MEINUNG

Abnehm-Medikament wird knapp – auch weil Semaglutid immer häufiger im Off-Label-Einsatz von Übergewichtigen verwendet wird 

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

5. Dezember 2022

Prof. Dr. Harald J. Schneider

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid wird zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt. Die Substanz kann aber auch beim Abnehmen helfen – und ist seit Juni 2021 in den USA, seit Januar 2022 in der EU zur Adpositas-Therapie zugelassen. Mittlerweile aber wird das Mittel zunehmend off-label bei Übergewichtigen als Life-Style-Medikament zum Abnehmen eingesetzt, warnt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE). 

Prof. Dr. Harald J. Schneider, Leiter des Zentrums für Endokrinologie und Stoffwechsel in Landshut und Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie der DGE, erklärt im Interview die Hintergründe und warnt davor, das Mittel ohne Indikation einzusetzen. 

Medscape: In den USA wird Semaglutid zunehmend off-label eingesetzt, und auch in Deutschland gibt es diesen Trend. Wie kam es dazu?

Schneider: GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid helfen erfolgreich bei der Kontrolle des Diabetes und beim Abnehmen, indem sie Sättigungsgefühl verstärken und Hunger und Heißhunger reduzieren. Semaglutid wird unter dem Namen Ozempic® zur Diabetestherapie eingesetzt und – höher dosiert – unter dem Namen Wegovy® auch zur Behandlung der Adipositas. 

Derzeit ist Wegovy® allerdings in einigen Teilen der Welt, auch in Deutschland, aufgrund von Lieferproblemen noch nicht erhältlich. Deshalb wird häufig auch Ozempic® verordnet, um Menschen dabei zu helfen, ihr Gewicht zu reduzieren. 

 
GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid helfen erfolgreich bei der Kontrolle des Diabetes und beim Abnehmen. Prof. Dr. Harald J. Schneider
 

Hollywoodstars bewerben den Wirkstoff über soziale Plattformen 

Medscape: Trägt dieser Off-Label-Use zu einer Verknappung des Mittels für Diabetiker bei?

Schneider: Ja. Man muss aber unterscheiden: Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Adipositas gesundheitliche Probleme haben und schon alles Mögliche versucht haben, um abzunehmen – ohne Erfolg. Bei diesen Menschen ist ein Medikament, das ihnen bei der Gewichtsreduktion helfen kann, tatsächlich sehr sinnvoll. Eine solche medikamentös unterstützte Gewichtsabnahme muss natürlich in ein ärztliches Konzept eingebettet sein, das auch erhöhte körperliche Aktivität und eine kalorienreduzierte Diät umfasst. 

Wenn es jetzt für diese Patienten – aufgrund von Lieferschwierigkeiten – das zugelassene Medikament nicht gibt, wird manchmal eben Ozempic® als Off-Label-Therapie verschrieben. Diese Patienten müssen dann in eine solche Off-Label-Therapie einwilligen und auch die Kosten dafür tragen. 

Inzwischen ist durch den Off-Label-Use der Wirkstoff Semaglutid mancherorts knapp geworden. Ich glaube aber, dass das Grundproblem gerade in den USA eher darin besteht, dass viele Menschen, die das nehmen, nicht die Kriterien einer Adipositas erfüllen. Vielleicht sind diese Menschen gar nicht übergewichtig oder nur ein wenig. Beworben wird Ozempic® beispielsweise von Prominenten wie Elon Musk und von Hollywoodstars über soziale Plattformen wie TikTok. 

Diese Menschen haben aber nicht wirklich ein Problem mit Übergewicht, sondern nutzen das Mittel nur dazu, um damit noch ein paar Kilos abzunehmen. Das ist ein komplett falscher Einsatz des Mittels und strahlt auch eine gefährliche und falsche Botschaft in die Welt aus. Alleine der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in Sozialen Medien geteilt.

 
Inzwischen ist durch den Off-Label-Use der Wirkstoff Semaglutid mancherorts knapp geworden. Prof. Dr. Harald J. Schneider
 

Grenzen der Zulassung

Medscape: Heißt das, wer nicht adipös ist und nicht an Diabetes leidet, bekommt das auch verordnet? Oder bekommt man das Medikament auch ohne Rezept?

Schneider: Eigentlich ist das Mittel verschreibungspflichtig. Aber man weiß z.B. aus dem Dopingbereich, dass auch dort verschreibungspflichtige Substanzen in die Hände von Menschen gelangt sind, in die sie eigentlich nicht gehören. Ich kann nur vermuten, dass manche Menschen es verordnet bekommen, obwohl es für ihren Zweck – ein paar Kilos zu verlieren – eigentlich nicht zugelassen ist. 

Denn für die Zulassung von Semaglutid zur Behandlung der Adipositas gibt es klare Grenzen. Es kommt infrage für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30, die also adipös oder fettleibig sind. Oder für Menschen mit einem BMI über 27, bei denen Übergewichts-assoziierte Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck oder zu hohe Cholesterinwerte vorliegen. Zugelassen ist es jeweils in Verbindung mit der Durchführung einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität. 

 
Für die Zulassung von Semaglutid zur Behandlung der Adipositas gibt es klare Grenzen. Prof. Dr. Harald J. Schneider
 

Medscape: Welche Risiken sind mit der unkontrollierten Anwendung ohne Indikation verbunden?

Schneider: Die speziellen Risiken, die mit der Anwendung von Semaglutid einhergehen, sind Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfälle. Die Folgen können aber auch Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und Erkrankungen der Gallenblase sein. Manchmal können auch Gallensteine auftreten. Besteht eine Neigung zu Gallensteinen, sollte man mit der Einnahme vorsichtig sein. In Tiermodellen hat man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Arten von Schilddrüsenkrebs gefunden. 

Diese Risiken können natürlich auch bei denjenigen auftreten, für die das Medikament induziert ist. Deswegen ist es so wichtig, dass die Anwendung ärztlich kontrolliert wird. Man sollte auch nicht vergessen: Wenn sich eine Person mit einem Gewicht von 50 Kilogramm dieses Mittel spritzt, kommt es zu anderen Konzentrationen des Medikaments, als wenn das eine Person anwendet, die 200 kg wiegt. 

Medscape: Neben Semaglutid gibt es ja noch weitere GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid, Albiglutid oder Dulaglutid. Wird hauptsächlich Semaglutid off-label zum Abnehmen eingesetzt? 

Schneider: Semaglutid weist in Bezug auf die Gewichtsreduktion die höchste Effektivität unter den derzeit zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten auf. In großen klinischen Studien, wie etwa der STEP-1-Studie, lag die Gewichtsreduktion unter der Therapie mit Semaglutid nach 68 Wochen bei 14,9%. Dabei wurde es in der Dosis von 2,4 mg einmal wöchentlich als Spritze verabreicht und von Lebensstiländerungen begleitet. Die Placebo-Gruppe nahm im gleichen Zeitraum nur 2,4% ab. 

Teilweise zeigt sich auch unter anderen Mitteln aus der gleichen Wirkstoffgruppe eine Gewichtsreduktion, aber unter Semaglutid ist die Gewichtsreduktion besonders deutlich.

Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

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