Generationenwechsel in Hausarztpraxen: Kommen jetzt Minipraxis, MVZ oder Genossenschaft? Wie Kollegen zu Investoren werden

Hans-Joachim Schade

Interessenkonflikte

4. Januar 2023

Hausarztpraxen sind das Rückgrat der Patientenversorgung im Land – und stehen vor einem gewaltigen Umbruch. Denn in vielen Praxen steht nun ein Generationenwechsel an. Manche werden schließen, weil es keine Nachfolge gibt. Andere nutzen die Chance zu investieren. Der Fachanwalt für Medizinrecht Hans-Joachim Schade von Rechtsanwaltskanzlei Broglie, Schade & Partner erklärt Möglichkeiten, Risiken und Chancen für abgebende Ärztinnen und Ärzte.

Hans-Joachim Schade

Praxissterben, Versorgungslücken, Abgabeschwierigkeiten – das sind die Themen, die uns in den Gesprächen mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen tagtäglich begegnen. Dabei gibt es keine einheitliche Antwort auf den jetzt schon bestehenden Hausarzt-Mangel und die nun anrollende Welle der Abgaben bei den Babyboomern.

Doch die geänderten gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen einer hausärztlichen Niederlassung und der Versorgungskonzeption zeigen spannende Tendenzen. Es lohnt sich, darauf einen genaueren Blick zu werfen.

Vorsicht Steuerfalle: Worauf Sie achten sollten

Trotz der Tendenz zur Teilzeit-Arbeit in Anstellung bei vielen jüngeren Medizinerinnen und Mediziner ist insbesondere bei Kolleginnen mit Selbstständigkeitsinteresse zu beobachten, dass sie kleiner dimensionierte Einzelpraxen bevorzugen. Dahinter steht oft die Absicht, in der Nähe des Wohnortes – ohne Fahrtaufwand – arbeiten zu wollen.

Diese Standortwahl wird dann zur Notwendigkeit, wenn Beruf, berufstätiger Partner und die Bedürfnisse und Anforderungen durch Kinder an Kindergarten, Schule und Freizeitmöglichkeiten organisiert werden müssen. Hier zeigt sich also eine Tendenz zur Miniaturisierung der Selbständigkeit.

Minipraxen im Netzwerk, um Arztnachwuchs zu gewinnen

Deutlich wird diese Tendenz zur Miniaturisierung der Arztpraxen auch in den Angeboten, die einige Gesundheitsunternehmen den jungen Medizinerinnen und Medizinern machen.

Bei der Avi Medical GmbH geht man deshalb in die Stadtteile von florierenden Großstädten wie München, Berlin, Hamburg, Stuttgart. Die Angebots-Akzente liegen auf kurzen Wartezeiten, persönlicher Behandlung in der Praxis, dem Angebot einer Video-Sprechstunde sowie auf der ganzheitlichen Behandlung auf Augenhöhe. Die angesprochene Patientenzielgruppe ist jung, einkommens- und bildungsstark.

Gleichzeitig soll sich auch der ärztliche Nachwuchs in diesem Angebot wiederfinden. Mit der Digitalisierung einfacher Abläufe und der Videokommunikation mit den Patientinnen und Patienten entsteht ein neuartiges Versorgungsangebot für eine städtische Bevölkerung. Ferner gibt es die gezielte Möglichkeit der gemeinsamen Fortbildung mit den Ärztinnen und Ärzten anderer Standorte der gleichen Großstadt und die Möglichkeit, den Tätigkeitsort zu wechseln. Die Praxen sind klein, meist Einzelpraxen oder Zweier-Berufsausübungsgemeinschaften. Die Praxisausstattung soll dabei auf dem neuesten Stand sein und digitale Elemente sollen dazu dienen, mehr Zeit für das persönliche Behandlungsgespräch zu haben.

Einen interessanten Doppelansatz geht auch das schwedische Gesundheits-Unternehmen doktor.de. Die Gruppe ist überzeugt, dass die Kombination aus Telemedizin und persönlichem Kontakt in der Praxis der Weg in eine neue Versorgungszukunft im Hausarztbereich sein wird. Dieser hybride Kontakt-Ansatz wird aktuell mit den ersten Praxen in Berlin getestet.

Dabei können die Macher bereits auf Erfahrung zurückgreifen: Nach Aussagen des Unternehmens ist das Konzept in Schweden bereits bewährte Realität. Wesentlich dabei: Auch hier sind es kleinteilige Praxisstrukturen, durch die man im attraktiven städtischen Milieu leichter hausärztlichen Nachwuchs bekommen möchte.

Mehrbehandler-Praxen: Chance für den unterversorgten Raum?

