Post-COVID bzw. Long-COVID: RKI-Forscher auf der Suche nach Evidenz – moderne Technik unterstützt sie dabei

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

2. Dezember 2022

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie untersucht das Robert Koch-Institut (RKI) die Infektionsverbreitung und den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Dazu gehören beispielsweise die Antikörperstudien CoMoLo und CoMoBu, die Befragung zur Kindergesundheit KIDA, die Corona-KiTa-Studie oder die Corona-Datenspende-App. Ab Mitte 2021 wurden in die Studien auch Fragen zu Long-COVID eingebracht. Das ermöglicht Vergleiche von Infizierten mit Nicht-Infizierten in Hinblick auf Symptome, Lebensqualität, Inanspruchnahme medizinischer Versorgung und gesundheitsbedingte Einschränkungen im Alltag. Mögliche Long-COVID-Symptome analysieren Forscher auch im Rahmen der COViK-Studie. Darüber hinaus führt das RKI die vielfältige wissenschaftliche Evidenz bei Langzeitfolgen von Infektionen zusammen. Auf einem Webinar wurden jetzt einige dieser Projekte vorgestellt [1]

Routinedaten der Krankenkassen analysiert

Das Projekt „Postakute gesundheitliche Folgen von COVID-19“ (POINTED) am RKI zielt darauf ab, die Public-Health-Forschung zu Post-COVID auszubauen. Grundlage sind Routinedaten der GKV. 

Zentrale Ergebnisse haben die Wissenschaftler in PLOS Medicine publiziert. In die retrospektive gematchte Kohortenstudie wurden mehr als 157.000 Menschen, die sich in Deutschland mit SARS-CoV-2 infiziert hatten, eingeschlossen. Die Studienautoren fanden bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in 13 vorgegebenen Symptomkomplexen eine signifikante neu auftretende Morbidität nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Ergebnisse wurden auch auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie am 29.3.2022 vorgestellt.

Befragung von haus- und von Kinderärzten

Wie Dr. Christina Poethko-Müller, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring beim RKI, weiter berichtete, sei geplant, die Wissenschaftskommunikation zu Post-COVID ausgebaut werden. Das RKI führt zusammen mit der Allgemeinmedizin der Charité und der Kinder-und Jugendmedizin der TU Dresden eine Befragung von Haus-und Kinderärzten durch. Online wird in Erfahrung gebracht, wie der aktuelle Informations- und Unterstützungsbedarf zu Long-COVID bei Kinder-und Hausärzten ist. 

Damit wollen die Forscher herausfinden, in welchem Umfang Kinder-und Hausärzte Patienten mit Long-COVID in ihrem Praxisalltag sehen, welche Herausforderungen damit einhergehen, auf welche Informationen sie zurückgreifen und welchen Informations- und Unterstützungsbedarf sie haben. 

Auch die Zusammenarbeit zwischen dem RKI und den medizinischen Fachgesellschaften, Berufsverbänden, Netzwerken der niedergelassenen Ärzte und dem öffentlichen Gesundheitsdienst soll ausgebaut und verbessert werden. Außerdem wird ein Austausch mit Vertretern bundesweiter Patienteninitiativen angestrebt, um auch die Betroffenenperspektive stärker zu berücksichtigen.

Symptome und langfristige Folgen von Long-COVID: Evidenzsynthese am RKI

Noch ist unklar, welche gesundheitlichen Langzeitfolgen direkt in Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion stehen, wer in welcher Weise davon betroffen ist und welche Risiko- und Schutzfaktoren für Long-COVID wichtig sind. Das komplexe Krankheitsbild und eine heterogene Studienlage machen es nach wie vor schwierig, Antworten auf diese Fragen zu geben. Zusammen mit Cochrane Deutschland und Argentinien hat das RKI eine systematische Evidenzsynthese zu den Symptomen und langfristigen Folgen von Long Covid anhand eines Scoping Reviews durchgeführt. Details stellte Dr. Rebekka Mumm vom Projektteam Evidenzsynthese des RKI vor: 

  • Mit dem 5. November 2021 als Stichtag wurde eine umfassende systematische Bestandsaufnahme epidemiologischer Studien unternommen. 

  • Methodische Aspekte wie Studiendesign und Studiendauer, Charakteristika der Studienpopulation sowie gesundheitliche Endpunkte etc. wurden dazu systematisch erfasst. 

  • Die Ergebnisse dieses Scoping Reviews wurden in 6 Evidence Maps nach verschiedenen Fragestellungen zusammengefasst. 

