New Orleans – Bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML), die auf eine Induktionstherapie schlecht ansprechen oder ein Rezidiv erlitten haben, führte eine Chemotherapie mit hochdosiertem Cytarabin und Mitoxantron vor einer allogenen Stammzell-Transplantation (alloHCT) nicht zu einer höheren Erfolgsrate und hatte keinen Überlebensvorteil im Vergleich zu Watchful Waiting, gefolgt von sequenzieller Konditionierung und alloHCT.
„Die Ergebnisse unserer Studie bringen einen internationalen Standard der Leukämietherapie ins Wanken und waren auch für uns überraschend“, so Prof. Dr. Johannes Schetelig, Leiter des Bereichs Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Dresden und Leiter der klinischen Forschungseinheit der DKMS. Er hat die Ergebnisse der bundesweit durchgeführten ASAP-Studie in der Plenarsitzung bei der Jahrestagung 2022 der American Society of Hematology (ASH) in New Orleans vorgestellt [1].

Prof. Dr. Johannes Schetelig
Seine Schlussfolgerung: „Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Transplantation bei Verfügbarkeit eines HLA-kompatiblen Stammzellspenders so schnell wie möglich erfolgen sollte, auch wenn beim Patienten weiterhin Leukämiezellen nachweisbar sind. Eine sofortige Transplantation ohne zuvor angestrebte komplette Remission der Erkrankung kann Nebenwirkungen insgesamt verringern und Krankenhausaufenthalte verkürzen.“
Prof. Dr. Mikkael A. Sekeres, Miller School of Medicine der Universität von Miami, kommentierte als Moderator einer ASH-Pressekonferenz mit der Vorstellung der ASAP-Studie, dass diese neuen Erkenntnisse das bisherige Vorgehen völlig auf den Kopf stellten. „Wir müssen diese Patienten nicht länger ins Krankenhaus einweisen und ihnen eine sehr aggressive Chemotherapie geben, um die Tumorlast zu reduzieren – so war zumindest die Theorie –, damit sie erfolgreich transplantiert werden können.“
Salvage-Chemotherapie bei AML – ja oder nein?
Bei fitten Patienten mit AML wird bisher vor einer alloHCT versucht, sie mit einer Hochdosis-Chemotherapie in eine komplette Remission (CR) zu bringen. Eine CR wird in Abhängigkeit von der Zytogenetik und molekularen Risikofaktoren nur bei 55 bis 85% der Patienten erreicht. Zudem geht diese Chemotherapie mit starken Nebenwirkungen einher. Auch mit neuen Agenzien sind die CR-Raten bislang nicht sehr beeindruckend.
Die Dresdner Arbeitsgruppe ist nun der Frage nachgegangen, ob diese Salvage-Chemotherapie vor der alloHCT überhaupt erforderlich ist. Ihre Arbeits-Hypothese war, dass sie keinen zusätzlichen Nutzen bietet.
In die ASAP-Studie wurden Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren aufgenommen, die auf die erste Induktion schlecht angesprochen haben oder ein erstes, noch nicht behandeltes Rezidiv aufwiesen. Für die Patienten gab es einen HLA-gematchten Spender, und sie waren fit für die Salvage-Chemotherapie und die alloHCT.
Randomisiert wurden sie in einem Kontrollarm mit einer Remissionsinduktions-Strategie (RIST) und mit einer Krankheits-Kontrollstrategie (DisC) behandelt:
Im RIST-Arm erhielten 137 Patienten eine hochdosierte Chemotherapie mit Cytarabin 2 x 3 g/m² an Tag 1 bis 3 und Mitoxantron 10 mg/m² an Tag 3 bis 5 (HAM-Schema), gefolgt von einer alloHCL.
Im DisC-Arm wurden 139 Patienten sorgfältig beobachtet (Watchful Waiting) oder, falls erforderlich, mit niedrig dosiertem Cytarabin oder mit Mitoxantron behandelt und so rasch wie möglich (ASAP – as soon as possible) transplantiert.
Primärer Endpunkt der Studie war das krankheitsfreie Überleben (DFS) mit anhaltendem komplettem Ansprechen (CR) 56 Tage nach der alloHCT. Ziel war der Nachweis der Nichtunterlegenheit.
Wichtige sekundäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben ab der Randomisierung und das DFS 56 Tage nach Transplantation.
Nichtunterlegenheit der DiSC-Strategie nachgewiesen
Die demografischen Parameter der beiden Gruppen waren gut vergleichbar. Die Patienten waren im Median 61 Jahre alt, ca. 45% waren Frauen. Etwa 65% hatten auf die Induktion schlecht angesprochen, bei 35% war es zum Rückfall gekommen.
Im DisC-Arm konnte bei 76% der Patienten die Zeit bis zur alloHCT mit Watchful Waiting überbrückt werden, diese fand im Median nach 4 Wochen statt. Nach 16 Wochen hatten sich 97% einer alloHCT unterzogen, die Mehrzahl erreichte eine komplette Remission.
Im RIST-Arm erreichten 46% der Patienten nach der Hochdosis-Chemotherapie eine komplette Remission. Die meisten Patienten ohne CR wurden ebenfalls transplantiert. Insgesamt dauerte es im Median 8 Wochen bis zur alloHCT. 17 Wochen nach der Randomisierung waren im RIST-Arm 93% der Patienten transplantiert.
Der primäre Endpunkt DFS 56 Tage nach alloHCT wurde von 84,1% der Patienten im DisC-Arm und von 81,3% im RIST-Arm erreicht.
Das leukämiefreie Überleben 1 Jahr nach der Transplantation zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen (69% vs. 71,5%), ebenso wie das Gesamtüberleben 1 Jahr und 3 Jahre nach Studieneinschluss (71,9% vs. 69,1% und 54,2% vs. 51%).
Die Krankheitskontroll-Strategie ging mit signifikant weniger unerwünschten Wirkungen vom Schweregrad ≥ 3 einher (23% vs. 64%). Zudem mussten die Patienten mit durchschnittlich 19 Tagen wesentlich weniger Zeit vor der alloHCT im Krankenhaus verbringen als die Patienten der RIST-Gruppe mit 42 Tagen.
Die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus nach der alloHCT unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen.
Die Ergebnisse lassen nach Aussage von Schetelig vermuten, dass die CR zum Zeitpunkt der alloHCT weniger wichtig ist als bisher gedacht und dass eine minimale Krankheitslast vor der alloHCT keine unbedingte Voraussetzung für eine gutes Therapieergebnis ist.
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Credits:
Photographer: © Chirawan Somsanuk
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Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: ASAP-Studie bringt Therapiestandard bei AML ins Wanken: Transplantation so schnell wie möglich - Medscape - 20. Dez 2022.
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