Genderfrage: Frauen nehmen besser mit Medikamenten ab, Männer mit Sport – das könnten die Gründe dafür sein

Marlene Busko

Interessenkonflikte

21. November 2022

Melbourne – Frauen konnten nach einer etwa einjährigen Einnahme von Mitteln zur Gewichtsabnahme ihr Gewicht tendenziell stärker verringern als Männer. Dies zeigte eine Analyse der geschlechtsspezifischen Unterschiede in klinischen Studien zu Antiadiposita.

So zeigte beispielsweise eine Analyse der Studie STEP-1 (Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity) zu Semaglutid, dass Frauen im Mittel etwa 18% ihres Ausgangsgewichts verloren, während Männer nach 68 Wochen mit der gleichen Pharmakotherapie nur 13% verloren hatten.

Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den meisten Diät- und/oder Bewegungsprogrammen, bei denen Männer tendenziell mehr an Gewicht verlieren als Frauen, berichten die Autoren der Studie um Dr. Alyssa Susanto anlässlich ihres Vortrags auf dem International Congress on Obesity (ICO) 2022 im australischen Melbourne [1].

Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf das Outcome?

„Bei den meisten pharmakologischen Interventionen wird die Gewichtsabnahme nicht für Männer und Frauen getrennt ausgewiesen, obwohl bekannt ist, dass es hier klare physiologische und biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt“, schreiben die Forschenden von der Universität Sydney.

 
Eine mögliche Erklärung für das stärkere Ansprechen von Frauen auf pharmakologische Interventionen könnte das im Allgemeinen niedrigere Gewicht von Frauen im Vergleich zu Männern sein. Prof. Dr. John Wilding
 

Sie führten eine erste Analyse von Phase-3-Studien zu Semaglutid (Wegovy®, Novo Nordisk), Liraglutid (Saxenda®, Novo Nordisk) und Sibutramin durch (Meridia®, Abbott; wurde 2010 aufgrund von kardiovaskulären Nebenwirkungen vom Markt genommen). Die Auswertung legt nah, dass „Studienergebnisse zur Gewichtsreduktion für Frauen und Männer getrennt ausgewiesen werden sollten“, so Susanto in einer E-Mail an Medscape.

„Wenn die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Reaktion auf Maßnahmen zur Gewichtsreduktion besser verstanden sind, können letztlich die Behandlungen stärker auf Männer und Frauen zugeschnitten werden, um das Outcome zu optimieren“, so Susanto.

„Es ist interessant, solche geschlechtsspezifischen Unterschiede zu beobachten; sei es als Reaktion auf eine Änderung des Ernährungs- oder Lebensstils oder auch auf pharmakologische Interventionen“, sagte Prof. Dr. John Wilding in einer Pressemitteilung des ICO. Wilding ist ehemaliger Präsident der World Obesity Federation und war nicht an dieser Studie beteiligt, allerdings war er Hauptautor der STEP-1-Studie.

„Eine mögliche Erklärung für das stärkere Ansprechen von Frauen auf pharmakologische Interventionen könnte das im Allgemeinen niedrigere Gewicht von Frauen im Vergleich zu Männern sein. Dieses führt dann bei derselben Dosierung der Wirkstoffe dazu, dass Frauen im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht eine etwas höhere Dosis erhalten“, so Wilding, der eine Professur am Aintree University Hospital der britischen Universität von Liverpool innehat.

 
Physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern führen oft zu Unterschieden in der Art und Weise, wie Medikamente absorbiert, verarbeitet, verteilt und ausgeschieden werden. Dr. Samantha Hocking
 

„Warum Männer besser auf Lebensstilmaßnahmen ansprechen, ist etwas schwieriger zu erklären“, fügte er hinzu, „aber das könnte mit sozialen Faktoren und Unterschieden zwischen Männern und Frauen zusammenhängen, die sich für die Teilnahme an Forschungsstudien entscheiden.“

„Physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern führen oft zu Unterschieden in der Art und Weise, wie Medikamente absorbiert, verarbeitet, verteilt und ausgeschieden werden“, dies könnte einige der Studienergebnisse erklären, meinte Mitautorin Dr. Samantha Hocking, Endokrinologin am Royal Prince Alfred Hospital und klinische Wissenschaftlerin an der Universität von Sydney.

