Beim Diabetes-Update trafen sich Diabetologen und Kardiologen und stellten Behandlern neue Therapie-Trends vor – Prof. Dr. Stephan Martin fasst hier den 1. Teil der Veranstaltung zusammen.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich melde mich aus der Rheingoldhalle in Mainz. Hier fand am 24. und 25. Februar 2023 zum 18. Mal das Diabetes-Update statt.
Das Diabetes-Update ist eine besondere Veranstaltung, weil hier 14 Referenten aus ihren Fachbereichen, z.B. aus der Kardiologie oder aus der Angiologie, neueste Daten präsentieren, die im letzten Jahr publiziert worden sind. Alles, was im Jahr 2022 publiziert wurde, wird hier von Experten für Diabetologen und Diabetesberater aufgearbeitet dargestellt.
Ich habe die Veranstaltung zusammen mit Prof. Dr. Werner Scherbaum, Düsseldorf gegründet. Aktuell leite ich sie zusammen mit Prof. Dr. Michael Stumvoll aus Leipzig und Prof. Dr. Andreas Hamann aus Bad Homburg.
Hier einige Highlights vom ersten Tag.
Pathophysiologie und Pathogenese
Zum Thema Pathophysiologie und Pathogenese habe ich die Daten zusammengestellt. Zum einen geht es um die Frage, die wir ja auch in der Praxis haben, welche Rolle die Gene und welche Rolle der Lebensstil spielt.
Vor paar Jahren hatte Prof. Dr. Michael Lehrke, Aachen, der die Kardiologie vertritt, eine sehr schöne Studie vorgestellt, nach der bei hoher Anzahl von Genen, die für eine kardiovaskuläre Erkrankung prädisponieren, und günstigem Lebensstil das Risiko geringer ist als bei niedrigem genetischem Risiko und einem schlechten Lebensstil.
Das gleiche konnte nun auch im letzten Jahr in einer großen Studie für den Diabetes dargestellt werden. Diabetes ist kein Schicksalsschlag. Natürlich haben Personen, die ein hohes genetisches Risiko haben, ein höheres Risiko einen Diabetes zu entwickeln. Aber durch einen optimalen Lebensstil kann man dieses Risiko deutlich reduzieren, fast in den Bereich von Personen, die ein niedriges genetisches Risiko haben, aber einen schlechten Lebensstil.
Hyperinsulinämie – Henne oder Ei?
Eine 2. großes Thema im Bereich der Pathophysiologie ist die Hyperinsulinämie. Wir wissen, dass viele Menschen, vor allem wenn sie adipös sind, sehr viel Insulin produzieren. Dazu gibt es ein neues Modell. Bisher ging man immer davon aus, dass diese hohe Insulinproduktion die Konsequenz aus einer Insulinresistenz ist. Es gibt aber neue Daten, die das genau umdrehen, nämlich dass die Hyperinsulinämie die Ursache für die Insulinresistenz ist.
Der Körper schützt sich vor zu hohen Insulinspiegeln durch eine Insulinresistenz. Die hohen Insulinspiegel sind möglicherweise auch dafür verantwortlich, dass verschiedene Erkrankungen entstehen. Hyperinsulinismus ist assoziiert mit einer erhöhten kardiovaskulären Sterblichkeit und einer vermehrten Entwicklung von Krebserkrankungen.
Möglicherweise erklärt auch die Hyperinsulinämie, warum wir ein Adipositas-Paradoxon haben. Nicht jeder der adipös ist, hat auch ein erhöhtes kardiovaskuläres oder Mortalitätsrisiko, sondern nur die, die erhöhte Insulinspiegel und erhöhte CRP-Spiegel haben. Nicht jeder Adipöse ist auch gefährdet.
Wir müssten auch in der Praxis genauer hinschauen. Man kann es ganz einfach machen, nämlich Blutzuckerbelastungstest und parallel die Insulinspiegel messen. Auf Personen mit sehr hohen Insulinspiegeln müssen wir wesentlich stärker achten.
Neues zu Typ-1-Diabetes
Auch bei der großen DCCT/EDIC-Studie, in der eine Gruppe von Typ-1-Diabetikerin konventionell mit Insulin und die andere Gruppe intensiviert behandelt wurde, gibt es nun ganz interessante Daten.
Wenn wir bei Typ-1-Diabetes zu viel Insulin geben, also wenn wir die These vertreten, egal was sie essen, Hauptsache sie spritzen die richtige Menge Insulin, dann kommt es zu einer deutlichen Gewichtszunahme, und diese Personen haben auch vermutlich ein erhöhtes Krebsrisiko. Daten zeigen, dass je höher die gespritzten Insulinspiegel liegen, umso höher ist das Krebsrisiko.
