Neues vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) [1]: Bei ihrer letzten Sitzung in 2022 empfehlen Experten 5 Medikamente zur Zulassung, darunter 3 Orphan Drugs und 1 Generikum. Die Details:
Hemgenix® (Etranacogene Dezaparvovec) bei Hämophilie
Die EMA hat empfohlen, Hemgenix® (Etranacogene Dezaparvovec) eine bedingte Zulassung zur Behandlung von schwerer und mittelschwerer Hämophilie B bei Erwachsenen zu erteilen, die keine Faktor-IX-Inhibitoren haben. Faktor-IX-Inhibitoren sind vom Immunsystem gebildete Autoantikörper, welche die Wirksamkeit von Faktor-IX-Medikamenten verringern.
Alle derzeit zur Behandlung der Hämophilie B zugelassenen Arzneimittel zielen darauf ab, Blutungsepisoden vorzubeugen oder Blutungsepisoden zu behandeln, die bei Operationen oder in Notfällen auftreten können, selbst wenn Patienten eine regelmäßige Therapie erhalten. Sie benötigen eine lebenslange Routinebehandlung mit Infusionen von Faktor-IX-Ersatzprodukten, um ausreichende Faktor-IX-Spiegel aufrechtzuerhalten.
Hemgenix® ist die erste Gentherapie zur Behandlung der Hämophilie B. Sie wird als einmalige Infusion verabreicht. Etranacogene Dezaparvovec basiert auf einem Adeno-assoziierten Virus, das so modifiziert wurde, dass es beim Menschen keine Krankheiten verursacht. Das Virus enthält Kopien des Gens, das für die Produktion von Faktor IX verantwortlich ist. Nach der Injektion wird das Virus zur Leber transportiert, wo das Gen in die Leberzellen des Patienten aufgenommen wird und die Produktion von Faktor IX in Gang setzt.
Die Zulassungsempfehlung der EMA stützt sich auf die Ergebnisse prospektiver, offener, einarmiger Studien, an denen 57 erwachsene männliche Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Hämophilie B teilgenommen haben. In der 1. Studie hielten die positiven Behandlungseffekte bis zu 3 Jahre nach der Infusion an. In der 2. Studie blieben die positiven Behandlungseffekte bei 52 Patienten bis zu 2 Jahre nach der Infusion erhalten. Es ist noch nicht bekannt, wie lange der Nutzen besteht.
Wirksamkeitsdaten zeigen, dass die Behandlung die Blutungshäufigkeit im Vergleich zur Standardbehandlung signifikant verringert wurde. Die Rate sank von 4,19 auf 1,51 Blutungen pro Jahr nach der Infusion. Klinisch relevante Werte der Faktor-IX-Aktivität wurden erreicht und die Notwendigkeit einer prophylaktischen Faktor-IX-Ersatztherapie wurden minimiert. 96% aller mit Hemgenix® behandelten Patienten konnten auf eine Routineprophylaxe verzichten.
Die Mehrzahl aller unerwünschten Ereignisse wurde als leicht eingestuft. Die Gentherapie kann zu einer Hepatotoxizität führen: eine häufige Nebenwirkung, die auf eine durch diese AAV-basierten Gentherapien ausgelöste Immunreaktion zurückzuführen ist und durch einen Anstieg der Transaminasen gekennzeichnet ist. Dagegen können Ärzte Kortikosteroide verabreichen.
Patienten sollten auch auf infusionsbedingte Reaktionen überwacht werden. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und grippeähnliche Symptome.
Die mit Hemgenix® behandelten Patienten werden 15 Jahre lang nachbeobachtet, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit dieser Gentherapie zu überwachen.
Imjudo® (Tremelimumab) beim hepatozellulären Karzinom
Der Ausschuss gab auch eine positive Stellungnahme zu Imjudo® (Tremelimumab) ab, das in Kombination mit Imfinzi® (Durvalumab) zur Behandlung von Erwachsenen mit hepatozellulärem Karzinom eingesetzt werden soll.