Doch das ist keine zukunftsfähige Lösung für den eher unterversorgten ländlichen und sozial schwachen Ballungsraum. Einige Kassenärztliche Vereinigungen und Hausarztverbände favorisieren daher für diese Regionen das sogenannte Mehrbehandler-Konzept. Doch wie kann das funktionieren?

4 oder mehr Hausärztinnen und Hausärzte mit unterschiedlichen Zusatzbezeichnungen arbeiten demnach in einer Großpraxis gemeinsam. Ein wichtiger zusätzlicher Baustein ist die Delegation von Aufgaben an hochqualifizierte nichtärztliche Praxisassistentinnen, Versorgungsassistenten oder Physician Assistance (PA) in der Hausarztpraxis.

Die Grundidee dahinter ist – auf der Basis hoher Fallzahlen und mit vielen bekannten chronischen Patientinnen und Patienten – eine Doppelbetreuung vom Hausarzt mit Letztverantwortung und festem nicht-ärztlichen Ansprechpartnern aus dem Team anzubieten. Das jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Patientinnen und Patienten dem zustimmen.

Die nicht-ärztlichen Teammitglieder betreuen entsprechend in eigenen Besprechungsräumen nach dem für den Patienten bedeutsamsten Krankheitsbildern wie Diabetes, MS, Schmerz, COPD oder Schlaganfall. Nach dem Vorliegen der jeweiligen Kontrollvital-Daten des Patienten und einer vorbereitenden Anamnese schließt das Gespräch mit dem Arzt als Letztverantwortlichem mit Heilkunde-Ermächtigung und Indikationsstellung, Diagnose und Medikamenten-Entscheidung an.

Die tradierte Arztkontakt-Zeit in der kleinteiligen Praxis lässt sich so auf die Hälfte, mithin von 8 auf 4 Minuten, reduzieren. Die berufspolitischen Verfechter dieses Modells sehen dies als Chance gegen das Modell von Gesundheitskiosken und Übertragung von hausärztlichen Funktionen an Pflege und Physiotherapie.

Fachärzte als Partner: Genossenschaft statt Investoren-MVZ

Die Finanz-Investoren schaffen Strukturen von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) im Haus- und Facharztsektor überwiegend im urbanen Bereich. Dort ist es auch leichter, Nachwuchs zu gewinnen. Mit der aktuellen Abgabewelle der Babyboomer, die sich zwischen 1980 und 1990 niedergelassen haben, werden jedoch innerhalb kürzester Frist oft gleichzeitig in einer Region mehrere Hausarztpraxen auf den Markt kommen.

Das Problem: Bei einem Verkauf an Ketten von Finanzinvestoren könnte sich eine Abhängigkeit regionaler selbstständiger Facharztpraxen ergeben. Deshalb könnten die abgebenden Hausarztpraxen ihren fachärztlichen Zuweisern signalisieren, gemeinsam mit 5 bis 10 Praxen eine MVZ-Genossenschaft zu gründen. Bei dieser ließe sich die Haftung auf die Kapitaleinlage beschränken, beispielsweise auf 10.000 Euro pro Mitgründer.

Außerdem stünden so optional für eine Übergangszeit von 4 bis 10 Jahren erfahrene Praxisabgebende zur Verfügung, gegebenenfalls unterstützt von externen Managementdienstleistern.

Arzt-eigene Genossenschaften, Vorteile gegenüber KV-MVZ?

Wegen der anlaufenden Abgabewelle will der Bundesrat eine gesetzliche Grundlage schaffen, dass es KVen nun gestattet werden soll, dauerhaft Haus- und Facharzt-MVZ zu betreiben. Damit würden in großem Maße Hausarztpraxen unmittelbar in den Einflussbereich der KV geraten. Problematisch daran ist, dass regionale Fachärzte damit der gesetzlichen Aufsicht und Planung der KV und deren Unternehmens- und Funktionärsinteressen unterliegen würden.

Das Konzept der teambasierten fallzahlstarken hausärztlichen Mehrbehandler-Versorgerpraxis jedoch steht für ein Gegenmodell, für eine innerärztliche Auffanglösung für mehre Hausarztpraxen einer Region, die gleichzeitig ein renditeattraktives Investment sein kann.

In anderen Branchen gibt es dafür bereits erfolgreiche Beispiele: Die Volksbanken zeigen – wie im Einzelhandel EDEKA und REWE – die Flexibilität und Erfolgsfähigkeit des Genossenschaftsgedanken. Die Initiative für solche regionalen MVZ-Genossenschaften könnte innerärztlich bei selbstständigen Haus- und Fachärzten, bei Verbänden der Ärzteschaft oder Privatärztlichen Verrechnungsstellen liegen, die sich womöglich auch auf das Management spezialisieren.

Dieser Artikel ist im Original am 28. November 2022 erschienen auf Coliquio.de.
 

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