 
Interessant ist jedoch, dass Frauen selbst bei ähnlicher relativer Liraglutid-Menge mehr Gewicht verloren als Männer. Dr. Samantha Hocking
 

„Da Frauen tendenziell kleiner sind als Männer, erhalten sie bei gleicher Dosis des Medikaments eine relativ größere Menge, und eine solche ist in der Regel auch mit einem größeren Gewichtsverlust verbunden“, fügte Susanto hinzu. „Interessant ist jedoch, dass Frauen selbst bei ähnlicher relativer Liraglutid-Menge mehr Gewicht verloren als Männer.“

Männer verlieren bei Lebensstiländerungen mehr Gewicht

Die derzeit in Australien zugelassenen Medikamente zur Gewichtsreduktion sind, laut Susanto, Liraglutid, Naltrexon/Bupropion (Contrave®, Currax), Orlistat (Xenical®, GlaxoSmithKline), Phentermin (Duromine®, iNova; Metermine®, iNova; Phentermine Juno®, Juno) und Semaglutid.

Nach früheren Untersuchungen verlieren Männer bei alleinigen Lebensstilinterventionen zur Gewichtsreduktion tendenziell mehr Gewicht als Frauen. Dazu zählen kohlenhydratarme Diäten (Susanto et al. 2022), fettarme Diäten (Shai et al. 2008), mediterrane Diäten (Susanto et al. in Review), Low-Energy-Diäten (Christensen et al. 2018) und Bewegungsinterventionen (Donnelly u. Smith 2005), berichtete Susanto.

Eine systematische Überprüfung ergab, dass Männer in 10 von 11 Studien zur Gewichtsabnahme durch Diät und/oder Bewegung mehr Gewicht verloren als Frauen. Es blieb jedoch unklar, ob es auch bei einer pharmakologisch induzierten Gewichtsreduktion geschlechtsspezifische Unterschiede gab.

Die Forschenden suchten daher nach publizierten und auf Konferenzen vorgestellten Zusammenfassungen von klinischen Phase-3-Studien zu Antiadiposita, die getrennte Daten für Männer und Frauen enthielten. Dabei identifizierten sie zunächst 3 Studien:

  • STEP-1: Semaglutid einmal wöchentlich bei erwachsenen Personen mit Übergewicht oder Adipositas (New England Journal of Medicine 2021). Bei dieser Studie erhielten 1.961 Teilnehmende mit Übergewicht oder Adipositas ohne Diabetes, aber mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung (z.B. Hypertonie, Dyslipidämie, obstruktive Schlafapnoe oder kardiovaskuläre Erkrankungen), über 68 Wochen lang randomisiert entweder Semaglutid oder ein Placebo.

  • SCOUT: Dabei ging es um den Effekt von Sibutramin für das kardiovaskuläre Outcome bei übergewichtigen und adipösen Personen. Die Arbeit wurde 2010 im New England Journal of Medicine publiziert. Über 12 Monate hatten 10.744 Erwachsene zufällig entweder Sibutramin oder ein Placebo erhalten. Die Teilnehmer waren mindestens 55 Jahre alt und übergewichtig oder adipös, außerdem wiesen sie eine kardiovaskuläre Erkrankung und/oder einen Diabetes und mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung auf.

  • SCALE: Die randomisierte, kontrollierte SCALE-Studie aus dem Jahr 2015 (im New England Journal of Medicine veröffentlicht) untersuchte die Gewichtsreduktion unter Liraglutid 3,0 mg. Die 3.723 teilnehmenden Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas ohne Diabetes erhielten zufällig Liraglutid oder ein Placebo.

Die wichtigsten Ergebnisse im Hinblick auf die Gewichtsabnahme nach Geschlecht waren:

  • STEP-1: mittlere Gewichtsveränderung nach 68 Wochen Semaglutid bei Männern gegenüber Frauen: -12,9% gegenüber -18,4% (p < 0,05); bei Placebo -3,5% gegenüber -2,1% (p=0,25)

  • SCOUT: mittlere Gewichtsveränderung nach 12 Monaten Sibutramin, Männer gegenüber Frauen: -4,0% gegenüber -5,2% (p < 0,0001); bei Placebo -1,9% gegenüber -2,2% (p<0,005)

  • SCALE: Bei gleicher absoluter Dosierung verloren die Frauen mehr Gewicht als die Männer.

Die Forschenden analysierten anschließend die Daten der STEP-2- und STEP-6-Studien zu Semaglutid, der CONQUER-Studie zu Phentermin und Topiramat (Qsymia®, Vivus) und der SCALE-Diabetes-Studie zu Liraglutid. Dabei zeigten sich ähnliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Reaktion auf die Antiadiposita, wie sie bereits in den 3 anderen Studien zu beobachten waren.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der  Link  zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....