80% weniger Augenverletzungen ohne Feuerwerk: BÄK-Präsident wirbt für Spenden-Feuerwerk statt Böllern an Silvester

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

28. Dezember 2022

Böllern zu Silvester: Jedes Jahr werden mehrere tausend Menschen durch explodierende Feuerwerkskörper verletzt, Kliniken sind an Silvester noch stärker belastet als ohnehin schon. Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt spricht sich deshalb für ein dauerhaftes Böllerverbot aus. Die „ungeregelte Knallerei“ passe nicht mehr in die Zeit, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung . Das sei schlecht für Umwelt und Klima und führe immer wieder zu schweren Verletzungen.

 
Bei zahlreichen Geflüchteten aus Kriegsgebieten löst die Silvesterknallerei schlimme Gefühle aus, bei manchen sogar Todesängste. Dr. Klaus Reinhardt
 

Jedes Jahr erlitten rund 8.000 Menschen in Deutschland eine Verletzung des Innenohres durch explodierende Feuerwerkskörper, so Reinhardt. Besonders oft seien Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 6 und 25 Jahren von Knalltraumata betroffen. Hinzu kämen Verletzungen am Auge und Verbrennungen. „Das bedeutet eine starke zusätzliche Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken, die ohnehin schon seit Monaten am Limit arbeiten“, sagte Reinhardt.

Er nannte es „vollkommen fehl am Platz, das neue Jahr mit Raketen zu begrüßen, während in Europa ein Krieg wütet“. „Bei zahlreichen Geflüchteten aus Kriegsgebieten löst die Silvesterknallerei schlimme Gefühle aus, bei manchen sogar Todesängste. Statt Geld für Böller und Raketen auszugeben, wäre mir einen Spenden-Feuerwerk für diese Menschen lieber.“

Nach Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) hat das Böllerverbot in den Corona-Jahren 2020 und 2021 die Krankenhäuser entlastet: „In der Zeit des Böllerverbots haben die Kliniken etwa 2 Drittel weniger stationäre Fälle mit Feuerwerks-bedingten Verletzungen registriert“, sagte der DGK-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. „Auch die Notaufnahmen waren entsprechend weniger belastet.“

 
In der Zeit des Böllerverbots haben die Kliniken etwa 2 Drittel weniger stationäre Fälle mit Feuerwerks-bedingten Verletzungen registriert. Dr. Gerald Gaß
 

Jetzt gehe man davon aus, dass in der Neujahrsnacht wieder ähnlich viele Feuerwerks-bedingte Verletzungen versorgt werden müssten wie in den Jahren vor der Pandemie. Gleichwohl hält Gaß Böllerverbote für „nicht zielführend“, um derzeitige Engpässe in den Kliniken auszugleichen. Er appelliere „unbedingt an die Vernunft, vorsichtig mit Feuerwerk umzugehen, Abstand insbesondere zu Kindern zu halten, es nur im nüchternen Zustand zu zünden und die Vorschriften zu beachten“.

Silvester-Notfälle: Größere Rolle als Böller spielt Trunkenheit

Eine Erhebung des Vivantes-Klinikums in Berlin-Friedrichshain aus 2019 hatte ergeben, dass in den Rettungsstellen nur rund 5% der Silvester-Notfälle auf Böller zurückzuführen waren. Offenbar spielten Betrunkenheit und Verletzungen nach alkoholbedingten Stürzen eine größere Rolle.

Eine Analyse der Barmer zeigt hingegen, dass die Corona-Einschränkungen den Kliniken zu Silvester durchaus nutzten. So ging beim Jahreswechsel 2020/2021 die Zahl der Krankenhausaufnahmen aufgrund von Silvester-Unfällen stark zurück: von etwa 6.200 Fällen im Jahr 2019 auf rund 3.800 Fälle.

Nicht klar ersichtlich ist allerdings, welchen genauen Anteil die Feuerwerksverletzungen daran hatten. Möglicherweise haben schon die allgemeinen Kontaktbeschränkungen dazu geführt, dass sich typische Silvesterverletzungen – wie Stürze und Unterkühlungen von Betrunkenen im Freien – deutlich reduzierten.