Gefahr durch Süßstoffe
Ein anderer Bereich sind die künstlichen Süßstoffe. Künstliche Süßstoffe sind auch nach einer ganz neuen französischen Studie mit einer erhöhten kardiovaskulären Sterblichkeit und mit einer erhöhten Krebsrate assoziiert.
Epidemiologie und Screening
Auch aus dem Bereich der Epidemiologie kommen ganz interessante Daten. Prof. Dr. Wolfgang Rathmann aus Düsseldorf hat vorgestellt, dass die Inzidenz des Typ-2-Diabetes, die in den Jahren 2000 bis 2015 deutlich gestiegen ist, in den Jahren 2015 bis 2019 leicht gefallen war.
Aber die Corona-Epidemie hatte Auswirkungen auf das Körpergewicht und den Anstieg an Neuerkrankungen von Typ-2-Diabetes. Möglicherweise haben wir uns durch die ganzen Corona Maßnahmen noch viele andere Probleme eingehandelt als die, die wir allein durch die Corona-Infektionen hatten.
Gute Nachrichten kommen von der Epidemiologie hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos, das sinkt bei Personen mit Typ-2-Diabetes. Es scheint so zu sein, dass sich die Betrachtung des Typ-2-Diabetes als kardiovaskuläres Risiko bezahlt macht. Die Einstellung von z. B. Blutdruck und LDL-Cholesterin-Werten scheint sich bemerkbar zu machen. Das Risiko sinkt deutlich.
Das hat aber eine weitere Folge, wenn die Häufigkeit einer Erkrankung abnimmt, dann steigt die einer anderen Erkrankung an. Derzeit stehen deshalb bei Personen mit Typ-2-Diabetes an 1. Stelle der Todesursachen nicht mehr die kardiovaskulären Erkrankungen, sondern Krebserkrankungen.
Wir müssen deshalb sehen, dass unsere Patienten mit Typ-2-Diabetes zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen. Viele sind nicht so begeistert davon, wir machen deshalb für sie die Termine, dass sie gar nicht mehr davon weggehen können.
Bewegung und Kardiologie
Bewegung war ein großes und wichtiges Thema. Prof. Dr. Dr. Christine Joisten, Sporthochschule Köln, hat in einem sehr engagierten Vortrag nochmal gezeigt, dass Bewegung nicht nur Verbrennung von Nährstoffen ist, sondern dass Bewegung Myokine produziert, die sich günstig auf die Sterblichkeit und auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken.
Ein großes Thema war auch die Kardiologie. Prof. Dr. Michael Lehrke, Aachen, hat nochmal im Detail die Studien mit den SGLT-2-Inhibitoren zur Herzinsuffizienz vorgestellt. Dann stellte er weitere interessante Arbeiten vor, die mir auch nicht so bekannt waren.
So gibt es eine Studie zur Hyperurikämie. Wir wissen, dass die Hyperurikämie ein unabhängiger Risikomarker für eine koronare Herzerkrankung ist. Bisher gibt es keine Studie, die das im Detail untersucht hat. Nun hat man in einer Studie Allopurinol bei Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko eingesetzt. Bedauerlicherweise wurde Allopurinol dort bei Personen ohne Gicht und mit normalen Harnsäure-Werten angewendet. Allerdings sind das nicht die Patienten, die wir auch in der Praxis sehen, nämlich keine Gicht und Harnsäurewerte zwischen 8 oder 9 mg/dl.
Man hat in der Studie die Gruppe also sehr eingeschränkt. Es war eine öffentlich geförderte Studie, keine Pharmastudie. Es gibt keine Pharmafirma, die noch eine Studie mit Allopurinol macht. Das Ergebnis war leider negativ. Es gab keinen Hinweis, dass Allopurinol das kardiovaskuläre Risiko senkt.
Hat das für die Praxis eine Bedeutung, gerade für Personen, die einen Harnsäurewert von 8 oder 9 mg/dl haben? In diesen Fällen wissen wir nicht genau wie wir sie behandeln sollen. Sollten wir in diesen Fällen eventuell auch Allopurinol geben? Also diese Studie bringt uns hier nicht weiter.
Das war der erste Tag hier aus Mainz. Im nächsten Beitrag werde ich über den 2. Tag berichten.
Alles Gute bis dahin!
Ihr Stephan Martin
Medscape © 2023
Diesen Artikel so zitieren: „Diabetes ist kein Schicksalsschlag!“ Viele gute Nachrichten bei Therapie und Epidemiologie – ein Überblick vom Diabetes-Update-Treffen - Medscape - 20. Mär 2023.
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