Überraschende Erkenntnisse zur Monoklonalen Gammopathie: Höhere Prävalenz, Prognose durch Multiple Paraproteine

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

27. Dezember 2022

New Orleans – Ergebnisse der Iceland Screens, Treats, or Prevents Multiple Myeloma (iStopMM) Study, einer großen prospektiven Populations-basierten Studie, stellen einige der bislang geltenden Vorstellungen zur monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) in Frage: ein Thema des ASH-Kongresses 2022. 

So ist die Prävalenz der MGUS vermutlich höher als bisher vermutet, was u.a. mit dem früheren Nachweis erklärt werden könnte. Während die Prävalenz der IgG- und IgM-Gammopathie mit steigendem Alter zunimmt, erreicht die IgA-Gammopathie im Alter von etwa 70 Jahren ein Plateau. 

Multiple Paraproteine sind möglicherweise ein Hinweis auf einen benigneren Verlauf – dies muss allerdings noch weiter untersucht werden. 

Zwischen MGUS und Autoimmunerkrankungen sowie MGUS und chronischen Nierenerkrankungen konnte keine Assoziation gesehen werden, und eine Hyperkalzämie bei Personen mit MGUS ist nach Ergebnissen der isländischen Arbeitsgruppe kein Hinweis auf eine Progression. 

Höhere Prävalenz in iStopMM als in US-amerikanischer Studie von 2006

Zum Hintergrund: 2016 hatte die isländische Arbeitsgruppe alle vor 1976 geborenen Einwohner Islands (148.708) zur Teilnahme an einem Screening auf eine monoklonale Gammopathie eingeladen. Davon stimmten 80.759 Personen (54,3%) zu. Mittlerweile liegen Proben von 75.422 Teilnehmern vor. Mit allen Proben wurde eine Serumprotein-Elektrophorese (SPEP) durchgeführt, gefolgt von einer Immunfixations-Elektrophorese (IFE), wenn ein monoklonaler Spike oder ein abnormer Leichtketten-Quotient gefunden wurde. 

Bei 3.358 Personen wurde eine MGUS gefunden, was einer Prävalenz von 4,4% entspricht. Bei 57% der Betroffenen lag eine IgG-Gammopathie, bei 21% eine IgM-Gammopathie und bei 12% eine IgA-Gammopathie vor. Bei 314 Patienten (9%) war mehr als 1 klonaler Spike zu sehen. 

Die Studie bestätigte, dass die Prävalenz einer MGUS bei Männern höher ist und dass sie mit dem Alter zunimmt. So lag sie bei 41- bis 50-Jährigen bei 1,3%, bei den 51-bis 60-Jährigen bei 2,6%, bei den 61- bis 70-Jährigen bei 4,6%, bei 71- bis 80-Jährigen bei 7,7% und bei Über-80-Jährigen bei 11,7%. 

Eine Standardisierung der Island-Daten erlaubte einen direkten Vergleich der Ergebnisse mit den Daten, die Kyle 2006 im  NEJM  für die USA publiziert hatte. Dabei ergab sich, dass die MGUS-Prävalenz in der iStopMM-Studie höher als in der amerikanischen Studie von 2006 ist. Dies könnte u. a. damit erklärt werden, dass heute eine MGUS früher erkannt wird. In der isländischen Studie wurden mehr Patienten mit einer IgM-Gammopathie identifiziert als in der US-amerikanischen Studie (21,4% bzw. 17,2%) [1]

Während in der iStopMM-Studie die Prävalenz von IgG- und IgM-Gammopathie mit zunehmendem Alter ähnlich stark zunahm, bildete sich bei Personen mit IgA-Gammopathie ab dem Alter von 70 Jahren ein Plateau. Dies könnte zumindest teilweise mit der rascheren Progression der IgA-Gammopathie zusammenhängen. Weitere Studien sind jedoch erforderlich, um den Sachverhalt zu klären.

Multiple Paraproteine als Hinweis auf einen gutartigeren Verlauf?

In der iStopMM-Kohorte war bei 314 Patienten (9,4%) mehr als ein klonaler Spike zu sehen [2]. Die Betroffenen Personen waren mit 72,1 Jahren etwas älter als Personen mit 1 Paraprotein mit 68,9 Jahren und häufiger männlich. Bei 75% wurden 2 Paraproteine gefunden, vor allem IgG (47%) und IgM (36%). 

Nach einem Follow-Up von 4 Jahren konnte bei 59% nur noch ein Paraprotein nachgewiesen werden. 42% der zunächst entdeckten multiplen Paraproteine wurden nicht mehr gefunden. 

Im klinischen Outcome zeigte sich kein Unterschied bei Personen mit einem oder mehreren Paraproteinen. Interessant war allerdings, dass es in keinem Fall mit multiplen Paraproteinen zu einem multiplen Myelom kann. Möglicherweise sind also multiple Paraproteine ein Hinweis auf einen eher gutartigen Verlauf. Zur Klärung dieser Frage sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich

Keine Assoziation zwischen MGUS und Autoimmunerkrankungen

In einer weiteren Analyse untersuchte die Arbeitsgruppe die Assoziation von MGUS mit Autoimmunerkrankungen [3]. 16,1% der Teilnehmer litten an einer Autoimmunerkrankung wie Psoriasis, rheumatoider Arthritis, Polymyalgia rheumatica, Spondylitis ankylosans oder Diabetes mellitus Typ 1. Weder MGUS noch Leichtketten-MGUS waren im Vergleich zu Personen ohne diese Gammopathien mit einer Autoimmunerkrankung assoziiert (OR 0,98 und 1,07). 