 
Silvesterfeuerwerke verursachen jedes Jahr viele vermeidbare Verletzungen und Gesundheitsstörungen. Dr. Johannes Nießen;
 

Auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) fordert ein Böllerverbot. „Silvesterfeuerwerke verursachen jedes Jahr viele vermeidbare Verletzungen und Gesundheitsstörungen“, sagt der Vorsitzende des Verbandes, Dr. Johannes Nießen.

Umfrage zeigt: 80% weniger Augenverletzungen ohne Feuerwerk

Laut BVÖGD sind die Erfahrungen der vergangenen 2 Jahreswechsel ohne Feuerwerk positiv: Es kam zu deutlich weniger Augenverletzungen. Laut einer Umfrage der „Arbeitsgruppe Sicheres Feuerwerk“ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) seien diese durch das Böllerverbot um rund 80% zurückgegangen.

Seit Jahreswechsel 2016/2017 führt die DOG alljährlich zu Silvester eine Umfrage an notdienstleistenden deutschen Augenkliniken durch, um die Zahl der Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper zu ermitteln. Wie die 6-Jahres-Ergebnisse nun im Rückblick zeigen, erlitten in den Jahren ohne Verkaufsverbot konstant jeweils etwa 500 Betroffene in den Silvestertagen Augenverletzungen durch Pyrotechnik. „Im ersten Pandemiejahr 2020/2021 mit Verkaufsverbot sank die Verletztenzahl auf 79, was einer Reduktion um 86% entspricht“, berichtet Dr. Ameli Gabel-Pfisterer.

 
Ein Verkaufsverbot von privatem Feuerwerk ist eine effektive Maßnahme, um die Gesamtzahl der Augenverletzungen zu reduzieren. Prof. Dr. Hansjürgen Agostini
 

Augenverletzungen betrafen Unbeteiligte, Kinder und Jugendliche besonders häufig. Der Anteil der Minderjährigen betrug bis zu 40%, obwohl sie nur 17% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die Hälfte der Verletzten zündete die Böller nicht selbst. Bei 40% der Verletzten ist den Angaben zufolge ein dauerhafter Sehverlust zu erwarten. „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Verkaufsverbot von privatem Feuerwerk eine effektive Maßnahme ist, um die Gesamtzahl der Augenverletzungen zu reduzieren“, erläutert Arbeitsgruppenmitglied Prof. Dr. Hansjürgen Agostini.

Auch die Folgen der Feinstaubbelastung bedenken

Die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH) und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) geben Tipps zum sicheren Umgang mit Feuerwerkskörpern und weisen darauf hin, dass Böller & Co für Kinderhände absolut tabu sind: „Das Unfallgeschehen in der Silvesternacht zeigt, dass Kinder immer wieder zu den verletzten Personen gehören“, erinnert DGOU-Präsident Prof. Dr. Benedikt Friemert, Unfallchirurg am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.

 
Das Unfallgeschehen in der Silvesternacht zeigt, dass Kinder immer wieder zu den verletzten Personen gehören. Prof. Dr. Benedikt Friemert
 

Der Forderung der Deutschen Umwelthilfe und des Bundesvorstandes der Gewerkschaft der Polizei (GdP) nach einem bundesweiten Böllerverbot an Silvester hat sich auch die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) angeschlossen. „Die Begrenzung exzessiver Böllerei hätte gleich mehrere positive Auswirkungen“, sagt Kammerpräsidentin Dr. Martina Wenker. Die Ärzte und das Pflegepersonal in Kliniken und Notaufnahmen arbeiteten schon jetzt „am Anschlag“. Ein Grund dafür sei immer noch die Corona-Pandemie. Ärzte und Pflegekräfte dürften nicht noch zusätzlich durch Verletzungsopfer von Feuerwerkskörpern belastet werden.

 
Außerdem sollten die Behörden endlich den Fokus stärker auf die negativen Folgen der Feinstaubbelastung richten, die durch Böller entstehen. Dr. Martina Wenker
 

„Außerdem sollten die Behörden endlich den Fokus stärker auf die negativen Folgen der Feinstaubbelastung richten, die durch Böller entstehen. Die Atemwege der Menschen leiden darunter ebenso wie Umwelt und Klima“, warnte die ÄKN-Chefin.

Mehrere Städte und Kommunen haben für dieses Jahr angekündigt, Böllerverbotszonen einzurichten. Generelle Verbote sind bislang nicht geplant.

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