Brustkrebs: Langzeitnutzen von Strahlentherapie in Frage gestellt; S3-Leitlinie für Lungenkarzinom; Heilungsrate bei Kindern

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

22. November 2022

Im Onko-Blog dieser Woche geht es unter anderem um den Effekt der Bestrahlung eines frühen Mammakarzinoms auf die Überlebensrate nach 30 Jahren. Zum Lungenkarzinom ist eine aktualisierte Leitlinie erschienen – die Langversion umfasst 656 Seiten, was auch ein Hinweis auf die zunehmende Individualisierung der Therapie ist. Forschungsarbeiten in Frankfurt haben gezeigt, dass absterbende Kolonkarzinom-Zellen offenbar benachbarte Zellen mit Überlebensinformationen versorgen. Nach Ergebnissen der EUROCARE-6-haben sich Heilungs- und Überlebenschancen von Kindern mit Krebs in Europa zwischen 2010 und 2014 im Vergleich zu früheren Jahren verbessert, zwischen einzelnen Ländern gibt es allerdings große Unterschiede.

  • Brustkrebs: Bestrahlung verbessert Überlebensrate nach 30 Jahren nicht

  • Brustkrebs: Schon moderate Bewegung mit höherer Überlebensrate assoziiert

  • Lungenkarzinom: Neue S3-Leitlinie publiziert

  • Kolonkarzinom: Sterbende Krebszellen versorgen benachbarte Tumorzellen mit Überlebens-Infos

  • Krebs bei Kindern: Heilung und Überleben in Europa

  • Retinoblastom: ADAM-Proteine an der Entstehung beteiligt

Brustkrebs: Bestrahlung verbessert Überlebensrate nach 30 Jahren nicht

Bei Frauen mit Brustkrebs im Frühstadium verringert eine Strahlentherapie nach einer brusterhaltenden Operation zusammen mit einer Chemotherapie oder Tamoxifen das Rezidivrisiko in den ersten 10 Jahren nach Diagnose. Danach beeinflusst die Bestrahlung das Rezidivrisiko kaum noch und sie verbessert auch den Wert für das Gesamtüberleben nach 30 Jahren nicht. Die ergab die bisher längste Nachbeobachtung in der Schottischen Brusterhaltungsstudie, deren Ergebnisse auf der 13. Europäischen Brustkrebs-Konferenz am 18. November 2022 vorgestellt worden sind.

Prof. Dr. Ian Kunkler, Edinburgh Cancer Centre, sagte: „Dies kann daran liegen, dass die Strahlentherapie zwar dazu beitragen kann, einige Todesfälle durch Brustkrebs zu verhindern, aber auch Todesfälle aufgrund anderer Ursachen wie Herz- und Gefäß-Krankheiten verursachen kann, insbesondere lange Zeit nach der Strahlentherapie.“

In die schottische Brusterhaltungsstudie waren zwischen 1985 und 1991 585 Patientinnen im Alter bis zu 70 Jahren mit primären Brusttumoren von ≤ 4 cm aufgenommen worden. Nach lokaler Exzision des Tumors und einer axillären Lymphknotenentfernung erhielten sie eine systemische Therapie mit oralem Tamoxifen 20 mg täglich oder 6 Zyklen mit Cyclophosphamid, Methotrexat und Fluorouracil. Randomisiert wurden sie adjuvant bestrahlt oder nicht zusätzlich behandelt.

Nach 10 Jahren betrug die Lokalrezidiv-Rate 8,8% mit Strahlentherapie im Vergleich zu 31% ohne Strahlentherapie. Nach 20 Jahren lagen die Raten bei 15,2% und 37,6% und nach 30 Jahren bei 27,8% und 42,7%.

Es gab jedoch keinen signifikanten Unterschied im OS zwischen bestrahlten und nicht bestrahlten Frauen (Hazard Ratio: 1,08, p = 0,43). Die OS-Raten betrugen 72,5% bzw. 70,8% nach 10 Jahren, 48,6% bzw. 48,4% nach 20 Jahren und 23,7% bzw. 27,5% nach 30 Jahren.