Bei Personen, bei denen vor der Aufnahme in die iStopMM-Studie eine MGUS diagnostiziert worden war, bestand jedoch eine signifikante Assoziation mit einer Autoimmunerkrankung. Wurden diese Personen jedoch zusammen mit den Screening-Gruppen ausgewertet, ergab sich keine Assoziation mehr. 

Die Autoren sind der Meinung, dass Ergebnisse klinischer Fallserien und früherer Studien, die ein erhöhtes MGUS-Risiko bei Autoimmunerkrankungen ergeben haben, einen Detektions-Bias widerspiegeln. Ihr Fazit: „Diese große, prospektive Screening-Studie bestätigt die zuvor berichtete Korrelation zwischen Autoimmunerkrankungen, MGUS und LC-MGUS nicht und zeigt, dass Autoimmunerkrankungen nicht mit MGUS assoziiert sind.“

Hyperkalzämie ist kein Hinweis auf Progression

Personen mit MGUS werden in der Regel mit einer Watch-and-Wait-Strategie betreut, hierbei werden auch regelmäßig Kalzium-Werte im Serum bestimmt, um eine Myelom-bedingte Hyperkalzämie rechtzeitig zu entdecken. 

Erstmals wurde nun in der iStopMM-Studie evaluiert, wie häufig eine Hyperkalzämie bei MGUS ist und welche Ursachen ihr zugrunde liegen [4]

Von den regelmäßig nachbeobachteten 2.546 Personen wiesen 191 (7,5%) mindestens bei 1 Messung erhöhte Serum-Kalzium-Werte auf. Diese waren bei 48,7% anhaltend erhöht. Mehr als die Hälfte der Personen hatte damit nur eine transiente Hyperkalzämie. 

Häufigster Grund für eine persistierende Hyperkalzämie war ein primärer Hyperparathyreoidismus (56%), gefolgt von anderen Malignomen (16%). 

Die Autoren schließen aus diesen Ergebnissen, dass insbesondere eine isolierte Hyperkalzämie kein starker Indikator für ein Fortschreiten der MGUS ist und meist sonstige Ursachen zugrunde liegen. Fehlen andere CRAB-Kriterien, sollte eine Hyperkalzämie bei MGUS wie bei Personen ohne MGUS weiterverfolgt werden. 

Keine Assoziation mit chronischen Nierenerkrankungen

Chronische Nierenerkrankungen (CKD) sind bei MGUS häufig. Liegt der CKD eine MGUS zugrunde, wird sie als monoklonale Gammopathie von renaler Signifikanz bezeichnet (MGRS). Die Diagnose muss mit einer Nierenbiopsie bestätigt werden.

In der iStopMM-Studie wurde nun die Prävalenz der CKD bei Personen mit und ohne MGUS verglichen und eine mögliche Assoziation zwischen M-Protein-Konzentration und Nierenfunktion analysiert [5].

Insgesamt wurden die Daten von 69.120 Teilnehmern analysiert, von denen 6,6% eine MGUS und 9,7% eine CKD hatten. In der adjustierten logistischen Regressionsanalyse zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der CKD-Prävalenz bei Teilnehmern mit und ohne MGUS. Auch zwischen M-Protein-Konzentration und Proteinurie bestand keinerlei Zusammenhang.

Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass eine MGRS wahrscheinlich nur bei 0,4% der CKD-Fälle vorliegt. Diese Befunde weisen die Vorstellung zurück, dass eine MGRS deutlich unterdiagnostiziert wird, und sie legen nahe, dass Tests auf MGUS bei der Abklärung einer CKD weniger Bedeutung beigemessen werden sollte.

Wann ist bei MGUS eine Knochenmarksbiopsie erforderlich?

Empfehlungen in den Leitlinien, wann bei Personen mit MGUS eine Knochenmarksbiopsie sinnvoll ist, sind uneinheitlich. Bislang gibt es keine prospektiven Daten, die verschiedene Empfehlungen unterstützen. Einige Empfehlungen lauten, dass bei MGUS mit niedrigem Risiko nach dem Score der Mayo Clinic die Biopsie verschoben werden kann. 

Die isländische Arbeitsgruppe entwickelte nun anhand der Daten von 1.013 Personen mit IgG-, IgA- oder biklonaler Gammopathie ein Modell, mit dem die Wahrscheinlichkeit von ≥ 10% Plasmazellen im Knochenmark in einer gescreenten Kohorte vorhergesagt werden kann [6]. Als Prädiktoren dienen der MGUS-Isotyp (IgG, IgA, biklonal), die M-Protein-Konzentration, der Leichtketten-Quotient, und die IgG-, IgA- und IgM-Konzentration. 

Die interne Validierung ergab, dass die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit von ≥ 10% Plasmazellen im Knochenmark nur gering von den tatsächlich gemessenen Werten abwich.

Die Wahrscheinlichkeit für einen Wert von ≥ 10% Plasmazellen im Knochenmark kann mit Hilfe eines Online-Rechners ermittelt werden. 

Begünstigt die Corona-Impfung eine Progression der MGUS?

In einer weiteren Analyse untersuchte die Arbeitsgruppe anhand der Daten von 1.814 gegen SARS-CoV2-geimpften MGUS-Patienten, ob diese Impfung die Progression zu einem Multiplen Myelom begünstigt [7]. Hierzu wurden die M-Protein-Spiegel vor und nach der Impfung verglichen. Die Wissenschaftler fanden keinerlei Hinweise, dass COVID-19-Vakzine einen Einfluss auf die Progression einer MGUS haben. 

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