„Vererbter“ RSV-Schutz: Impfung von Schwangeren schützt Säuglinge zu 82% vor schwerer Infektion

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

28. November 2022

Der US-Pharmahersteller Pfizer hat einen Durchbruch bei der Entwicklung des Impfstoffs RSVpreF gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) gemeldet [1].

Im Rahmen einer randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Phase-3-Studie wurden 7.400 schwangere Frauen geimpft. Die Ergebnisse zeigen, dass RSVpreF schwere RSV-Infektionen der unteren Atemwege bei Säuglingen in den ersten 90 Lebenstagen zu fast 82% verhindern konnte.

Im Alter von 6 Monaten erwies sich RSVpreF immer noch zu 69% wirksam gegen schwere Erkrankungen. Die Probandinnen hatten während des späten 2. bis 3. Trimesters ihrer Schwangerschaft eine Einzeldosis von 120 µg RSVpreF erhalten. Es gab keine Anzeichen für Sicherheitsprobleme bei Müttern oder Säuglingen.

Die Studie wurde aufgrund der guten Ergebnisse vom zuständigen Data Safety Monitoring Board nach Erreichen eines zuvor definierten Erfolgskriteriums vorzeitig abgebrochen. Die Daten wurden jetzt der US-Gesundheitsbehörde FDA für die Prüfung einer Zulassung des Vakzins übermittelt.

Impfstrategie für das ungeborene Kind

„Die Strategie, werdende Mütter in der Schwangerschaft zu impfen, um später dann ihr Neugeborenes zu schützen, ist in dieser Direktheit neu und ein sehr interessanter Ansatz“, kommentiert Prof. Dr. Ortwin Adams, Leiter der virologischen Diagnostik am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, gegenüber dem Science Media Center (SMC) den Ansatz der Studie.

 
Die Strategie, werdende Mütter in der Schwangerschaft zu impfen, um später dann ihr Neugeborenes zu schützen, ist in dieser Direktheit neu und ein sehr interessanter Ansatz. Prof. Dr. Ortwin Adams
 

Bei der präsentierten RSV-Impfstrategie stehe „von vornherein das ungeborene Kind im Mittelpunkt“. Dabei nutze man einen natürlichen Weg, nämlich den mütterlich-kindlichen Antikörpertransfer („Nestschutz“) über die Plazenta: „Entsprechend werden auch die Ansprechpartner für diese Impfung unter den Ärzten die Gynäkologen und nicht die Pädiater sein“, sagt Adams.

„Dieses Konzept imitiert die Natur, da Mütter normalerweise ihre durch Infekte erworbenen Abwehrkräfte über das Nabelschnurblut und ihre Muttermilch an ihre Kinder vor und nach der Geburt weitergeben. Unter anderem beim Wundstarrkrampf (Tetanus), Keuchhusten (Pertussis) und der echten Virusgrippe (Influenza) ist dieses Vorgehen langbewährt und wird weltweit vor allem in nicht-industrialisierten Ländern praktiziert“, erklärt Prof. Dr. Markus Rose, Leiter der Pädiatrischen Pneumologie am Olgahospital Stuttgart.

Die Entwicklung eines RSV-Impfstoffs war über mehrere Jahrzehnte ins Stocken geraten. Eine Tragödie in den 60er-Jahren hatte das gesamte Forschungsfeld zurückgeworfen: Nach dem Vorbild des ersten Polio-Impfstoffs hatten Wissenschaftler einen experimentellen Impfstoff mit abgetöteten Viren hergestellt.

Die Tests an Kindern zeigten aber, dass der Impfstoff nicht nur nicht schützte, sondern dass es geimpften Kindern, die sich dann mit RSV infizierten, schlechter ging, 2 Kinder starben. Heute werden RSV-Impfstoffkandidaten deshalb zuerst an Erwachsenen und nicht an Kindern getestet.