Kunkler schlussfolgerte in einer Pressemitteilung: „Patientinnen mit Brustkrebs können noch Jahrzehnte nach der Behandlung der Krankheit leben. Diese Ergebnisse rechtfertigen den Vergleich mit anderen Studien ähnlichen Designs durch langfristige, sorgfältige Nachbeobachtung. Die Nachbeobachtung randomisierter klinischer Brustkrebsstudien über 10 Jahre hinaus wird oft durch Ressourcenknappheit eingeschränkt. Geldgeber müssen die Erhebung von Langzeitdaten unterstützen. Diese hier vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass Langzeitdaten traditionelle Konzepte des langfristigen Nutzens der Strahlentherapie gegen Krebs in Frage stellen können.“

Brustkrebs: Schon moderate Bewegung mit höherer Überlebensrate assoziiert

Bei postmenopausalen Frauen, die ein Mammakarzinom überlebt haben, ist eine moderate körperliche Aktivität im einem 60% geringeren Sterberisiko assoziiert im Vergleich zu körperlich inaktiven Frauen. Eine kalifornische Arbeitsgruppe hat dieses Ergebnis einer Kohortenstudie in einem Research Letter in JAMA Network Open mitgeteilt.

Die protektive Wirkung von körperlicher Aktivität allgemein und auf das Brustkrebsrisiko ist wohl bekannt. Der Effekt von körperlicher Aktivität nach der Diagnose des Mammakarzinoms auf das Überleben ist aber bislang kaum untersucht worden.

In einer Kohortenstudie wurden die Daten von Frauen berücksichtigt, die Brustkrebs überlebt hatten und an einem Gesundheitsvorsorge-Programm in Kalifornien teilnahmen. Die körperliche Aktivität wurde mit Hilfe von Fragebögen erfasst.

Die 315 Frauen wurden im Median 7,8 Jahre nachbeobachtet. Nach Studienbeginn rstarben 45 Frauen (14,3%), davon 5 an Brustkrebs. Die Mortalitätsraten betrugen 12,9/1.000 Personenjahre (PJ) bei körperlich aktiven Teilnehmerinnen, 13,4/1.000 PJ für mäßig aktive Teilnehmerinnen und 32,9/1.000 PJ für wenig aktive Teilnehmerinnen. Nach einer multivariablen Analyse hatten aktive oder mäßig aktive im Vergleich zu wenig aktiven Frauen ein um 60% verringertes Sterberisiko.

Als Einschränkung der Studie ist jedoch u.a. der Mangel an Informationen zur Ernährung anzusehen. Außerdem wurde das Ausmaß der körperlichen Aktivität nicht mit technischen Verfahren gemessen, sondern nur mit Fragebögen erhoben. Hierbei sind jedoch nach Aussage der Autoren weitere Faktoren berücksichtigt worden wie Tumormerkmale, Krebstherapie, Alter und Komorbiditäten.

Die Ergebnisse zeigen jedoch einmal mehr, dass alle Personen, die in der Lage sind, sich vermehrt aktiv zu bewegen, dazu in jedem Fall motiviert werden sollten.

Lungenkarzinom: Neue S3-Leitlinie publiziert

Nach 3-jähriger Arbeit ist die neue S3-Leitlinie Lungenkarzinom im Leitlinienprogramm Onkologie veröffentlicht worden. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) sowie die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) haben die Leitlinie federführend vorangetrieben.

Sie umfasst mehr als 600 Seiten und bildet den derzeit aktuellen Therapiestandard ab. Aufgrund der vielfältigen neuen Therapiemöglichkeiten kommt zu einer immer stärkeren Individualisierung in der Therapie des Lungenkarzinoms.

Es handelt sich um die 2. Aktualisierung der erstmals 2010 veröffentlichten und 2018 erstmals aktualisierten Leitlinie. Zahlreiche Kapitel wurden in der neuen Fassung überarbeitet oder erweitert.

Neu hinzugekommen sind beispielsweise das CT-Screening für asymptomatische Risikopersonen, das Vorgehen beim inzidentellen Lungenrundherd, verschiedene Formen der molekularen Testung, die Erweiterung des therapeutischen Spektrums, die Einführung der Immunchemotherapie in der Erstlinie oder auch die Vorstellung aller neu diagnostizierten Patienten im interdisziplinären pneumoonkologischen Tumorboard.

Bereits im kommenden Jahr soll es weitere Überarbeitungen geben. Die Leitlinie soll als sogenannte Living Guideline weitergeführt werden, d.h. an der Leitlinie wird fortlaufend weitergearbeitet und die neuen Erkenntnisse sollen dann jeweils rasch publiziert werden.

Kolonkarzinom: Sterbende Krebszellen versorgen benachbarte Tumorzellen mit Überlebensinformationen

Durch eine Chemotherapie absterbende Tumorzellen können noch ein letztes Mal mit benachbarten Tumorzellen kommunizieren und sie mit einer „Anleitung“ versorgen, wie sie der Therapie widerstehen können. Die sterbenden Zellen programmieren die Signalkaskaden in den benachbarten Tumorzellen so um, dass sie auf die Chemotherapie nicht mehr ansprechen und können so für ein Überleben des Tumors sorgen.

