Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben ein Problem: Es gibt zwar überzeugende Daten zum Einsatz von Paxlovid® (Nirmatrelvir + Ritonavir) bei Menschen ab 60 Jahren, aber gerade ältere Patienten in den USA erhalten das Medikament viel seltener als jüngere.

Eric J. Topol, MD
Evidenz kommt nicht nur aus einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie mit Hochrisikopatienten. Hier führte die Therapie zu einer 89%igen Verringerung von Krankenhauseinweisungen und Todesfällen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 45 Jahren.
Forscher haben auch mehrere Real-World-Wirksamkeitsstudien veröffentlicht. Hier zeigte sich ein Nutzen für Menschen ab 60 Jahren. Solche Daten kamen aus Israel und Hongkong (Alter 60+). Insgesamt ist die Wirksamkeit unter Real-World-Bedingungen im 1. Monat nach der Behandlung mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser als in der randomisierten Hochrisikostudie.
In den Vereinigten Staaten ist es jedoch wahrscheinlicher, dass eine Person im Alter von 45 bis 50 Jahren Paxlovid® erhält, verglichen mit Personen, die 80 Jahre oder älter sind. Wieso?
Wir führen momentan eine Umfrage durch, um das herauszufinden. Aber die wahrscheinlichsten Gründe sind:
mangelndes Vertrauen in den Nutzen,
Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten,
Bedenken hinsichtlich eines Rebounds.
Lassen Sie mich auf jeden dieser Aspekte kurz eingehen.
Das mangelnde Vertrauen in den Nutzen ergibt sich aus der Tatsache, dass die anfängliche Hochrisikostudie an ungeimpften Personen durchgeführt worden ist. Sorgen dieser Art sind nicht mehr angebracht, weil alle Real-World-Studien, welche den Schutz vor Krankenhauseinweisungen und Todesfällen bestätigen, an geimpften, teils geboosterten Personen durchgeführt worden sind.
Mögliche Wechselwirkungen der Ritonavir-Komponente in Paxlovid® aufgrund von Cytochrom-P450-3A4-Hemmungen wurden übertrieben dargestellt. Es gibt viele Tools, um Interaktionen mit anderen Präparaten zu ermitteln, aber eine Software der University of Liverpool ist benutzerfreundlich durch ihre Codierung mit Farben und Symbolen. Sie zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Wechselwirkungen vermeidbar ist, indem das betreffende Medikament für die Dauer der Paxlovid®-Behandlung abgesetzt wird, sprich für 5 Tage. Das einfache Diagramm dazu ist in meinem letzten Newsletter zu finden.
Auch der Rebound wurde leider übertrieben dargestellt, da es kaum prospektive, systematische Studien gibt. Außerdem sind Rückfälle dieser Art mit entsprechenden Beschwerden auch ohne Paxlovid® aufgetreten.
Es wird bald mehrere Veröffentlichungen geben, die zeigen, dass die Inzidenz eines Paxlovid®-Rebounds ziemlich gering ist; sie liegt in der Größenordnung von 10%. Solche Bedenken sollten kein Grund sein, die Behandlung nicht durchzuführen.
Jetzt wird die Sache noch komplizierter. Eine neue, derzeit nur als Preprint veröffentlichte Studie der Veterans Health Administration, dem größten Gesundheitssystem in den USA, untersucht die 90-Tage-Ergebnisse von etwa 9.000 mit Paxlovid® behandelten Patienten und etwa 47.000 Kontrollen.
Es kam nicht nur zu einer 26%igen Verringerung von Long-COVID. 10 von 12 typischen Krankheitsbildern bzw. Symptomen haben sich unter mit Paxlovid® abgemildert, einschließlich Lungenembolien, tiefen Venenthrombose und neurokognitiven Beeinträchtigungen. Auch die Zahl der Todesfälle ging um 48% und die Zahl der Krankenhausaufenthalte um 30% in den ersten 30 Tagen zurück.
Ich habe diese Daten überprüft und sie in einem kürzlich erschienenen Newsletter besprochen. Ein wichtiger Punkt ist, dass das Ausmaß des Nutzens durch den Impf- oder Auffrischungsstatus oder frühere COVID-Infektionen oder den ungeimpften Status nicht beeinflusst wurde. Außerdem war es für Männer und Frauen sowie für Alter über 70 und Alter unter 60 gleich.
Diese Ergebnisse stellen einen neuen Grund für den Einsatz der Paxlovid®-Therapie dar. Wenn sie reproduzierbar sind, könnte die Therapie sogar für jüngere Patienten angezeigt sein, die bekanntlich ein geringes Risiko für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle, aber ein erhöhtes Risiko für Long-COVID haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir bei älteren Patienten darüber nachdenken sollten, warum wir Paxlovid® verwenden sollten, und nicht über den Grund, warum wir nicht behandeln sollten. Wir sind gespannt auf Ergebnisse der Umfrage, um die Diskrepanz besser zu verstehen, und wir freuen uns auf Ihre Ideen und Ihr Feedback, um diese Behandlung für die Menschen, die sie am dringendsten benötigen, besser zu nutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eric J. Topol
US-Kardiologe und Editor-in-Chief von Medscape
Der Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Valerio Rosati
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Paxlovid® bei älteren Patienten mit COVID-19: US-Experte Topol sieht mehr Chancen als Risiken – woran es derzeit hakt - Medscape - 21. Nov 2022.
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