Eine große schottische Studie hat das Risiko von Beckenboden-Operationen Jahre nach einer weiteren Geburt mit vorangegangenem Kaiserschnitt analysiert. Das Ergebnis der Wissenschaftler um Epidemiologin Dr. Kathryn E. Fitzpatrick von der Universität Oxford: Frauen, die nach vorausgegangenem Kaiserschnitt auf natürlichem Weg ihr Kind bekamen, hatten in der Folgezeit ein mehr als zweifach erhöhtes Risiko einer Beckenboden-Operation gegenüber Frauen mit einem weiteren Kaiserschnitt.[1]
„Unsere Beratung wird das nicht wesentlich verändern“, sagt dazu die Chefärztin der Geburtshilfe am Krankenhaus Köln Porz, Dr. Patricia van de Vondel, im Gespräch mit Medscape. “Dass eine vaginale Entbindung das Risiko für Beckenbodenschwäche erhöht, wissen wir schon lange. Dass das auch nach einem Kaiserschnitt gilt, ist keine große Überraschung.”
Fitzpatrick et al. hatten die Gesundheitsdaten von über 47.000 Frauen analysiert, die in den 80er und 90er Jahren in Schottland nach einem oder mehreren Kaiserschnitten ein weiteres Kind bekommen hatten. Alle Kinder waren Einlinge, und zwischen der 37. und 41. Schwangerschaftswoche geboren worden. 66,8% der Frauen wollten dabei natürlich gebären (VBAC, vaginal birth after previous cesarean), 33,2% planten einen Kaiserschnitt (ERCS, elective repeat cesarean section).
Fälle, in denen eine vaginale Geburt aus medizinischen Gründen nicht möglich war, wurden dabei aus der Analyse ausgeschlossen. Mehr als 20 Jahre später hatten knapp 2,5% der in die Studie einbezogenen Frauen irgendeine Art von Beckenboden-Operation durchführen lassen. Das Risiko der Mütter, die vaginal entbunden hatten, war dabei signifikant erhöht. Diejenigen Mütter, die zwar vaginal entbinden wollten, aber dann im Geburtsverlauf doch einen Kaiserschnitt bekommen hatten, hatten dagegen kein erhöhtes Risiko für Beckenboden-Operationen.
Große Studie mit langer Nachverfolgung
„Eine Stärke der Erhebung ist das langjährige Follow-Up. Das ist exzellent, weil Beckenbodenprobleme häufig erst Jahre nach der Geburt auftreten, wenn andere Risikofaktoren wie Wechseljahre und Alter hinzukommen. Auch die Größe der Kohorte ist eine Stärke der Studie.“ PD Dr. Kaven Baeßler, Leiterin des Beckenboden- und Kontinenzzentrums am Franziskus-Krankenhaus Berlin, schätzt die schottische Datenanalyse durchaus als hilfreich ein – weil sie konkret Daten zu einer vaginalen Geburt nach Kaiserschnitt liefert.
Allerdings seien andere Risikofaktoren neben der Geburtsmethode in der Studie nicht erhoben und damit nicht berücksichtigt worden – etwa der Body Mass Index. Das halten auch die Autoren selbst für eine Schwäche ihrer Studie. „Die vaginale Geburt ist ein Risikofaktor, aber Übergewicht und Rauchen sind das ebenfalls.” ergänzt auch van de Vondel.
Die Studienautoren sind überzeugt, dass ihre Ergebnisse nützlich sein können, um Frauen nach einem Kaiserschnitt bezüglich einer weiteren Geburt zu beraten. “Wenn Frauen nach Kaiserschnitt statt einer geplanten vaginalen Entbindung einen weiteren Kaiserschnitt planen würden, ließen sich geschätzt 48% der Beckenboden-Operationen verhindern”, folgern Fitzpatrick und Kollegen aus ihren Ergebnissen – auch wenn sie einschränkend sagen, dass das nur gilt, wenn man eine Kausalität voraussetzt, also dass die vaginale Geburt tatsächlich der Grund für die Beckenbodenprobleme wie Senkung oder Inkontinenz ist.
Ob das allerdings eine sinnvolle Empfehlung wäre, daran haben andere Experten durchaus Zweifel. „Ein Kaiserschnitt ist eine große Bauch-OP. Das kann auch eine größere Operation sein als eine Beckenboden-OP. Letztlich ist man gut bedient, wenn man beides nicht braucht”, betont van de Vondel. In der schottischen Studie benötigten zudem nur vergleichsweise wenige Frauen eine Beckenboden-OP, und der Kaiserschnitt konnte das Risiko dafür zwar senken, aber Beckenbodenprobleme keinesfalls sicher verhindern.
Das betont. Dr. Anne Heihoff-Klose, Gynäkologin am Universitätsklinikum Leipzig: „Ich würde einer Frau nicht per se zu einem Kaiserschnitt raten, weil sie mit der Sectio, also einer Operation, die auch mannigfaltige Komplikationsmöglichkeiten hat, eine zukünftige Operation gegebenenfalls vermeiden möchte, aber dies auch nicht sicher kann.“
Aufklärung wichtig
Allerdings sollten Frauen durchaus über das Beckenbodenrisiko bei der Geburt aufgeklärt werden, findet Baeßler. „Aus meiner Sicht sollte vor jeder Geburt eine Aufklärung über mögliche Beckenboden-Folgeschäden erfolgen, damit die Frau eine informierte Entscheidung fällen kann, zum Beispiel mithilfe des UR-Choice-Rechners. Frauen wollen informiert sein, die wenigsten werden sich für einen Kaiserschnitt entscheiden.“
Van de Vondel bestätigt, dass das in ihrem Hause auch üblich sei: „Frauen, die sich hier zur Geburtsplanung vorstellen werden darüber aufgeklärt, dass es zu einer Beckenbodenschwäche kommen kann.” Idealerweise müsse man Frauen darüber allerdings schon aufklären, bevor es zur Schwangerschaft käme, findet die Kölner Gynäkologin. Denn nicht nur die Geburt, auch die Schwangerschaft selbst erhöhe das Risiko für Beckenbodenprobleme.
Ein Kaiserschnitt hingegen kann zwar das Risiko für Beckenbodenschwäche verringern. Dafür sind Komplikationen bei eventuellen weiteren Geburten erhöht, und auch Langzeitrisiken für das Kind werden diskutiert, erklärt Heihoff-Klose: “Die Risiken einer Sectio caesarea für das Kind reichen von einer veränderten Entwicklung des Immunsystems mit einer Neigung zu Allergien, Atopie und Asthma bis hin zu einem veränderten intestinalen Mikrobiom und metabolischem Syndrom.”
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Credits:
Photographer: © Iakov Filimonov
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Schäden durch natürliche Geburt: Vaginale Entbindung nach Kaiserschnitt (VBAC) erhöht langfristig Risiko für Beckenboden-OP - Medscape - 22. Dez 2022.
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