Dilemma Fatigue Syndrom – Einbildung oder Unwissenheit? Von Biomarkern bis Blutwäsche – diese Studien können Klarheit schaffen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. November 2022

Die Myalgische Enzephalomyelitis (ME) oder auch Chronisches Fatigue Syndrom (CFS) ist eine schwere Multisystemerkrankung, der Leidensdruck der Patienten ist hoch, die Ursache bislang noch nicht gefunden. Aber was weiß man bisher, welche Studien werden hoffentlich bald Klarheit schaffen und wie soll man den Patienten helfen? Oder sind die meisten Symptome doch Einbildung oder Auswirkungen anderer Erkrankungen? Diese Fragen versuchten Experten auf der Neurowoche 2022 zu klären.

„Wir kennen die Pathomechanismen nicht, die zur Entstehung führen, wissen wenig darüber, welche Risikofaktoren es gibt, wie viele Menschen überhaupt betroffen sind, haben keine zuverlässigen Tools, um eine gesicherte Diagnose zu stellen – und können daher auch noch nicht an kausalen Therapien arbeiten”, erklärte Prof. Dr. Harald Prüß, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurologie an der Charité und Sprecher der DGN-Kommission „Neuroimmunologie“, auf der Pressekonferenz der Neurowoche 2022[1].

 
Echte Betroffene werden nicht ausreichend erkannt und entsprechend behandelt. Und Betroffene mit anderen Erkrankungen werden fälschlicherweise mit CFS diagnostiziert. Prof. Dr. Harald Prüß
 

Prüß sprach von einem „doppelten Dilemma“: „Echte Patienten werden nicht ausreichend erkannt und entsprechend behandelt. Und Patienten mit anderen Erkrankungen werden fälschlicherweise mit CFS diagnostiziert.“ Entsprechend klagen viele Patienten und ihre Angehörigen, dass die ME/CFS drastisch unterdiagnostiziert und als Erkrankung nicht ernst genommen wird. Es gibt aber auch Stimmen, die ME/CFS grundsätzlich infrage stellen. Die Gründe dafür sind:

  • Der zugrundeliegende Pathomechanismus bei ME/CFS ist noch nicht vollständig verstanden. Häufig wurde eine persistierende Immundysregulation beschrieben, gekennzeichnet durch Veränderungen der Zytokinprofile und des Immunglobulinspiegels, des T- und B-Zell Phänotyps und einer verminderten Funktion der natürlichen Killerzellen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass ME/CFS bei Patienten mit vorheriger Infektion eine autoimmune Ätiologie aufweist, weil auch Autoantikörper nachweisbar sind. Es gibt aber bislang keine eindeutigen Biomarker der Erkrankung.

  • Das Beschwerdebild ist sehr heterogen – die Symptome reichen von Fatigue über Schmerzen, grippeähnlichen Symptomen und kognitiven Störungen, wie z.B. Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Sprachstörungen, Reizempfindlichkeit, Reizdarmbeschwerden und ausgeprägten Schlafstörungen. Als Leitsymptom gilt schwere Fatigue und Belastungsintoleranz. Das bedeutet eine verzögert auftretende massive Verschlimmerung der Beschwerden auch schon nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung (PEM = Post-Exertional Malaise). „Diese Post-Exertional Malaise tritt selbst nach relativ leichter Belastung auf. Die Patienten laufen beispielsweise zwei, drei Mal ums Haus – und sind infolge dann länger als 24 Stunden komplett erledigt und müssen im Bett liegen bleiben. PEM ist das Kernkriterium dieser Erkrankung“, betonte Prüß.

  • Es existieren zahlreiche Überlappungen mit Erkrankungen aus der Rheumatologie, Endokrinologie, Psychiatrie, Neurologie, Infektiologie, Gastroenterologie und anderen Fachbereichen.

  • Vorbestehende neuropsychiatrische Erkrankungen liegen häufig vor. Diese sind aber wiederum auch Risikofaktoren für die Entstehung von ME/ CFS, erklärte Prüß.

