Cannabis-Verordnungen für Hausärzte bald verboten? Vorschläge von G-BA bringt Ärzte auf die Barrikaden

Christian Beneker

Interessenkonflikte

14. Dezember 2022

Da schütteln die Hausärztinnen und Hausärzte die Köpfe: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Vorschläge zur Cannabis-Verordnung vorgelegt, die darauf hinauslaufen, die Hausärzte aus der Verordnung der Droge hinauszudrängen. Hausärzte ohne Zusatzbezeichnung in spezieller Schmerztherapie oder Palliativmedizin sollen gar kein Cannabis mehr verordnen dürfen, so der G-BA.

Dr. Hans Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Bremen, bezeichnete die Entscheidung des G-BA als „völligen Quatsch“. Warum dürften Hausärztinnen und Hausärzte zwar Morphium verschreiben, das ein wesentlich stärker wirkendes Medikament etwa gegen Schmerzen sei, während die Verordnung von Cannabis den Hausärzten entzogen werden solle, fragt der Bremer Hausärztechef. „Mir erscheint das hohl“, sagte Mühlenfeld zu Medscape. Allerdings hält er grundsätzlich nicht besonders viel von Cannabis als Medikament. „Wir versorgen höchsten 1 bis 2 Patienten in unserer Praxis mit Cannabis“, sagt der Bremer Hausarzt.

Auch Dr. Barbara Römer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz, kritisiert den G-BA. „Wenn ich bei meinen Schmerzpatientinnen und -patienten mit meinem Blumenstrauß an Therapiemöglichkeiten nicht mehr weiterkomme, dann möchte ich weiter auf Cannabis zurückgreifen können.“ Anders als Mühlenfeld verschreibt Römer Cannabis etwa an ihre Schmerzpatientinnen und Patienten.

 
Im Übrigen gibt es gar nicht genug Neurologen oder Schmerzmediziner, zu denen unsere Patienten wegen Cannabis-Verordnungen gehen könnten. Dr. Barbara Römer
 

„Was der G-BA mit den Hausärzten vorhat, geht deshalb gar nicht!“ Schließlich würden die Hausärzte bei ihren Tumorpatienten die Einstellung mit Schmerzmittel machen und nur in sehr komplexen Fällen einen Facharzt hinzuziehen. „Im Übrigen gibt es gar nicht genug Neurologen oder Schmerzmediziner, zu denen unsere Patienten wegen Cannabis-Verordnungen gehen könnten“, sagt Römer.

Die allermeisten Patienten profitieren

Was genau hat die beiden Landesverbands-Chefs so verärgert? Um über die Bedingungen zu entscheiden, von wem und an wen und bei welchen Diagnosen künftig Cannabis als Medikament verschrieben werden darf, hat der Gesetzgeber von 5 Jahren das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einer sogenannten Begleiterhebung beauftragt.

Alle Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verordnen, waren dazu verpflichtet, die Verordnungsdaten an das BfArM zu übermitteln. Im Sommer legte das Institut die Ergebnisse vor, auf dessen Basis der G-BA Vorschläge dazu erarbeitet, was künftig in der Arzneimittelrichtlinie zum Thema Cannabisarzneimittel stehen soll.

Von 2017 bis 2022 lief die Begleiterhebung: Welche Ärzte haben verordnet? Was wurde wie lange verordnet? Welche Folgen hatten die Verordnungen? Auffällig war, dass dem BfArM nach 5 Jahren nur rund 16.800 vollständige Datensätze vorlagen. Und das, obwohl die verordnenden Ärztinnen und Ärzte verpflichtet gewesen waren, ihre Verordnungsdaten zur melden.

 
Die verordnenden Ärzte habe nicht gemeldet, weil sie schon jetzt im Dokumentationswahnsinn untergehen. Dr. Barbara Römer
 

Hausarzt Mühlenfeld vermutet, 99% aller Verordnungen von Cannabis seien durch Hausärzte vorgenommen worden. Die Frage ist nur: Warum haben sie ihre Verordnungen nicht gemeldet?

Rheinland-Pfalz´ Hausärztechefin Römer sieht einen ganz alltäglichen Grund dafür: „Die verordnenden Ärzte habe nicht gemeldet, weil sie schon jetzt im Dokumentationswahnsinn untergehen.“ Allein für eine einzige Corona-Impfung zählt man in den Praxen derzeit 30 Ziffern, schimpft die Hausärztin. „Um dann auch noch die Cannabis-Verordnungen zu melden, dazu fehlt einfach die Zeit“, sagt Römer zu Medscape.

Werden die Hausärzte rausgedrängt, weil sie sonst zu viel Cannabis verordnen würden?

Indessen ergab die Auswertung der BfArM-Daten ein für die Verordner und ihre Patienten positives Bild:

  • In fast 75% der Fälle gingen die Symptome zurück.

  • Die Lebensqualität besserte sich in 70% der Fälle.

  • In 38,5% der Fälle dagegen trat keine Besserung ein.

  • In 25,9% der Fälle wurde die Therapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen.

  • In 20,25% der Fälle war der Tod der Patienten der Grund für den Abbruch.

Am häufigsten (76,4%) wurde Cannabis gegen Schmerzen verordnet, gegen Spastiken in 9,6% oder gegen Anorexie in 5,1% der Fälle. Dabei war Cannabis für viele Ärzte und Patienten das letzte Mittel. Jedenfalls wurden die Patienten im Schnitt seit 8 Jahren wegen der Symptomatik behandelt, bevor Cannabis eingesetzt wurde.

Am häufigsten wurden die Arzneimittel von Anästhesiologen verordnet, gefolgt von den Hausärztinnen und Hausärzten und den Neurologen. Mühlenfelds Schätzung findet sich bei Weitem nicht in der Stichprobe, die das BfArM ausgewertet hat.  

Der G-BA nun hat in seinem Beschluss auf Basis der Begleiterhebung als vielleicht wichtigsten Punkt, Hausärztinnen und Hausärzten das Recht zur Verordnung von Cannabis zu entziehen. Nur noch Hausärzte mit Zusatzbezeichnung für spezielle Schmerzmedizin oder Palliativmedizin dürften Cannabis verschreiben. Abgesehen von dieser Regelung sollten nur Fachärzten mit speziellen Qualifikationen Cannabis verordnen dürfen, etwa Anästhesiologen oder Neurologen ihren Schmerzpatienten – oder nur Internisten, Hämatologen und Onkologen und Fachärzte mit Schwerpunktbezeichnung gynäkologische Onkologie ihren Krebspatienten.

Damit haben die Hausärztinnen und Hausärzte das Nachsehen. Aus Mühlenfelds Sicht ist die Absicht des G-BA klar: Weil die Hausärzte wahrscheinlich die häufigsten Verordner von Cannabis sind, soll ihnen die Rechte entzogen werden, so Mühlenfeld, „weil sonst die Verordnungen aus dem Ruder laufen.“

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