Der schwedische Telemedizinanbieter „Doktor.de“ drängt auf den deutschen Markt. Jetzt hat das 2017 gegründete Unternehmen in den Stadtteilen Lichtenberg und Hellersdorf in Berlin 4 Hausarztpraxen übernommen. Das Unternehmen wirbt für 2023 um weitere Hausärztinnen und Hausärzte, die ihre Praxen an „Doktor.de“ verkaufen und sich auf das hybride Konzept aus Telemedizin und physischer Versorgung einlassen mögen, wie das Unternehmen jetzt mitteilt.
Der Hausärzteverband der Hauptstadt sieht das Modell allerdings mit Argwohn. Tatsächlich dürften z.B. junge Ärzte, die eine Praxis erwerben wollen, von den finanzstarken Investoren spielend überboten werden können.
„Doktor.de“ widerspricht. „Wir haben eine Plattform mit mehreren Ärzten, die die telemedizinische Versorgung anbieten“, sagt „Doktor.de“-Geschäftsführerin in Deutschland Susanne Kreimer zu Medscape. Ziel der hybriden Initiative in Deutschland sei es, „dass Patienten sich auch digital bei einem Hausarzt oder Hausärztin vorstellen können.“ Das hausärztliche Angebot soll um eine digitale Komponente ergänzt werden. Zukünftig sollen also Patientinnen und Patienten mit kleineren Malaisen vom virtuellen Arzt telemedizinisch versorgt werden können und den Betrieb in der Praxis entlasten, weil der Patient in keinem Wartezimmer erscheint.
„Im Zweifel würde der digitale Doktor den anrufenden Patienten vom Teledoktor natürlich in die Praxis eines Haus- oder Facharztes geschickt werden“, betont Kreimer. „Wir haben aus Schweden gelernt, dass aber nur relativ wenige Patientinnen und Patienten diesen Weg beschreiten und außerdem selber gut einschätzen können, ob sie in eine physische Praxis gehen oder nicht“, sagt Kreimer. Deshalb habe man keine Zahlen darüber, wie viele Patienten tatsächlich vom Tele-Arzt in die physische Versorgung geschickt werden.
„Wir erwarten natürlich von keiner Ärztin, die mit 63 ihre Praxis an uns verkauft, dass sie sofort in die digitale Versorgung einsteigt, sagt Kreimer, „sondern wir schauen, wie diese Ärztin Lust hat, als Angestellte in der Praxis zu arbeiten, die sie zuvor an uns verkauft hat.“
Die bisherigen Praxisinhaberinnen und -inhaber bleiben so nach dem Übergang der Praxis mindestens 3 Jahre als führende Praxis-Ärzte tätig – auf Wunsch auch darüber hinaus, wie es heißt. Ob sie dann ihre Patienten auch digital versorgen möchte, kann sie selber entscheiden. Das sei keine Pflicht, betont Kreimer.
Die Ärzte der abgebenden Praxen sollen auf jeden Fall in den Veränderungsprozess in der Praxis mit eingebunden werden. „Gemeinsam könnte man gucken, wie man junge Ärztinnen und Ärzte motivieren könnte, hier in dieser Praxis, an diesem Standort zu arbeiten“, sagt Kreimer. Hier setzt Doktor.de auf den Sog der Digitalisierung der ärztlichen Arbeit. „Wir wollen für junge Ärzte ein digitales Umfeld schaffen, das sie reizt, die Praxen weiterzuführen.“
„Wir wollen die jungen Hausärzte nicht kannibalisieren“
Doktor.de will die Praxen dann schrittweise digitalisieren, etwa an die Telematik-Infrastruktur anzubinden und für Patienten hybride Versorgungswege etablieren. Neue Technologien wie Online-Terminbuchung von digitalen und physischen Terminen über die App, automatisiertes Check-in und vorgeschaltete symptomorientierte digitale Anamnese sollen ebenso zur Praxisausstattung gehören, wie ein einheitliches Dokumentationssystem.
Wir haben viele private Investoren und auch Mitarbeiter, die Investoren-Anteile halten. Und kleinere Venture-Capital-Firmen. „Wir haben aber auf keinen Fall Pläne die Firma wieder zu verkaufen“, beteuert Kreimer. „Natürlich können wir aber verstehen, dass Ärzte es fürchten, ihre Arbeitgeber gingen plötzlich in andere Hände über.“
Zudem fasse „Doktor.de“ Praxen ins Auge, die vor allem in schlecht versorgten Gebieten liegen. „Wir haben also nicht die Absicht, junge übernahmewillige Hausärzte mit unserem Kapital quasi zu kannibalisieren.“
„Würden die Ärzte von Doktor.de Hausbesuchen machen?“
Der Berliner Hausärzteverband sehe es gleichwohl kritisch, was da mit den Praxen in Berlin geschieht, so Dr. Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Berliner Verbandes, zu Medscape. So hätte Doktor.de im Zweifel immer mehr Geld zur Verfügung als eine junge Hausärztin, die eine Praxis kaufen möchte und von Doktor.de spielend überboten würde. „Das ist ein Kampf mit ungleichen Waffen“, so Kreischer trotz der Beteuerungen von Doktor.de
Was betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, müsse noch nicht von der Versorgung her sinnvoll sein, meint der Hausärztechef aus Berlin. Es bleibe abzuwarten, ob die Praxen von Doktor.de den hausärztlichen Versorgungsauftrag erfüllen. „Werden sie Hausbesuche machen? Check-Ups? Impfungen? Werden sie am Bereitschaftsdienst teilnehmen? Das alles ist die Frage“, sagt Kreischer zu Medscape.
Er fürchtet, dass Doktor.de auf Dauer die Praxen an den wenig lukrativen Standorten schließen wird, um sie an einträglicheren Standorten wieder zu eröffnen. „Wahrscheinlich wollen sie lieber junge, gesunde Studenten als Patienten als teure alte Leute“, sagt Kreischer. „Das wäre Rosinenpickerei.“
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Diesen Artikel so zitieren: Angst vor „Kannibalisierung“: Schwedisches Telemedizin-Start-up kauft Praxen in Berlin auf – Hausärzteverband ist „not amused“ - Medscape - 30. Nov 2022.
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