Landgerichts-Urteil: Krankenhaus haftet auch für Fehler von beauftragten Telemedizinern

Alexa Frey

Interessenkonflikte

30. November 2022

Alexa Frey

Wer haftet? Dieser Frage ging das Landgericht München II in einem aktuellen Fall nach (Urt. v. 10.05.2022 -1 O 4395/20). Ein Krankenhaus wollte die Haftungsansprüche eines Schlaganfall-Patienten gegenüber einem Telemediziner weiterreichen, der vom Krankenhaus für ein medizinisches Konsil hinzugezogen war – ohne Erfolg. Alexa Frey erklärt, was dieses Urteil für Kliniken bedeutet – und warum die richtige Berufshaftpflichtversicherung wichtig ist. Frey ist selbständige Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht und Fachanwältin für IT-Recht.  

Ablauf des Patientenfalls

Der Patient war zu Hause kollabiert und mit dem Rettungswagen in das „kleine“ Krankenhaus eingeliefert und dort aufgenommen worden. Er wurde dort mit einem schweren Schlaganfall als Notfall behandelt.

Das Krankenhaus behalf sich zur Diagnostik mit dem Tesaurus-Telemedizin-Netzwerk. Das telemedizinische Schlaganfall-Netzwerk soll dazu beitragen, die Schlaganfallversorgung zu verbessern und vor allem bei kleineren Krankenhäusern – ohne Stroke-Unit – eine zeitnahe Therapie der Schlaganfallpatienten zu ermöglichen.

Bei dem Patienten wurden Computertomografie-Aufnahmen gefertigt, die durch das Tesaurus-Telemedizin-Netzwerk befundet wurden. Die Diagnose wurde erst nach Erinnerung und mehr als 2 Stunden nach Fertigung der CT-Aufnahmen mitgeteilt. Es ergab sich ein akuter ischämischer Medialinfarkt rechts. Der Patient wurde daher in ein Klinikum der Vollversorgung verlegt und dort weiterbehandelt.

Der Patient leidet dauerhaft an einer linksseitigen Hemiparese mit erheblicher Pflegebedürftigkeit und Schwerbehinderung – und verklagte das Krankenhaus auf Schadensersatz.

Klinik wirft Telemediziner verspätete Diagnostik vor

Im gerichtlichen Verfahren wurde dem Klinikum vorgeworfen, man habe die gebotene Diagnostik zu spät durchgeführt. Bei rechtzeitiger Reaktion und Diagnostik hätten die irreversiblen Gesundheitsschäden vermieden werden können. Insbesondere wäre der Patient nicht auf den Rollstuhl angewiesen.

Das Klinikum berief sich auf den Fehler des telemedizinischen Netzwerkes, für den sie haftungsrechtlich nicht einzustehen habe.

Urteil: Krankenhaus haftet auch für Erfüllungsgehilfen

Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nahm das Gericht an, dass die durch das Krankenhaus veranlasste CT-Angiografie um mindestens 80 Minuten verzögert durchgeführt worden sei.

Auf die Frage, ob diese Verzögerung durch das Krankenhaus selbst oder das hinzugezogene telemedizinische Schlaganfall-Netzwerk verursacht worden sei, komme es nicht an, da das Krankenhaus „so oder so“ hafte. 

Das Krankenhaus hat sich zur Diagnostik dem telemedizinischen Schlaganfall-Netzwerk bedient und hafte für diesen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB.

Die Verzögerung sei grob fehlerhaft, da es bei der notfallmäßigen Behandlung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten geboten sei, mit Schnelligkeit zu handeln. Es habe offensichtlich Kommunikationsprobleme zwischen Krankenhaus und Netzwerk gegeben. Des Weiteren habe es das Krankenhaus fehlerhaft unterlassen, ein neurologisches Konsil einzuholen.

Hohes Schmerzensgeld wegen gravierender Folgen

Das Gericht verurteilte das Krankenhaus zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 120.000 Euro – begründet in den schweren und irreversiblen Gesundheitsschäden, die höchstwahrscheinlich bei rechtzeitiger Diagnostik und Therapie vermeidbar gewesen wären.

Urteilsfolge für Kliniken: Versicherungen überprüfen

Krankenhäuser haften somit für alle Erfüllungsgehilfen, die beigezogen werden, unabhängig davon, ob diese telemedizinisch beteiligt werden oder „in Person“. Neben der Diagnostik bei Schlaganfällen werden auch oft Leistungen wie die radiologische Befundung bei kleinen Krankenhäusern telemedizinisch „ausgelagert“.

Wichtig ist für die Kliniken, dass die durch telemedizinische Dienstleister abgedeckten Fachbereiche und Tätigkeitsgebiete auch durch die Krankenhaus-eigene Berufshaftpflichtversicherung (mit-)abgedeckt sind, da das Krankenhaus hierfür selbst haftet. Fehlt es hieran, könnte die Berufshaftpflichtversicherung ihre Eintrittspflicht – teilweise oder schlimmstenfalls vollumfänglich – versagen. 

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Coliquio.de .

 

Kommentar

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