In den jährlich veröffentlichten Änderungen der „Standards of Care in Diabetes – 2023“ der American Diabetes Association (ADA) befürworten Diabetologen neue, aggressivere Zielwerte für Blutdruck und Blutfette [1].
Das Dokument, das seit langem als Goldstandard für die Versorgung aller mehr als 100 Millionen Amerikaner mit Diabetes und Prädiabetes gilt, wurde am 12. Dezember 2022 in Diabetes Care veröffentlicht. Die Leitlinien sind für Ärzte auch über eine App zugänglich; die letztjährigen Standards wurden mehr als 4 Millionen Mal aufgerufen.
Experten empfehlen für Menschen mit Diabetes einen Zielwert für den Blutdruck von weniger als 130/80 mmHg.
Beim Low-Density-Lipoprotein (LDL)-Cholesterin raten sie zu weniger als 70 mg/dl bzw. zu nicht mehr als 55 mg/dl, je nach individuellem kardiovaskulärem Risiko.
Diabetes-Patienten aggressiver behandeln
„In der diesjährigen Version der ADA Standards of Care, den Richtlinien für das Diabetesmanagement weltweit, finden Sie Informationen, wie wir Diabetes aggressiver behandeln und Komplikationen auf verschiedene Weise verringern können“, sagte Dr. Robert A. Gabbay, Chief Scientific and Medical Officer der ADA, gegenüber Medscape.
Zu den weiteren Änderungen für 2023 gehören:
eine größere Relevanz der Gewichtsabnahme als Therapieziel bei Typ-2-Diabetes,
Empfehlungen für das Screening und für die Bewertung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, um Amputationen zu verhindern,
die Verwendung von Finerenon bei Patienten mit Diabetes und chronischer Nierenerkrankung,
die Verwendung zugelassener Point-of-Care-HbA1c-Tests,
Empfehlungen für die Ernährungsberatung sowie
eine stärkere Rolle kommunaler Gesundheitshelfer.
„Bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes geht es nicht nur um den Blutzuckerspiegel“, betonte Gabbay. Er wies darauf hin, dass sich die ADA-Standards zunehmend auf das kardiorenale Risiko und das Gewichtsmanagement konzentrierten. „Wir müssen an all diese Dinge denken, nicht nur an eines. Wir haben jetzt bessere Instrumente, die uns dabei helfen, in diesem Bereich voranzukommen.“
Neue Ziele im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Risikomanagement
Wie bereits in den letzten 6 Jahren wurden auch die Abschnitte zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zum Risikomanagement vom American College of Cardiology (ACC) aktualisiert.
Die neue Definition von Bluthochdruck bei Menschen mit Diabetes lautet ≥ 130 mmHg systolisch oder ≥ 80 mmHg diastolisch, reproduziert bei 2 Messungen zu unterschiedlichen Zeiten. Bei Personen mit bekannter kardiovaskulärer Erkrankung kann Bluthochdruck mit einer einzigen Messung von ≥ 180/110 mmHg diagnostiziert werden.
Das Ziel der Behandlung ist nun ein Wert von weniger als 130/80 mmHg, wenn dieser Wert sicher erreicht werden kann.
Kontroversen um Blutdruck-Zielwerte
Im Jahr 2012 sorgte die Lockerung des systolischen Zielwerts auf 140 mmHg durch die ADA für einige Kontroversen.
Gabbay: „Vor 10 Jahren gab es die Daten noch nicht. Wir haben uns damals an damals verfügbare Beweise gehalten, obwohl es die Meinung gab, dass ein niedrigerer Wert besser sei. In den letzten 10 Jahren haben eine Reihe von Studien deutlich gemacht, dass ein niedrigerer Zielwert von Vorteil ist. Deshalb haben wir uns in dieser Frage durchgesetzt.“
Auch neue Lipid-Zielwerte
Die jetzt veröffentlichten Standards enthalten auch neue Lipid-Zielwerte. Für Menschen mit Diabetes im Alter von 40 bis 75 Jahren mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko, einschließlich derjenigen mit einem oder mehreren atherosklerotischen Risikofaktoren, wird eine hochintensive Statintherapie empfohlen, um LDL-Cholesterin um 50% oder mehr gegenüber dem Ausgangswert zu senken, und zwar auf einen Zielwert von weniger als 70 mg/dl, im Gegensatz zu dem bisherigen Zielwert von 100 mg/dl.
Um dies zu erreichen, wird in dem Dokument empfohlen, die maximal verträgliche Statintherapie mit Ezetimib oder mit einem PCSK9-Inhibitor zu ergänzen.
Für Menschen mit Diabetes im Alter von 40 bis 75 Jahren, die bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung haben, wird eine Behandlung mit einer hochintensiven Statintherapie empfohlen, mit dem Ziel einer Senkung um 50% oder mehr gegenüber dem Ausgangswert und mit einem LDL-Cholesterinspiegel von 55 mg/dl oder weniger, im Gegensatz zu den bisherigen 70 mg/dl.
