Hoffnungsschimmer bei Alzheimer – aber zu welchem Preis? Neuer Antikörper verlangsamt Abbau, aber Nebenwirkungen machen Sorgen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

1. Dezember 2022

Der Amyloid-Antikörper Lecanemab kann den kognitiven Abbau bei Alzheimer im Frühstadium signifikant verlangsamen, auch die Amyloidlast im Gehirn sinkt signifikant – aber das Ganze kommt nicht ohne Risiko, wie ein internationale Autorengruppe im New England Journal of Medicine berichtet [1].

Die auch bei der 5th Clinical Trials on Alzheimer's Disease (CTAD) Conference in San Francisco präsentierte Phase-3-Studie zu Lecanemab wurde in der Alzheimer-Community gespannt verfolgt. Insbesondere seit Biogen und Eisei im September vorab positive erste Ergebnisse veröffentlicht hatten (Medscape berichtete).

In der nun publizierten Phase-3-Studie CLARITY AD seien unter Lecanemab deutlich häufiger Nebenwirkungen aufgetreten als unter Placebo – darunter auch Ödeme und Mikroblutungen im Gehirn, schreiben Dr. Christopher H. van Dyck und seine Kollegen.

In einem Bericht, der gerade in Science erschien, wurde Lecanemab allerdings mit einem Todesfall einer 65-Jährigen Teilnehmerin einer Studie in Verbindung gebracht. Sie starb an einer massiven Hirnblutung (Medscape.com berichtete).

In einer Präsentation auf der CTAD-Konferenz nahm der Co-Autor der Studie, Dr. Marwan Sabbagh, vom Barrow Neurological Institute in Phoenix, USA, dazu Stellung. Er sagte, dass 2 blutungsbedingte Todesfälle in einer Open-label-Fortführung der Studie aufgetreten waren. Einer stand im Zusammenhang mit einer Schlaganfalltherapie mit einem gewebespezifischen Plaminogenaktivator, was sich mit der Beschreibung in dem Science-Bericht decken würde. „Patienten, die eine Antikoagulation erhalten, müssen möglicherweise weiter geprüft werden“, so Sabbagh.

Doch hinsichtlich der Mortalität gab es in der großen NEJM-Studie keine Auffälligkeiten. Experten gehen davon aus, dass sie die Basis für die Zulassungsanträge bei FDA und EMA bilden wird, auch wenn die Autoren schreiben: „Es sind noch längere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Lecanemab bei Alzheimer im Frühstadium zu ermitteln“. Möglicherweise fällt die FDA schon eine Entscheidung im Januar.

Hat Lecanemab mehr Chancen auf Zulassung in Europa?

In den USA ist bereits ein anderer Anti-Amyloid-Antikörper zugelassen, Aducanumab (Aduhelm®, Biogen). Sein Einsatz ist hoch umstritten, in Studien hatte er keinen Effekt auf die Kognition gezeigt, weshalb sich die EMA gegen die Zulassung für Europa entschieden hatte.

An der Phase-3-Studie CLARITY AD nahmen 1795 an einer frühen Alzheimer-Krankheit (leichte kognitive Beeinträchtigung oder leichte Demenz) erkrankte Personen teil. Das Vorliegen von Amyloid-Plaques war bei ihnen per Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder Testung der Zerebrospinalflüssigkeit nachgewiesen.

Intravenöse Gabe alle 2 Wochen erforderlich

Sie wurden über 18 Monate randomisiert entweder mit Lecanemab oder Placebo behandelt. Dabei wurde Lecanemab alle 14 Tage in einer Dosis von 10 mg pro kg Körpergewicht intravenös verabreicht.

Der primäre Endpunkt war die Veränderung eines Kognitionsparameters, des Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes (CDR-SB), vom Studieneinschluss bis zum 18-Monats-Zeitpunkt. Sekundäre Endpunkte waren die Abnahme der Amyloidlast im PET und die Veränderung auf 2 weiteren Kognitionsskalen (ADAS-cog14, ADCOMS) sowie einer Skala zur Bewertung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADCS-ADL).

Positiver Effekt auf Kognition und Amyloidlast

Zu Studienbeginn hatten die Teilnehmer in beiden Gruppen einen noch relativ niedrigen CDR-SB-Score von im Schnitt 3,2 (geringe kognitive Beeinträchtigung). Unter der Behandlung mit Lecanemab stieg der Score in 18 Monaten um 1,21 Punkte, in der Placebogruppe dagegen um 1,66 Punkte. Die Differenz von -0,45 Punkten war statistisch signifikant und entspricht einer Verlangsamung des Abbaus der kognitiven Fähigkeiten um 27%. Bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37% aus.

Darüber hinaus kam es in der Lecanemab-Gruppe zu einer größeren Abnahme der Amyloidlast im Gehirn als in der Placebogruppe. Die Differenz betrug -59,1 Centiloide.

