Nur ein Piks pro Woche für adipöse Jugendliche: Semaglutid hilft ihnen beim Abnehmen – besser als Liraglutid

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

18. November 2022

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid kann Kinder und Jugendliche mit Adipositas beim Abnehmen unterstützen. Zu diesem Schluss kommt eine randomisierte Placebo-kontrollierte Studie, die von der Firma Novo Nordisk, dem Hersteller des Medikaments, finanziert wurde.

Bislang ist der Wirkstoff, der subkutan verabreicht wird, nur für Erwachsene mit Typ-2-Diabetes oder Adipositas zugelassen. Bei Kindern und Jugendlichen galt er bislang als nicht ausreichend untersucht.

Das Gewicht reduzierte sich im Mittel um 16%

Wie die Autoren der Studie um Prof. Dr. Daniel Weghuber, Leiter der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Uniklinikum Salzburg, im New England Journal of Medicine (NEJM) berichten, konnte eine wöchentliche Gabe von 2,4 mg Semaglutid, verbunden mit einer Lebensstil-Intervention, den Body-Mass-Index (BMI) von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas deutlich stärker senken als die Lebensstil-Intervention allein [1].

Im Mittel verloren die Probanden der Semaglutid-Gruppe im Verlauf der 68-wöchigen Studiendauer rund 16% ihres Körpergewichts. Zeitgleich zu der Publikation im NEJM hatte Weghuber die Ergebnisse auch auf der ObesityWeek in San Diego vorgestellt [2].

Bessere Resultate als mit Liraglutid

„Die Studie zeigt, dass mit einer wöchentlichen Gabe von Semaglutid bessere Resultate zu erzielen sind als mit einer täglichen Verabreichung von Liraglutid, durch die Jugendliche im Mittel nur zwischen 5% und 10% ihres Körpergewichts verlieren“, kommentiert PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher im Gespräch mit Medscape. Sie ist Oberärztin für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätskinderklinik Halle/Saale und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).

 
Die Studie zeigt, dass mit einer wöchentlichen Gabe von Semaglutid bessere Resultate zu erzielen sind als mit einer täglichen Verabreichung von Liraglutid. PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher
 

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid, der ebenfalls subkutan injiziert wird, ist derzeit der einzige Wirkstoff, der für die Behandlung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren zugelassen ist. Allerdings muss die Kostenübernahme durch die Krankenkassen momentan individuell beantragt werden.

Hergestellt wird Liraglutid ebenfalls von Novo Nordisk. Genaue Zahlen darüber, wie oft der Wirkstoff bislang bei Minderjährigen mit Adipositas zum Einsatz gekommen ist, liegen noch nicht vor.

Keine unerwarteten Nebenwirkungen

„Auch die Rate der Non-Responder scheint unter Semaglutid geringer zu sein als unter Liraglutid“, ergänzt Weihrauch-Blüher. Das Nebenwirkungsprofil sei offenbar ähnlich wie bei Erwachsenen, meist handele es sich um gastrointestinale Beschwerden, die nur von kurzer Dauer seien. „Somit ergeben sich aus der Studie keine neuen Sicherheitsbedenken“, sagt die Medizinerin.

 
Aus der Studie ergeben sich keine neuen Sicherheitsbedenken. PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher
 

Als besonders positiv bewertet die AGA-Sprecherin zudem die Beobachtung, dass sich Adipositas-assoziierte Risikoparameter unter der Behandlung mit Semaglutid besserten. „Die Studie hat somit gezeigt, dass sich durch die Therapie auch das Risiko für weit verbreitete kardiovaskuläre oder metabolische Begleiterkrankungen von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas senken lässt“, sagt Weihrauch-Blüher.

Medikamente schließen eine Therapielücke

Über die Resultate zeigt sie sich erfreut: „Auch wenn die Lebensstil-Intervention natürlich stets der wichtigste Pfeiler der Adipositas-Therapie bleiben muss, würde eine gute und sichere medikamentöse Behandlungsoption die klaffende Lücke zwischen den beiden momentan vorhandenen Therapieoptionen, der nachhaltigen Änderung des Lebensstils und einer bariatrischen Operation, schließen.“

Eine bariatrische Operation komme bei minderjährigen Patienten nur in Frage, wenn trotz konservativer Therapie keine nachhaltige Gewichtsreduktion erzielt worden sei und bereits eine extreme Adipositas mit massiven Begleiterkrankungen vorliege sowie weitere Kriterien erfüllt seien. All das aber gelte nur für einen minimalen Prozentsatz der betroffenen Jugendlichen, sagt Weihrauch-Blüher.

Der BMI der Probanden lag im Mittel bei 37

Weghuber und seine Kollegen rekrutierten für ihre Studie 201 Jugendliche – 125 Mädchen und 76 Jungen – im Alter zwischen 12 und 17 Jahren mit einem mittleren BMI von 37. Bei 200 der Probanden lag der Wert auf der 95. Perzentile oder darüber. Lediglich ein Teilnehmer hatte einen BMI zwischen der 85. und 95. Perzentile, litt aber aufgrund seines Übergewichts an Begleiterkrankungen. Alle Jugendlichen hatten mindestens einen erfolglosen Abnehmversuch hinter sich.

Zunächst erhielten sämtliche Probanden 12 Wochen lang eine 14-tägig stattfindende Beratung zu gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität. Ziel war es unter anderem, sich jeden Tag mindestens eine Stunde mäßig oder intensiv zu bewegen.

