Geburtskanal prägt Immunsystem: Kaiserschnitt wirkt sich auf Mikrobiom des Babys aus und die Reaktion auf spätere Impfungen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

5. Januar 2023

Die Art der Entbindung beeinflusst das Mikrobiom im Darm des Babys und wirkt auf die Immunogenität von Kinderimpfungen ein. Darauf lassen die Ergebnisse einer niederländischen Studie in Nature Communication schließen [1].

Dr. Marta Reyman vom Department of Paediatric Immunology and Infectious Diseases, Wilhelmina Children’s Hospital of University Medical Centre, Utrecht, Niederlande, und Kollegen hatten 120 gesunde Babys nach einer Meningokokken- oder Pneumokokkenimpfung auf ihre Antikörperreaktion und die Zusammensetzung des Mikrobioms untersucht und festgestellt, dass Säuglinge, die per Kaiserschnitt auf die Welt kamen, weniger gut auf die Impfungen ansprachen.

Impfantwort stärker bei vaginal geborenen Kindern

Innerhalb der ersten 12 Lebensmonate hatten die Forscher das Darmmikrobiom der Babys analysiert, die entweder vaginal oder per Kaiserschnitt geboren wurden. Anhand des Speichels der Säuglinge wurden auch die Immunglobulin-G (IgG) Antikörperreaktionen der beiden Impfstoffe, entweder 12 oder 18 Monate nach der Geburt bestimmt.

Bei den Babys, die vaginal geboren worden waren, fiel die Höhe der IgG-Antikörper als Indikator für die Impfantwort gegen beide Krankheitserreger stärker aus als bei den Säuglingen, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen.

Bei den vaginal geborenen Kindern korrelierte ein erhöhter Gehalt der Bakterien Bifidobacterium und Escherichia coli im Darm mit höheren IgG-Antikörpern nach einer Pneumokokkenimpfung – verglichen mit Kaiserschnittgeburten. Die relative Häufigkeit von E. coli ging außerdem mit einer höheren IgG-Antikörperreaktion nach einer Meningokokkenimpfung einher.

Argument gegen den Kaiserschnitt

„Die Autoren weisen auf elegante Weise nach, dass die Stärke der Impfantworten gegen 2 gefährliche Krankheitserreger mit der Zusammensetzung des Darmmikrobioms in der ersten Woche nach der Geburt zusammenhängt“, kommentiert Prof. Dr. Michael Zemlin, Direktor der Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg die Studienergebnisse.

Einmal mehr werde in einer „sauber durchgeführten Studie bestätigt, dass die ersten Lebenswochen ein „Window of Opportunity“ darstellen, in dem eine langfristig wirksame Prägung des Immunsystems stattfindet.“

 
Es handelt sich um eine Studie mit potenziell wichtigen klinischen Auswirkungen. Prof. Dr. Maria Vehreschild
 

„Es handelt sich um eine Studie mit potenziell wichtigen klinischen Auswirkungen“, sagt Prof. Dr. Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie an der Medizinischen Klinik II, Universitätsklinikum Frankfurt, gegenüber dem Science Media Center.

Anders als in anderen Studien sei hier ein sehr frühes Zeitfenster noch deutlich vor der Durchführung der Impfungen als Grundlage für die Analyse des Mikrobioms gewählt worden. „In diesem Zeitfenster von etwa 100 Tagen findet die Reifung des frühkindlichen Immunsystems statt. Der Zeitpunkt der Einflussnahme des Mikrobioms auf die B-Zellreifung liegt also zeitlich deutlich vor der Impfung und der im Anschluss messbaren Impfantwort. Diese Verbindung trotzdem herzustellen, ist eine große Stärke der Analyse“, so Vehreschild.

Die Erkenntnis, dass die Art der Geburt das Mikrobiom beeinflusst, hält Vehreschild für „sehr relevant, da die Zahl der Kaiserschnitte in den Industrienationen sehr hoch ist“. Zemlin betont, dass der Wunsch-Kaiserschnitt schon lange „out“ sei und der Einfluss auf die Entwicklung des Mikrobioms und die damit verbundene langfristige Prägung des Immunsystems „ein Argument gegen den Kaiserschnitt“ sind.

Schon früher wurde beobachtet, dass das Darmmikrobiom um den Zeitpunkt der Impfung eine Rolle bei der Immunreaktion auf die Impfung spielt. Die aktuelle Studie liefert allerdings erstmals den Hinweis, dass schon die Entwicklung des Darmmikrobioms in der frühen Kindheit die Voraussetzungen für eine robuste Immunantwort auf Impfungen im Kindesalter schaffen kann. Die Erkenntnisse zur Entbindungsart könnten besonders relevant sein vor dem Hintergrund, dass in Deutschland im Schnitt ein Drittel aller Kinder per Kaiserschnitt zur Welt kommt.

Aus der aktuellen Studie ergeben sich weitere wichtige Fragen

Dr. Claudius Meyer, Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz, stuft die Einzelbeobachtung in der Publikation als „interessant und für sich betrachtet neu“ ein, sagt aber auch, dass zu dem Thema mittlerweile eine Vielzahl von ähnlichen Beobachtungen veröffentlicht worden sei, „so dass in der vorliegenden Publikation ein weiterer Puzzlestein auf dem Weg zur kontrollierten therapeutischen Einflussnahme auf das Mikrobiom zu sehen sein mag“.

Die recht kleine Anzahl an Studienteilnehmern schränke die Aussagekraft stark ein, „insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Komplexität des Mikrobioms“. Auch in der vorliegenden Studie sei der Blick auf das Mikrobiom „recht einseitig, da ausschließlich das Bakteriom, also die Bakterien, betrachtet wird. Viren, Pilze und weitere Mikroorganismen bleiben ausgeblendet, ohne zu wissen, welchen Einfluss diese nicht beachteten Mitglieder des Mikrobioms auf das Mikrobiom selbst oder auf den Wirt, also den Menschen, haben. Jeder Puzzlestein ist daher langfristig hilfreich.“

Zemlin merkt an, dass sich aus der aktuellen Studie weitere wichtige Fragestellungen für zukünftige Studien ergeben: „Können die negativen Auswirkungen der Kaiserschnittgeburt auf das kindliche Mikrobiom vermieden werden? Hat das sogenannte ‚vaginal seeding‘ – etwa durch Bestreichen des Kindes mit Kompressen, die vorher in der Vagina der Mutter lagen – langfristige Vorteile? Kann nach Kaiserschnittgeburt die Entwicklung des kindlichen Mikrobioms durch Probiotikagabe oder andere Faktoren positiv beeinflusst werden?“

Zemlin erinnert daran, dass in der Impfstoffentwicklung Adjuvanzien eine große Rolle spielen: „Wenn wir den Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Impfantwort besser verstehen, können sich wichtige Hinweise auf neue biologische Adjuvanzien ergeben, die Impfstoffe noch wirksamer machen.“

Vehreschild geht hingegen nicht davon aus, dass eine Veränderung der Impfstoffe selbst die Konsequenz dieser Studie sein wird. Vielmehr sieht sie ein Potenzial für die Entwicklung von Mikrobiota-basierten Therapien, die in der Phase der Immunreifung der Neugeborenen gegeben werden können, um später ein optimales Impfergebnis zu erzielen.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....