützende Wirkung, weil GLP-1 das Appetitzentrum stark blockiert, also Blockade des Appetitzentrums plus Aktivierung des Grundumsatzes.

Erste Studien zeigen, dass eine deutliche Gewichtsabnahme bei kurzzeitiger Therapie erreichbar ist.

Ich hoffe, das war für Sie interessant. Vielleicht habe ich Ihnen auch ein bisschen den Mund wässrig gemacht. Im nächsten Jahr treffen wir uns wieder am 15. und 16. März 2024 in Mainz. Wer Lust hat, kommt zum Diabetes-Update.

Die Diabetologie wird hier sehr aktuell dargestellt.

Alles Gute

Ihr Stephan Martin
 

Kommentar

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