RSV eine der Hauptursachen für Klinikaufenthalte von Kleinkindern

RSV verursacht saisonale Epidemien, kann bei Säuglingen zu Bronchiolitis und Lungenentzündung führen und ist eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei Kleinkindern. Monoklonale Antikörper sind derzeit die einzige Präventionsmöglichkeit, denn einen Impfstoff gibt es bislang nicht. In der Regel infizieren sich 60 bis 70% der Säuglinge und nahezu alle Kinder unter 2 Jahren mit RSV, das Virus kann aber auch bei Erwachsenen Lungenentzündungen auslösen.

„Infektionen durch RSV sind eine große bevölkerungsmedizinische Herausforderung – es handelt sich um das für junge Säuglinge gefährlichste Atemwegsvirus, das auch chronisch Kranke und Abwehrschwache aller Altersklassen bedroht und weltweit (nach Malaria) die zweithäufigste Todesursache bei jungen Kindern ist“, stellt Rose fest.

 
Infektionen durch RSV sind eine große bevölkerungsmedizinische Herausforderung – es handelt sich um das für junge Säuglinge gefährlichste Atemwegsvirus. Prof. Dr. Markus Rose
 

„Das Thema ist insofern hochaktuell, als dass durch die Pandemie-bedingten Maßnahmen (Gesichtsmasken, intensivierte Desinfektion) auch die ,normalen‘ RSV-Infektionen gesunder Erwachsener, die meist wie eine leichte Erkältung verlaufen, verhindert wurden und die Mütter weniger RSV-Abwehrkräfte auf ihre Kinder übertragen konnten. Dies hat vermutlich unter anderem die heftige RSV-Erkrankungswelle im Herbst und Winter 2021/22 begünstigt“, erläutert Rose.

Auch Prof. Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der STIKO und ehemaliger Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Ulm, sagt: „Es wäre ein wichtiges und wohl erreichbares Ziel, die Inzidenz von Hospitalisierungen deutlich zu vermindern. RSV stellt in dieser Hinsicht ein erhebliches Problem für die Kleinkinder, die Eltern und die Belastung von Kinderkliniken dar.“

Endgültige Bewertung der Studiendaten noch nicht möglich

„Ich finde, die Daten sind durchaus interessant. Eine endgültige Bewertung ist aufgrund der Pressemitteilung nicht möglich, dazu braucht man die Originaldaten“, sagt Mertens.

Rose bezeichnet den neuen Impfstoff auch von seiner Zusammensetzung her als „Novum“. Frühere RSV-Impfstoffe hatten ihren Ansatzpunkt am sogenannten Postfusions-F-Protein. Mittlerweile sei aber bekannt, dass das Verbleiben der apikalen Epitope im Präfusionszustand der Schlüssel zur Immunogenität sei: Präfusions-F-gerichtete Gedächtnis-B-Zellen natürlich RSV-infizierter Erwachsener produzieren potentere neutralisierende Antikörper.

Auf diesem Prinzip basiere nun auch der neue Impfstoff, der sowohl gegen RSV-A als auch gegen RSV-B gerichtet ist (bivalenter Impfstoff). Beide RSV-Unterformen können krank machen. Hinzu kommt: Kinder, die z.B. RSV-A durchgemacht haben, bauen keine Immunität gegen RSV-B auf.

Bislang seien RSV-Aktivimpfungen bei jungen Säuglingen nur schwach wirksam gewesen und wurden teilweise auch schlecht vertragen. Der vorgestellte Impfstoffkandidat werde voraussichtlich zunächst bei jüngeren Erwachsenen, dann bei Schulkindern und danach bei Kleinkindern getestet.

Durch eine erfolgreiche Impfung der Gesamtbevölkerung werde auch die Übertragung der RS-Viren auf junge Kinder verhindert und so ein indirekter Schutz vermittelt. „Inwieweit dieser oder ein auf der gleichen Grundlage noch zu entwickelnder anderer RSV-Impfstoff auch bei jungen Säuglingen wirksam und gut verträglich sein wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen“, sagt Rose.

Mertens betont, dass man jetzt möglichst rasch die gesamten Studiendaten sehen müsse: „Das ist auch eine generelle Anforderung der Transparenz an die Pharmafirmen, die auch zu Recht kritisch angemahnt wird.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....