Reizdarm, Darmkrebs und Co. – welche Rolle spielt das Mikrobiom und wie kann eine KI bei der Diagnose helfen?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

27. Dezember 2022

Inwiefern bietet die systemische Charakterisierung des Darmmikrobioms nicht-invasive Ansätze für die Krankheitsdiagnose? In Nature beschreiben Dr. Qi Su vom Microbiota I-Center der chinesischen Universität in Hongkong und Kollegen ein Mikrobiom-basiertes Krankheitsmodell, mit dem sich u.a. Morbus Crohn, Darmkrebs, Reizdarm und andere Krankheiten erkennen lassen sollen [1].

Die Forscher haben ein maschinelles Lernmodell mit den fäkalen Metagenomdaten von 2.320 Personen mit 9 gut charakterisierten Phänotypen trainiert, darunter:

  • Darmkrebs,

  • kolorektale Adenome,

  • Morbus Crohn,

  • Colitis ulcerosa,

  • Reizdarmsyndrom,

  • Adipositas,

  • kardiovaskuläre Erkrankungen,

  • postakutes COVID-19-Syndrom und

  • gesunde Personen.

Das Modell erreicht bei der Vorhersage verschiedener Krankheiten unter Berücksichtigung von 50 Bakterienarten eine AUROC (Area Under the Receiver Operating Characteristics) von 0,90 bis 0,99, mit einer Sensitivität von 0,81 bis 0,95 bei einer Spezifität von 0,76 bis 0,98. Die Forscher hatten zum Abgleich Metagenomanalysen aus öffentlichen Datensätzen von 1.597 Proben aus verschiedenen Populationen herangezogen. Im Ergebnis zeigten sich vergleichbare Vorhersagen mit einer AUROC von 0,69 bis 0,91.

Verringerte Diversität des Mikrobioms ist nicht krankheitsspezifisch

Von der Anwendung in der klinischen Praxis ist ein solches Modell allerdings noch weit entfernt, erklärt Prof. Dr. Thomas Frieling. Der Chefarzt der Medizinischen Klinik II – Klinik für Gastroenterologie, Hepatologe, Neurogastroenterologie, Infektiologie, Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Helios Klinikum Krefeld würdigt gegenüber Medscape die Arbeit als „sehr interessante und faszinierende Studie – die Übertragung der Ergebnisse in die Klinik ist aber noch nicht in der Breite umsetzbar.“

Frieling gibt zu bedenken, dass dazu bei jedem einzelnen Patienten eine solche Analyse durchgeführt werden müsste. Ähnliche Analysen aus dem Stuhlmikrobiom wurden schon mehrfach versucht, allerdings ohne dass sich spezifische Therapien daraus ergeben hätten. „Man weiß inzwischen, dass bei vielen Erkrankungen – beispielsweise Reizdarmsyndrom – die Diversität des Mikrobioms verringert ist. Das ist aber keine krankheitsspezifische Entwicklung, so dass man daraus ableiten könnte, dass Probiotikum A, B oder C besonders für die Therapie geeignet sind“, erklärt Frieling.

Dass noch viele Fragen offen sind, spiegelt sich auch in der S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom wider. Eine mikrobielle Analytik der kommensalen Darmmikrobiota wird nicht empfohlen. Denn obwohl es einige Daten gibt, die eine Dysbiose beim Reizdarmsyndrom nachweisen, besteht zurzeit mit der Bestimmung des Mikrobioms kein validierter diagnostischer und therapeutischer Ansatz. Auch sind die wahrscheinlich wichtigeren Schleimhaut-adhärenten Bakterien kaum erforscht.

Die Leitlinie empfiehlt zwar nach den vorliegenden Studien einen Symptom-orientierten Einsatz unterschiedlicher Probiotika, die Datenlage muss aber noch deutlich verbessert werden.

Beispiel Mikrobiom-Transfer: Klinische Übertragbarkeit ist nicht so einfach

Wie schwierig die Übertragbarkeit in die Klinik ist, zeigt auch das Beispiel des Mikrobiom-Transfers („Stuhltransplantation“). Bei Clostridium-difficile-Infektionen sind „Stuhltransplantationen“ effektiv und werden beim 2. Rezidiv empfohlen, die Heilungsrate liegt bei 85%. Für andere Indikationen hingegen liegen bislang nur überzeugende Daten aus Tiermodellen vor.

 
Für den Einsatz von Mikrobiom-Transfers bei anderen, auch gastrointestinalen Erkrankungen haben wir noch keine klaren Daten, die den Einsatz in Klinik und Praxis rechtfertigen. Prof. Dr. Thomas Frieling
 

„Für den Einsatz von Mikrobiom-Transfers bei anderen, auch gastrointestinalen Erkrankungen haben wir noch keine klaren Daten, die den Einsatz in Klinik und Praxis rechtfertigen“, sagt Frieling. Deshalb sollten „Stuhltransplantationen“, z.B. bei der Colitis ulcerosa derzeit noch nicht außerhalb von Studien angewendet werden.

Krankheiten mit verringertem Reichtum der Mikrobiota assoziiert

Qi Su und Kollegen fanden insgesamt 363 signifikante Assoziationen zwischen den 50 Bakterienarten und verschiedenen Krankheitsphänotypen (FDR [false discovery rate] < 0,05). Im Vergleich zu gesunden Kontrollen waren fast alle Krankheitszustände mit einem signifikant verringerten Reichtum der Mikrobiota aus dem Bakterienstamm der Firmicutes oder Actinobacteria (FDR < 0,05) und einem signifikanten Anstieg der Bacteroidetes (FDR < 0,05) verbunden.

Ein Ungleichgewicht des Verhältnisses Firmicutes/Bacteroidetes wurde zuvor vor allem bei Patienten mit Fettleibigkeit und Reizdarm festgestellt. Probanden mit Adipositas zeigten z.B. einen Anstieg von Actinomyces naeslundii, Actinomyces odontolyticus und Actinomyces oris, und Probanden mit Reizdarm zeigten einen Anstieg von Collinsella aerofaciens und Collinsella stercoris.

 
Insgesamt haben unsere Daten gezeigt, dass ein fäkales Mikrobiom-basiertes Modell für die Krankheitsdiagnose machbar ist. Dr. Qi Su und Kollegen
 

„Insgesamt haben unsere Daten gezeigt, dass ein fäkales Mikrobiom-basiertes Modell für die Krankheitsdiagnose machbar ist“, schreiben Qi Su und Kollegen. Die Neuheit liege im hochwertigen Datensatz und den reproduzierbaren Methoden des maschinellen Lernens.

„Wir sind der Ansicht, dass dieses Modell potenzielle klinische Anwendungen hat und als nicht-invasive Methode zum Screening verschiedener Krankheiten in der klinischen Praxis oder zur Risikobewertung von Krankheiten dienen kann. Unsere Ergebnisse haben auch Auswirkungen auf die mögliche Entwicklung von Biomarkern für die Vorhersage des Therapieansprechens“, so die Autoren.

 
Wir sind der Ansicht, dass dieses Modell potenzielle klinische Anwendungen hat. Dr. Qi Su und Kollegen
 

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Kommentar

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