Diesen Mechanismus entdeckte eine Frankfurter Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Florian Greten, Direktor des Georg-Speyer-Hauses und Sprecher des hessischen LOEWE-Zentrums Frankfurt Cancer Institute, die Ergebnisse sind in Nature erschienen.

Durch eine Chemotherapie absterbende Tumorzellen setzen Adenosintriphosphat (ATP) frei, das an P2X4-Purinorezeptoren auf der Oberfläche umliegender Tumorzellen bindet. Dadurch wird in diesen Nachbarzellen ein wichtiger mTOR-abhängiger Überlebenssignalweg aktiviert, der sie vor dem Zelltod schützt und den Tumor resistent gegenüber der Therapie macht.

Wird die Kommunikation zwischen den sterbenden Tumorzellen und ihren Nachbarzellen jedoch unterbrochen, erhöht das die Effizienz der Chemotherapie um ein Vielfaches, und ursprünglich resistente Tumore sprechen sehr gut auf die Chemotherapie an. Dies ergaben präklinische Modelle, in denen der P2X4-Rezeptor gehemmt oder mTOR direkt blockiert worden ist.

Krebs bei Kindern: Heilung und Überleben in Europa

Die 5-Jahres-Überlebensrate für alle Krebserkrankungen im Kindesalter betrug in Europa in den Jahren 2010 bis 2014 81%. Dies bedeutet im Vergleich zu den Jahren 2004 bis 2006 eine Steigerung von 3 Prozentpunkten. Aber es gibt immer noch große Unterschiede zwischen den Ländern. Bei fast allen Krebsarten wurden im Laufe der Zeit deutliche Fortschritte beobachtet. Dies ergab die EUROCARE-6-Studie, die in Lancet Oncology erschienen ist.

Die europäische Studiengruppe analysierte in dieser von der EU-Kommission finanzierten bevölkerungsbezogenen Studie die Daten von 135.847 Kindern im Alter von 0–14 Jahren, die zwischen 2000 und 2013 diagnostiziert und bis Ende 2014 nachbeobachtet wurden. Die Daten stammten aus 80 bevölkerungsbezogenen Krebsregistern in 31 europäischen Ländern.

Bei der um 3 Prozentpunkte besseren 5-Jahres-Überlebensrate für alle Krebserkrankungen im Kindesalter bestanden jedoch weiterhin Ungleichheiten zwischen den europäischen Ländern mit einer altersangepassten 5-Jahres-Überlebensrate von 71% bis 87%.

Das Überleben blieb bei Osteosarkomen, Ewing-Sarkomen, Burkitt-Lymphomen, Non-Hodgkin-Lymphomen und Rhabdomyosarkomen stabil.

Die 15-Jahres-Überlebensprognose für alle Patienten mit Krebs im Kindesalter, die zwischen 2010 und 2013 diagnostiziert wurden, lag bei 78 %.

Die Heilungsrate für Patienten mit Krebs im Kindesalter stieg im Laufe der Zeit von 74% in den Jahren 1998 bis 2001 auf 80% in den Jahren 2010 bis 2013. In der Kohorte von 2010 bis 2013 wurde eine Heilungsrate zwischen 60% für ZNS-Tumoren und 99% für Retinoblastome erreicht, bei lymphatischer Leukämie lag sie bei 90%, bei akuter myeloischer Leukämie bei 70%.

Retinoblastom: ADAM-Proteine an der Entstehung beteiligt

An der Entstehung von Retinoblastomen sind die Metalloproteinasen ADAM 10 und ADAM 17 beteiligt. Dies ergaben Untersuchungen einer Arbeitsgruppe von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und des Universitätsklinikums Essen. Die Ergebnisse sind im International Journal of Molecular Sciences veröffentlicht.

Das Retinoblastom ist eine seltene Krebserkrankung des Auges, die vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt. Der Ursprung des Augentumors liegt in der Retina. Die Spiegel verschiedener ADAM10- oder ADAM17-regulierenden miRNAs waren in Retinoblastom-Zelllinien signifikant herunterreguliert, bei Retinoblastom-Patienten wurden reduzierte miRNA-Spiegel bei gleichzeitig hochregulierter ADAM10- und ADAM17-Expression gefunden.

Beide ADAMs waren am Ektodomänen-Shedding des neuronalen Zelladhäsionsmoleküls L1 (L1CAM) beteiligt, von dem bekannt ist, dass es pro-tumorigene Wirkungen beim Retinoblastom induziert.

ADAMs sind nach Aussage der Autoren potenzielle neue Ziele für zukünftige therapeutische Ansätze beim Retinoblastom.

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