„30.000-mal werden in Deutschland jährlich Beine bei Diabeteskranken abgenommen und fast immer ist eine nicht heilende Wunde am Fuß die Ursache“, erinnerte Dr. Berthold Amann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Franziskus-Krankenhaus Berlin, auf der Diabetes Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die in diesem Jahr in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA) stattfindet [1] .
Häufigste Ursache eines diabetischen Fußsyndroms (DFS) sind die diabetische Neuropathie und die periphere arterielle Verschlusserkrankung (PAVK). Lassen sich diese Wunden trotz konsequenter Anwendung von Druckentlastung, Infektionsbekämpfung und Revaskulisierung (DIRA-Prinzip) nicht schließen, droht die Amputation. „Ein Eingriff, der die Lebenserwartung drastisch verkürzt, weil fast immer mit dauerhafter Bettlägerigkeit verbunden – weniger als 15% der ober- oder unterschenkelamputierten Diabeteskranken können wieder mit Prothesen gehen lernen“, so Amann.
Häufig werden Patienten mehrfach operiert, um eine Amputation abzuwenden, doch auch mehrfache Revaskularisierung kommt an ihre Grenzen: „Es ist nur eine bestimmte Anzahl – die Faustregel besagt 5 – an revaskularisierenden Eingriffen möglich“, bestätigte Amann. Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, wird nach Therapiemethoden für chronische Wunden gesucht. Amann stellte einige Behandlungsansätze vor.
Umgehungskreisläufe fördern: Die Zelltherapie der PAVK
Tatsächlich werden keine echten Stammzellen eingesetzt, sondern Vorläufer- und Reparaturzellen – entweder aus dem Knochenmark des Patienten, aus seinem Fettgewebe oder auch im Labor aus Patientenzellen expandierte Zellpopulationen, z.B. aus Bindegewebszellen der Haut. Der Hintergrund ist, dass bei Diabetes die Fähigkeit Umgehungskreisläufe (Kollateralarterien) bei PAVK zu bilden, deutlich reduziert wird. Die Behandlung mit patienteneigenen Vorläuferzellen oder kultivierten Fremdspenderzellen soll diese Umgehungskreisläufe zum Wachsen anregen und dadurch die Blutversorgung verbessern im Sinne eines „Natural Bypass“.
Die meisten Erfahrungen liegen mit autologen Knochenmarkzellen vor – laut Übersichtsarbeiten wurden circa 12.000 Patienten weltweit seit 2005 mit Knochenmarkzellen behandelt, mit Wundheilungsraten zwischen 10 und 80%. Mit Zellen aus Fettgewebe oder aus Fibroblastenkulturen geschätzt etwa weitere 5.000 Patienten, auch hier mit Ansprechraten zwischen 10 und 70%.
Gravierende Nebenwirkungen traten nicht auf, die therapeutische Effizienz ist aber noch nicht bewiesen. Die Zelltherapie wird oft als Ultima Ratio zum Erhalt der Extremität beim durchblutungsbedingten DFS eingesetzt. Über 100 Arbeitsgruppen weltweit forschen an zellulär-regenerativen Therapien bei Durchblutungsstörungen.
Vampirtherapie, Plasmatherapie und hyperbarer Sauerstoff
Diese Therapie ist aus der ästhetischen Medizin als „Vampirtherapie“ bekannt. Dabei wird Blut zentrifugiert, die Blutplättchen isoliert und konzentriert, das Plättchenkonzentrat wird auf die Wunde aufgebracht und aktiviert. Das Konzentrat zerfällt und die darin gespeicherten, hochkonzentrierten Wachstumsfaktoren werden freigesetzt. Plättchenreiches Plasma (PRP) ist hilfreich bei flachen, großen Wunden, da das Hautwachstum geboostert wird. Auch bei durchblutungsgestörten Wunden kann dieser Boost entscheidend für den Heilungsfortschritt und den Wundverschluss sein.
Die Studienlage zur PRP ist so tragfähig, dass ein Therapieversuch bei Nichtheilen einer Wunde trotz optimaler bisheriger Behandlung empfehlenswert scheint. Relevante Nebenwirkungen traten unter PRP-Therapie nicht auf, und sie kann mehrfach wiederholt werden.
Das Prinzip der Plasmatherapie ist ionisiertes Gas: Durch Elektrizität wird Plasma erzeugt, das heißt elektrisch geladene Teilchen (Ionen) aus der Raumluft. Ein Plasma-Pen ist nicht größer als ein Füller. Allerdings sind manche Geräte auf dem Markt nicht standardisiert. Nahe der Wunde erzeugt und ein bis 5 Mal wöchentlich angewandt, soll gasförmiges Plasma Bakterien auf der Wunde abtöten und die Wundheilung anregen.
Die Euphorie ist groß, die Studienlage widersprüchlich. Wie Amann berichtet, haben sich erfreulicherweise Ärzte aus verschiedenen Disziplinen zusammengefunden und versuchen, den Wildwuchs durch Leitlinien zur Plasmamedizin zu ordnen und standardisierte Anforderungen an die Geräte zu kontrollieren. „Plasma wird sicher ein großes Thema in den nächsten Jahren bleiben“, so Amann.
Selten eingesetzt wird die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO). Ziel der HBO ist, das Wundgewebe des Fußes mit mehr Sauerstoff zu versorgen und eine Heilung anzuregen. Der G-BA befürwortete 2018 die HBO, trotzdem sind die Meinungen zumindest geteilt, wenn nicht überwiegend ablehnend. Der riesige technische und personelle Aufwand, die hohen Kosten und eine negative Cochrane-Bewertung der HBO haben die hyperbare Sauerstofftherapie zu einer selten angewandten Behandlung werden lassen.
Für die genannten Methoden bemühe man sich um Evidenz, um Nutzen oder Schaden zu beweisen, sagte Amann. Für „Außenseitermethoden“ wie „medizinischen“ Honig, Zitronensaft auf Wunden, Bioresonanz, TCM, Ozon usw. – gälte das nicht. „Dass viele DFS-Patienten trotzdem sogenannte Außenseitermethoden einsetzen, zeigt uns, dass noch viel zu tun ist in der Wundheilung“, schloss Amann.
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Credits:
Photographer: © Monthira Yodtiwong
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Vampir-Therapie, Stammzellen oder Kaltplasma – kennen Sie die neuesten Methoden der Wundbehandlung bei Diabetikern? - Medscape - 9. Dez 2022.
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