„Das ist ein niedrigeres Ziel als bisher empfohlen und basiert auf überzeugenden Belegen in der Literatur“, so Gabbay. Damit wird eine stärkere Empfehlung für Ezetimib oder für einen PCSK9-Inhibitor als Ergänzung zu den maximalen Statinen ausgesprochen.
Diabetes-Patienten, die älter als 75 Jahre sind und die Statine einnehmen, sollten ihre Therapie fortsetzen. Erhalten sie noch keine Statine, kann es sinnvoll sein, nach Abwägung der Vorteile und Risiken eine Statintherapie im mittleren Dosisbereich zu beginnen.
Eine weitere neue Empfehlung auf Grundlage aktueller Studiendaten ist der Einsatz eines Natrium-Glukose-Cotransporter-2 (SGLT2)-Hemmers bei Menschen mit Diabetes und Herzinsuffizienz mit erhaltener oder verminderter Ejektionsfraktion.
Empfehlungen für Nierenkrankheiten bei Diabetes-Patienten aktualisiert
Eine weitere Empfehlung sieht vor, Finerenon bei Menschen mit Typ-2-Diabetes einzusetzen, die eine chronische Nierenerkrankung (CKD) mit Albuminurie haben und bereits mit der maximal verträglichen Dosis eines Angiotensin-Converting-Enzym-(ACE)-Hemmers oder eines Angiotensin-Rezeptorblockers (ARB) behandelt wurden. Damit verfolgen Diabetologen 2 Ziele: Sie wollen kardiovaskuläre Ergebnisse verbessern und das Risiko eines Fortschreitens der CKD verringern.
Der Schwellenwert zur Verordnung eines SGLT2-Hemmers als Nierenschutz wurde auf eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) ≥ 20 ml/min/1,73m2 und auf ein Urin-Albumin ≥ 200 mg/g Kreatinin geändert. Zuvor waren es ≥ 25 ml/min/1,73m2 bzw. ≥ 300 mg/g). Ein SGLT2-Hemmer kann auch bei Menschen mit einem Urin-Albumin von normal bis ≥ 200 mg/g Kreatinin von Vorteil sein, aber es wurden noch keine Daten veröffentlicht, um dies zu untermauern.
Eine Überweisung an den Nephrologen wird für Patienten mit steigenden Urin-Albumin-Werten, mit kontinuierlich sinkender eGFR oder mit einer eGFR unter 30 ml/min/1,73 m2 empfohlen.
Gewichtsabnahme, Point-of-Care-Tests, Ernährung
In ihren Änderungen für 2023 betonen die Autoren stärker als zuvor, wie wichtig ärztliche Unterstützung einer Gewichtsabnahme von bis zu 15% sei. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang das neue Twinkretin Tirzepatid (Mounjaro®) – in den USA im Mai für Typ-2-Diabetes zugelassen – als Glukose-senkendes Medikament mit Potenzial zur Gewichtsabnahme.
Die Autoren der Empfehlungen haben auch einen neuen Abschnitt zum Screening auf periphere Arterienerkrankungen ergänzt.
Sie empfehlen zudem Point-of-Care-HbA1c-Tests für das Diabetes-Screening und für die Diabetes-Diagnose. Hier sollten ausschließlich von der der US Food and Drug Administration (FDA) zugelassene Tests zum Einsatz kommen.
Für das Jahr 2023 wurde außerdem eine Empfehlung zum Einsatz kommunaler, nicht-ärztlicher Gesundheitshelfer formuliert, um das Management von Diabetes und kardiovaskulären Risikofaktoren zu unterstützen, insbesondere in unterversorgten Regionen. „Diese Community Health Workers können ein Bindeglied sein, das den Menschen dabei hilft, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, um bessere Ergebnisse zu erzielen“, sagte Gabbay.
Er fügte hinzu, dass diese Fachleute auch bei der Untersuchung auf Ernährungsunsicherheit helfen könnten, einer weiteren neuen Empfehlung. Ernährungsunsicherheit bedeutet, dass Menschen keinen ausreichenden Zugang zu nahrhaften, erschwinglichen, gesunden Lebensmitteln haben. „Das sollte nicht nur etwas sein, was Ernährungsberater tun“, so Gabbay.
Generell würde er begrüßen, wenn mehr Ärzte mit kommunalen Gesundheitshelfern zusammenarbeiten würden. „Sie sollten als Teil des Gesundheitsteams betrachtet werden“, sagte er.
Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Vladimir Sazonov
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: ADA setzt in der Typ-2-Diabetes-Therapie für 2023 noch aggressivere Zielwerte fest – beim Blutdruck, LDL-Cholesterin und mehr - Medscape - 22. Dez 2022.
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