Seit der Entwicklung der Behandlungsmethode vor über 200 Jahren ist die Homöopathie heftig umstritten. Sie gilt für manche Patienten als segensreiche Therapie, für andere jedoch als pseudowissenschaftliches Konzept, das aus heutiger Sicht überholt ist.

Dr. Sieglinde Lauer
In einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik habe die Homöopathie keinen Platz, konstatiert Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. Er hat angekündigt, prüfen zu lassen, ob die Homöopathie als Satzungsleistung von Krankenkassen gestrichen werden kann. Damit nicht genug: Mehrere Ärztekammern haben die Homöopathie aus der Weiterbildungsverordnung gestrichen. Auch in der Öffentlichkeit gerät die Homöopathie zunehmend in die Kritik, etwa durch Beiträge der Wissenschaftsjournalistin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim.
Wie schätzen homöopathisch tätige Ärzte die Situation für die Homöopathie und das Vorhaben des Bundesgesundheitsministers ein? Beeinflusst die anhaltende Kritik ihr Handeln? Medscape sprach dazu mit Dr. Sieglinde Lauer. Sie ist Allgemeinmedizinerin mit den Zusatzbezeichnungen Homöopathie, Naturheilverfahren, Umweltmedizin und Psychotherapie. Lauer ist in einer hausärztlichen Kassenpraxis in Kaiserslautern niedergelassen und Vorsitzendes des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland.
Medscape: Seit wann setzen Sie Homöopathie ein – und was hat Sie zur Homöopathie geführt?
Lauer: Ich setze Homöopathie seit Beginn meiner ärztlichen Tätigkeit 1987 ein. Meine erste Bekanntschaft mit Homöopathie machte ich, als ich mit 18 Jahren selbst Patientin bei einem homöopathisch tätigen Arzt war, dessen Behandlung mir auf Anhieb gut half. So besuchte ich bereits als Studentin der Medizin Kurse in Homöopathie sowohl an TU München als auch während meines Praktischen Jahres in Glasgow. Auch Famulaturen sowohl in Krankenhäusern mit homöopathischem Schwerpunkt als auch in einer Praxis mit Schwerpunkt Homöopathie bestätigten mich darin, die Methode zu erlernen und ebenfalls homöopathisch als Ärztin therapieren zu wollen.
Medscape: Sie bieten Homöopathie in der hausärztlichen Versorgung an. Wie viele Ihrer Patienten nehmen das in Anspruch?
Lauer: Gut die Hälfte meiner Patientinnen und Patienten möchte auch homöopathisch behandelt werden.
Nach Corona wieder großes Interesse an der Homöopathie
Medscape: Das BMG teilt mit, dass sowohl die Verordnungen als auch die Umsätze für homöopathische Präparate in der GKV rückläufig seien. Während die Kassen 2019 noch knapp 9 Millionen Euro für homöopathische Leistungen wie Anamnese und Arzneimittel ausgegeben hatten, waren es 2020 nur noch 6,7 Millionen Euro. Beobachten Sie in Ihrer Praxis, dass die Akzeptanz für homöopathische Behandlungen unter Ihren Patienten abgenommen hat bzw. abnimmt?
Lauer: 2020 stand ganz unter dem Schwerpunkt COVID-19. In meiner Praxis beobachtete ich, dass Patientinnen und Patienten nur kamen, wenn es unbedingt sein musste – viele nicht ganz dringende Behandlungen und Arztbesuche wurden verschoben. Über die Akzeptanz von Homöopathie in 2020 kann ich deshalb keine Aussage treffen. 2022 ist wieder ein regulärer Praxisbetrieb; ich habe zahlreiche Neupatientinnen und Neupatienten, die mit chronischen, teils mehrere Jahre nicht behandelten Krankheiten, zur homöopathischen Behandlung kommen.
Politische Entscheidungen beeinflussen das Handeln nicht
Medscape: Mehrere Ärztekammern bieten keine Weiterbildungen mehr für Homöopathie an, die KV Bremen hat im Mai angekündigt, Homöopathie ab Ende 2022 nicht länger zu bezahlen, und auch in Teilen der Öffentlichkeit gerät Homöopathie immer stärker in die Kritik. Beeinflussen solche Entwicklungen Ihre Entscheidung, Homöopathie weiterhin anzuwenden?
Lauer: Nein, überhaupt nicht. Meine langjährigen Erfahrungen als homöopathisch therapierende Ärztin sind rundweg positiv, so dass politische Entscheidungen mein ärztliches Handeln nicht beeinflussen. Meine Patientinnen und Patienten fragen vereinzelt nach bezüglich der öffentlichen Äußerungen, sind aber bisher kaum verunsichert. In Rheinland-Pfalz hat sich die Ärztekammer auch für die Weiterbildung Homöopathie in der Weiterbildungsordnung ausgesprochen.
Nur wenige Patienten können homöopathische Behandlungen selbst bezahlen
Medscape: Bundesgesundheitsminister Lauterbach will prüfen lassen, ob gesetzliche Kassen weiterhin die Kosten für homöopathische Behandlungen übernehmen sollten. Nehmen wir an, sie würden dies nicht mehr tun und damit Australien, Großbritannien oder Frankreich folgen – welche Auswirkungen sehen Sie auf homöopathisch behandelnde Ärzte?
Lauer: Für uns Ärzte in der kassenärztlichen Versorgung wäre es äußerst bedauerlich, wenn der Versichertenstatus und die finanzielle Situation der Patientinnen und Patienten entscheidend für die Therapiewahl werden würde. Wir würden ein wichtiges therapeutisches Instrument in der Regelversorgung verlieren und viele unserer langjährig erfolgreich behandelten Patientinnen und Patienten nicht mehr – für beide Seiten – zufriedenstellend therapieren können.
Medscape: Und wie würden Ihrer Einschätzung nach Patienten darauf reagieren?
Lauer: In der derzeitigen Situation sind natürlich auch viele meiner Patientinnen und Patienten von den allgemeinen Preiserhöhungen betroffen. Die Möglichkeit, Homöopathie selbst zu bezahlen, hat unter den derzeitigen Bedingungen nur eine Minderheit unter ihnen. Der soziale Frieden in der Praxis, das Zufriedenheitsgefühl mit der medizinischen Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen wäre sehr gefährdet.
Medscape: Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.
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Diesen Artikel so zitieren: Homöopathie bald keine Kassenleistung mehr? „Wir würden ein wichtiges therapeutisches Instrument verlieren“ - Medscape - 29. Dez 2022.
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