  • Insgesamt wurden 9.568 Artikel und Preprints aus dem COVID-19-Studienregister von Cochrane und 285 Artikel aus der Literatur-Datenbank der WHO zu COVID-19 identifiziert. 

  • Eingeschlossen wurden schließlich 565 Studien, die die Grundlage für die nachfolgenden Evidence Maps bilden.

Maps als Datengrundlage für Reviews nutzen

Map 1 setzt sich aus Studien zu langfristigen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion bei Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen zusammen. Die Datenlage ist sehr heterogen, wobei Studien mit longitudinalem Design etwas häufiger vorkommen als Querschnittsstudien. Für Kinder und Jugendliche liegen deutlich weniger Studien vor als für Erwachsene. 

In Map 2 sind die langfristigen Folgen einer Infektion in kontrollierten Studien mit Erwachsene zusammengefasst. Im Vergleich zu Erwachsenen liegen bei Kindern und Jugendlichen noch weniger Studien mit Kontrollgruppe vor, der Großteil der Studien weist keine Kontrollgruppe auf. 

Langfristige Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion in kontrollierten Studien mit Kindern und Jugendlichen wurden in Map 3 zusammengefasst. Blickt man auf die Studiendauer, zeigt sich, dass die Nachbeobachtungszeit bei Erwachsenen meist länger als 12 Wochen beträgt, der Median liegt bei 13,1 Wochen. Erhebliche Unterschiede gibt es bei den Endpunkten: Während z.B. viele Studien zu respiratorischen Folgen vorliegen, sind Beeinträchtigungen im Alltag, Einbußen der Lebensqualität und die Rückbildung der Symptome weniger gut erforscht. 

In Map 4 zeigt sich bei Kindern und Jugendlichen ein ähnliches Bild. Die meisten Studien haben eine Dauer von mehr als 12 Wochen. Während viele Studien zu respiratorischen Folgen und Fatigue vorliegen, sind Beeinträchtigungen im Alltag und Veränderungen der Lebensqualität weniger gut erforscht. 

Map 5 ergab, dass im Vergleich zu Erwachsenen mögliche Risikofaktoren für Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen nur selten berücksichtigt werden. 

Map 6 zu den Determinanten der Entstehung von Long-COVID bei Erwachsenen und Kindern & Jugendlichen bildet ab, dass es diverse Studien mit Erwachsenen gibt und nur wenige mit Kindern. 

Alle Maps lassen sich als Datenrepositorium für systematische Reviews nutzen, wobei die zugrunde liegende Studien automatisch sichtbar gemacht und Forschungslücken aufgezeigt werden können.

Spezifische Recherche nach Therapien oder nach Preprints

Um eine effektive Literaturrecherche zu ermöglichen, arbeitet die Long-COVID-Gruppe des RKI mit dem „preVIEW: COVID-19“-Service der ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften und dem Narrative-Service des Fachinformationsdienstes Pharmazie zusammen. 

Die von Hermann Kroll vom Institut für Informationssysteme der TU Braunschweig vorgestellte PubPharm-Rechercheplattform ist eine frei zugängliche, wirkstoffzentrierte Suchmaschine. Der daraus genutzte Narrative Service der PubPharm wurde mit dem Ziel entwickelt, noch präzisere Resultate zu erzeugen, etwa bei der Suche nach Statements. Jede Aussage besteht aus einem Subjekt (z.B. Medikament) und einem Objekt (z.B. eine Krankheit). Anhand von Beispielanfragen also voreingestellten Suchen zu Long-COVID oder möglichen Therapieansätzen bietet der Narrative Service eine vereinfachte Suchoption.

Wer Preprints zu Long-COVID sucht, wird in preView fündig. Diese öffentliche, semantische Suchmaschine wurde speziell für COVID-19-bezogene Preprints, die von vielen verschiedenen Preprint-Servern stammen, entwickelt. 

Laut Lisa Kühnel vom ZB MED Informationszentrum Lebenswissenschaften seien dafür mehr als 60.000 COVID-19-assoziierte Preprints aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt worden. Durch Text Mining generierte semantische Konzepte ermöglichen spezifische Suchen, etwa für einzelne Virusvarianten oder Symptome. Eine speziell trainierte Klassifikation bietet zusätzlich eine vereinfachte Suche nach Long-COVID-Preprints. Über das Feedback der Nutzer wird das Tool kontinuierlich weiterentwickelt. 

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Kommentar

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