Nach dieser Run-in-Phase wurden 2 Drittel der Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip der Semaglutid-Gruppe zugeteilt. Über einen Zeitraum von 16 Wochen wurde dort die wöchentliche Dosis des Wirkstoffs von 0,25 mg auf 2,4 mg oder auf die maximale Dosis, die keine inakzeptablen Nebenwirkungen verursachte, gesteigert. Anschließend führten die Probanden ihre Therapie weitere 52 Wochen fort. Ein Drittel der Teilnehmer erhielt nach dem gleichen Schema ein Placebo.

Die Beratungen zum Lebensstil wurden in beiden Gruppen bis zur 20. Woche alle 2 Wochen, danach alle 4 Wochen fortgeführt. Nach der 68-wöchigen Behandlung mit Semaglutid oder Placebo wurden alle Teilnehmer noch weitere 7 Wochen lang beobachtet.

In allen Punkten dem Placebo überlegen

Als primären Endpunkt ihrer Studie formulierten Weghuber und sein Team die prozentuale Veränderung des BMI vom Ausgangswert bis zur Woche 68. Wichtigster sekundärer Endpunkt war ein Gewichtsverlust von mindestens 5% in Woche 68.

Wie die Forscher berichten, schlossen 180 Teilnehmer (90%) die Behandlung ab. In der Semaglutid-Gruppe sank der BMI vom Ausgangswert bis zur 68. Woche im Mittel um 16,1%. In der Placebo-Gruppe stieg er hingegen um 0,6%.

95 von 131 Probanden (73%) der Semaglutid-Gruppe konnten am Ende der Behandlung einen Gewichtsverlust von 5% oder mehr verzeichnen. In der Placebo-Gruppe waren es nur 11 von 62 Teilnehmern (18%).

Ein Gewichtsverlust von mindestens 10% trat bei 62% der Teilnehmer in der Semaglutid-Gruppe und bei 8% in der Placebo-Gruppe auf. Einen Verlust von mindestens 15% konnten die Forscher bei 53% beziehungsweise 5% beobachten; einen Verlust von mindestens 20% bei 37% und 3% der Probanden.

Auch die kardiometabolischen Risikofaktoren wie der Taillenumfang, der Blutdruck und die Werte für HbA1c, Lipide außer HDL-Cholesterin und Alanin-Aminotransferase (ALAT) besserten sich unter Semaglutid signifikant.

Vereinzelt kam es zu Gallensteinen

Die Häufigkeit gastrointestinaler unerwünschter Ereignisse war in der Semaglutid-Gruppe erwartungsgemäß höher als in der Placebo-Gruppe (62% gegenüber 42%). Am häufigsten litten die Probanden unter Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall. In der Regel besserten sich die Symptome jedoch nach wenigen Tagen.

5 Teilnehmer (4%) der Semaglutid-Gruppe und kein Teilnehmer der Placebo-Gruppe entwickelten Gallensteine. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden bei 15 von 133 Teilnehmern (11%) in der Semaglutid-Gruppe und bei 6 von 67 Teilnehmern (9%) in der Placebo-Gruppe gemeldet. Bei allen Jugendlichen traten ausschließlich Nebenwirkungen auf, die man bereits von Erwachsenen kannte.

Langzeitdaten fehlen noch

Eine Schwäche ihrer Studie sehen die Forscher um Weghuber in der begrenzten Dauer der Therapie und der Nachbeobachtung. „Ein längerer Behandlungszeitraum hätte Aufschluss über die Dauerhaftigkeit der Wirkung von Semaglutid gegeben“, schreiben sie. Von Erwachsenen wisse man, dass der Effekt des appetitzügelnden Medikaments mindestens 2 Jahre lang anhalte.

 
Ein längerer Nachbeobachtungszeitraum hätte es ermöglicht, die Wirkung des Behandlungsstopps zu überwachen. PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher und Kollegen
 

„Ein längerer Nachbeobachtungszeitraum hätte es ermöglicht, die Wirkung des Behandlungsstopps zu überwachen“, ergänzen die Autoren und weisen in diesem Zusammenhang daraufhin, dass der BMI der Probanden zwischen Woche 68 und 75 nur geringfügig wieder angestiegen sei. Bekannt ist jedoch, dass Jugendliche nach Absetzen einer Therapie mit Liraglutid meist wieder zunehmen. Den gleichen Effekt hat man für Semaglutid bei Erwachsenen beobachtet.

„Man muss daher davon ausgehen, dass eine längere Therapiedauer mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten auch bei Jugendlichen erforderlich sein wird“, sagt Weihrauch-Blüher. „Daher werden wir Langzeitdaten benötigen, um mögliche Komplikationen zu erfassen, die sich vielleicht erst später im Behandlungsverlauf bemerkbar machen.“

 
Man muss daher davon ausgehen, dass eine längere Therapiedauer mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten auch bei Jugendlichen erforderlich sein wird. PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher
 

Begleitend zu einer medikamentösen Therapie müsse aber grundsätzlich eine Lebensstil-Intervention erfolgen, betont die AGA-Sprecherin. „Idealerweise sollte jeder adipöse Jugendliche ein ambulantes Therapieprogramm absolvieren, das sich über mindestens ein Jahr erstreckt und das nach den Kriterien der AGA oder der Konsensusgruppe Adipositasschulung kurz KgAS, zertifiziert wurde.“ Nur so könnten Änderungen wirklich nachhaltig erlernt und umgesetzt werden, sagt Weihrauch-Blüher.

 
Idealerweise sollte jeder adipöse Jugendliche ein ambulantes Therapieprogramm absolvieren, das sich über mindestens ein Jahr erstreckt. PD Dr. Susann Weihrauch-Blüher
 

Eine Liste von zertifizierten Trainern und Therapieeinrichtungen finden die Betroffenen, deren Eltern und behandelnden Ärzte zum Beispiel auf den Internetseiten der AGA.

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