Tremelimumab, ein monoklonaler Antikörper, bindet an CTLA-4. Dieses Protein wird vor allem auf der Oberfläche aktivierter T-Lymphozyten exprimiert. Die Therapie führt zu einer Aktivierung und Proliferation von T-Zellen, was mit einer erhöhten T-Zell-Diversität und einer verstärkten Anti-Tumor-Aktivität einhergeht.
Imjudo® zeigt in Kombination mit Durvalumab eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens im Vergleich zur Standardtherapie mit Sorafenib, wie eine randomisierte, offene, multizentrische Phase-3-Studie bei Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom ergeben hat.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hautausschlag, Juckreiz, Durchfall, Bauchschmerzen, erhöhte Aspartat-Aminotransferase-Werte, Fieber, Hypothyreose, Husten, periphere Ödeme und erhöhte Lipase-Werte.
Pombiliti® (Cipaglucosidase alfa) bei Morbus Pompe
Grünes Licht gab der CHMO auch für Pombiliti® (Cipaglucosidase alfa) zur Behandlung der Glykogenspeicherkrankheit Typ II (Morbus Pompe).
Cipaglucosidase alfa, eine rekombinante humane saure α-Glucosidase, stellt eine exogene Quelle für saure α-Glucosidase dar; es handelt sich um eine Enzymersatztherapie.
Pombiliti® kann in Kombination mit Miglustat die motorischen Funktionen von Patienten mit spät einsetzender Pompe-Krankheit verbessern. Die häufigsten Nebenwirkungen sind infusionsbedingte Reaktionen wie Schüttelfrost, Schwindel, Urtikaria, Hautrötung, Schläfrigkeit, Anaphylaxie, Brustbeschwerden, Husten, Schwellungen an der Infusionsstelle und Schmerzen.
Tremelimumab AstraZeneca® (Tremelimumab) beim nicht-kleinzelligem Lungenkrebs
Der Ausschuss gab auch eine positive Stellungnahme zu Tremelimumab AstraZeneca® (Tremelimumab) für die Behandlung von metastasierendem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs in Kombination mit Imfinzi® (Durvalumab) und platinbasierter Chemotherapie ab.
Tremelimumab, ein monoklonaler Antikörper, bindet an CTLA-4, das vor allem auf der Oberfläche von T-Lymphozyten exprimiert wird, und steigert so die Aktivierung und die Proliferation von T-Zellen. In der Folge kommt es zu einer erhöhten T-Zell-Diversität und einer verstärkten Anti-Tumor-Aktivität.
Tremelimumab AstraZeneca® führt in Kombination mit Durvalumab und mit einer platinbasierten Chemotherapie bei der Erstlinienbehandlung von metastasiertem NSCLC zu einem längeren Gesamtüberlebens und einem längeren progressionsfreien Überleben im Vergleich zur Standardbehandlung. Das hat eine randomisierte, offene Phase-3-Studie gezeigt. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Anämie, Übelkeit, Neutropenie, Müdigkeit, Hautausschlag, Thrombozytopenie und Diarrhöe.
Generikum: Dimethylfumarat Accord® bei Multipler Sklerose
Nicht zuletzt hat der CHMP Dimethylfumarat Accord® zur Behandlung von Multipler Sklerose ein positives Gutachten ausgestellt.
Dimethylfumarat Accord ist ein Generikum von Tecfidera®, das seit 30. Januar 2014 in der EU zugelassen ist. Studien haben die zufriedenstellende Qualität von Dimethylfumarat Accord® und seine Bioäquivalenz mit dem Referenzprodukt Tecfidera® nachgewiesen.
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Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: Erste Gentherapie bei Hämophilie B; Tremelimumab beim hepatozellulären Karzinom – und weitere Empfehlungen - Medscape - 16. Dez 2022.
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