Es können Ödeme und Mikroblutungen im Gehirn auftreten

Wie bei der Therapie mit anderen gegen Amyloid gerichteten Antikörpern traten unter der Behandlung mit Lecanemab auch unerwünschte Wirkungen auf. Die häufigste Nebenwirkung war eine unmittelbare Reaktion auf die Infusion, eine Überreaktion gegen den Antikörper, bei 26,4% der Patienten. Mehrheitlich wurde diese jedoch als mild bis moderat beschrieben.

Die wahrscheinlich wichtigere Nebenwirkung war aber eine Signalveränderung, die in der Bildgebung des Gehirns zu sehen war, sogenannte Amyloid-related Imaging Abnormalities (AIRA). „Dabei handelt es sich um Ödeme (AIRA-E) oder Mikrohämorrhagien (AIRA-H), die meistens klinisch stumm bleiben und deswegen nur durch Bildgebung mittels MRT detektiert werden können“, erklärt Prof. Dr. Jörg B. Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie, Uniklinik RWTH Aachen, auf Nachfrage.

Die Inzidenz von ARIA-E in der Bildgebung betrug 12,5% in der Lecanemab-Gruppe und 1,7% in der Placebogruppe. Die Inzidenz von mit Symptomen assoziierten ARIA-E lag bei 2,8% in der Lecanemab-Gruppe und bei 0% in der Placebogruppe.

Die Gesamtinzidenz von ARIA (ARIA-E und/oder ARIA-H) betrug 21,3% in der Lecanemab-Gruppe und 9,3% in der Placebo-Gruppe. „Insgesamt ist die Inzidenz von ARIA bei Lecanemab im Vergleich zu anderen Antikörpern niedrig. Das im Vergleich niedrige Risiko wirkt sich günstig auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Lecanemab aus“, so Schulz.

Charakteristische Nebenwirkungen von Anti-Amyloid-Antikörpern

Zusätzlich zu Aducanumab und Lecanemab befinden sich  weitere Anti-Amyloid-Antikörper in der Entwicklung: Gantenerumab und Donanumab. „Alle Antikörper zielen auf ähnliche Wirkmechanismen – das sieht man auch an den Nebenwirkungen. Die sind von der Art her praktisch identisch, sie alle verursachen Ödeme und Mikroblutungen mit unterschiedlicher Häufigkeit. Bei Aducanumab sind sie etwas häufiger, bei Lecanemab im Vergleich etwas seltener. Das hängt auch damit zusammen, dass die Dosierungen sich unterscheiden“, erklärt Prof. Dr. Stefan Teipel, Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Rostock/Greifswald.

Erst vor kurzem wurde in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass sich bei Gantenerumab in zwei klinischen Studien keine Wirkung auf den klinischen Endpunkt gezeigt hat. Die Reduktion des Amyloids war deutlich geringer als erwartet.

Lecanemab wirkt möglicherweise zielgerichteter

Im Gegensatz zu den anderen Anti-Amyloid-Antikörpern ist Lecanemab besonders gegen kleine und mittelgroße (50 bis 200 Kilo-Dalton) lösliche Amyloid-Protofibrillen gerichtet. Aducanumab und Gantenerumab bauen eher aggregiertes Amyloid abbauen. Und die Protofibrillen gelten als die toxische Form des Amyloids, erklärte Schulz.

Für die Zulassung entscheidend wird das klinische Nutzen-Risiko-Verhältnis von Lecanemab sein. „In den 18 Monaten Untersuchungszeitraum wurden zwischen der Lecanemab- und der Placebogruppe 0,45 Punkte Unterschied auf der CDR-Skala beobachtet. Davon merkt der Patient wahrscheinlich kaum etwas. Allerdings muss man da auch einen längeren Zeitraum bedenken. Wenn der Effekt persistiert, würde die Differenz über die Zeit noch weiter auseinandergehen und relevanter werden“, so Teipel.

Klinischer Nutzen könnte in bestimmten Patientengruppen höher ausfallen

Darüber könnte es durchaus sein, dass Patienten in noch früheren Stadien der Alzheimer-Krankheit, wenn nur Amyloid Plaques vorliegen, aber noch keine Symptomen, möglicherweise einen noch größeren Nutzen aus der Behandlung ziehen als Patienten, die bereits leichtgradige kognitive Symptome aufweisen.

Eine Patientengruppe, die besonders von einem wirksamen Anti-Amyloid-Antikörper profitieren würde, wären Menschen mit einem Down-Syndrom. Bei ihnen führt ein auf Chromosom 21 lokalisierten Gen zu einer vermehrten Amyloid-Produktion. „Bei fast allen Menschen mit einem Down-Syndrom kommt es daher vorhersehbar zu einer Alzheimer Demenz“, erklärt Prof. Dr. Johannes Levin, Stellvertretender Leiter der klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen, München.

„Gleichzeitig ergibt sich aber aufgrund dieser sehr großen Risikokonstellation die Möglichkeit sehr früh zu behandeln. Bei sehr früher Behandlung könnte ich mir eine deutlich bessere Wirksamkeit durchaus vorstellen.“

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Kommentar

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