  • Vorliegende Studien zur Häufigkeit von ME/CFS weisen oft große methodische Mängel auf. Dazu zählen heterogene Studienpopulationen, fehlende Kontrollgruppen, unterschiedliche Zeitfenster, die miteinander verglichen werden. Bei Studien, die auf Selbstauskünften von Patienten basieren liegt oft ein Recall Bias (Erinnerungsverzerrung) vor; die Symptome wurden nicht objektiv erfasst und andere Erkrankungen nicht klar abgegrenzt.

Suche nach Biomarkern im Mausmodell

Auch infolge einer COVID-19-Infektion entwickeln manche Patienten Wochen bis Monate nach dem Infekt Beschwerden, die als „Long-COVID“ oder „Post-COVID“ bezeichnet werden und an ME/CFS erinnern. Dazu zählen vor allem Fatigue, PEM und Brain Fog.

Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 vereinbart, für die „Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von COVID-19 sowie für das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen“ zu schaffen.

2 Studien zu CFS laufen derzeit an der Charité bzw. starten in Kürze. In einer Arbeit (Franke et al. 2022, under review) wird nach Biomarkern für ME/CFS gesucht. Untersucht werden dabei die Antikörper von Patienten mit Post-COVID: „Darunter sind häufig Patienten mit Fatigue und mit Gedächtnisstörungen“, berichtet Prüß. In etablierten Tests mit Hirnschnitten einer Maus lasse sich prüfen, ob die dem Liquor entnommenen Antikörper gegen Hirngewebe binden.

„Das interessante ist, dass die Patienten, die diese speziellen Antikörper besonders häufig aufweisen, gleichzeitig diejenigen sind, die in etablierten Gedächtnistests wie dem MoCa-Test, besonders schlecht abschneiden. Das ist ein erster interessanter Hinweis auf eine mögliche Subgruppe“, sagte Prüß.

In der Studie werden die Antikörper mittels molekularbiologischer Techniken isoliert, dann wieder vervielfältigt und an Mäusen getestet. „Ohne die Studienergebnisse vorwegzunehmen lässt sich sagen, dass die Mäuse schon Veränderungen aufweisen, die mit dem Krankheitsbild CFS einher gehen. Ich habe begründete Hoffnung, dass wir sehr bald viel mehr beitragen können zu diesem diffusen Komplex“, berichtete Prüß.

Echte Blutwäsche wird gegen Scheinprozedur getestet

Einem weiteren Ansatz liegt die Hypothese zugrunde, dass ME/CFS – z.B. infolge einer vorherigen Infektion – Autoantikörper-vermittelt ist. Eine Studie zur sogenannten Immunadsorption bei ME/CFS und Post-COVID-Fatigue führt das Team um Prüß im Verbund mit anderen Fachdisziplinen durch, gefördert durch das BMBF, Start ist im Januar 2023.

Mittels Apherese sollen die Autoantikörper aus dem Blut gewaschen werden. Eingeschlossen werden 66 Patienten von denen 2 Drittel auf eine tatsächliche Apherese und 22 auf eine Schein-Apherese randomisiert werden sollen (das Blut läuft durch die Maschine, wird aber nicht gefiltert). „Wir können damit erstmalig Placebo-Effekte kontrollieren, die bei diesen Patienten durchaus eine Rolle spielen“, erklärt Prüß. Er hoffe, dass dadurch für „eine Subgruppe eine Therapie angeboten werden kann, die dann natürlich allen zugute kommt“. Die Studie werde auch für eine intensive Suche nach Biomarkern genutzt – sowohl nach immunologischen Biomarkern als auch in der Bildgebung. Deutschlandweit laufen derzeit auch Studien zu anderen Therapien, beispielsweise zu Immuntherapien, Steroiden und Antipsychotika.

Wie unzureichend bisherige Behandlungsoptionen bei ME/CFS sind, wird auch aus dem Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Mitte Oktober deutlich. Im Frühjahr 2021 hatte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) dem IQWiG den Auftrag erteilt, den aktuellen Kenntnisstand zur ME/CFS zusammenzutragen. Als Behandlungsoption gibt das IQWiG nur eine sehr vage Empfehlung für die sogenannte Graded Exercise Therapy (GET) und für die kognitive Verhaltenstherapie.

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