8 Milliarden: Wie bald wird die Weltbevölkerung schrumpfen? Wie Klima, Fortpflanzung, Medizin und Altern die Dynamik bestimmen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

16. November 2022

Die Weltbevölkerung hat jetzt – Mitte November – die Marke von 8 Milliarden Menschen überschritten. Allerdings hat bereits eine Trendwende begonnen. Die Zeit der Bevölkerungsexplosion ist vorbei, stellt der Bevölkerungsforscher Dr. Frank Swiaczny auf einem internationalen Symposium von Population Europe fest [1]. „Heute wächst die Weltbevölkerung zwar immer noch, aber in einem langsameren Tempo, derzeit um weniger als 1% pro Jahr“, so Swiaczny, der auch Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Demographie ist.

Auf dem Symposium blickten die Forscher in die Zukunft und diskutierten die medizinischen Einflussfaktoren. Wie schnell wird die Population unserer Art wieder schrumpfen?

Erst einmal geht es allerdings noch bergauf: Nach den Berechnungen der Vereinten Nationen sollen 2037 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die UN geht davon aus, dass die Weltbevölkerung noch bis Ende des Jahrhunderts wächst. In den 2080er Jahren komme das Wachstum dann zum Stillstand. Auf dem Höhepunkt gebe es 10,4 Milliarden Menschen. Oder ist schon 2055 bei 8,7 Milliarden der Umkehrpunkt?

 
Heute wächst die Weltbevölkerung zwar immer noch, aber in einem langsameren Tempo, derzeit um weniger als 1% pro Jahr. Dr. Frank Swiaczny
 

Die 8 Milliarden Marke „ist ein Anlass, unsere Vielfalt zu feiern, unsere gemeinsame Menschlichkeit anzuerkennen und die Fortschritte im Gesundheitswesen zu bewundern, die die Lebenserwartung verlängert und die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate drastisch gesenkt haben", so UN-Generalsekretär António Guterres in einer Stellungnahme. Die Zahl erinnere aber auch an „unsere gemeinsame Verantwortung für unseren Planeten und ein Moment, in dem wir darüber nachdenken, wo wir unseren gegenseitigen Verpflichtungen noch nicht nachkommen“, fügte er hinzu.

Vor allem 8 Länder werden wachsen

„Der größte Teil dieses Wachstums wird in städtischen Gebieten in Subsahara-Afrika und in einigen ausgewählten asiatischen Ländern stattfinden“, berichtete Swiaczny. Bis 2050 wird das meiste Wachstum in nur 8 Ländern stattfinden:

  • Demokratische Republik Kongo

  • Ägypten

  • Äthiopien

  • Indien

  • Nigeria

  • Pakistan

  • Philippinen

  • Tansania

Im nächsten Jahr werde Indien voraussichtlich China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen.

 
Der größte Teil dieses Wachstums wird in städtischen Gebieten in Subsahara-Afrika und in einigen ausgewählten asiatischen Ländern stattfinden. Dr. Frank Swiaczny
 

Doch wird das Maximum von 10,4 Milliarden Menschen tatsächlich erreicht? Der renommierte Bevölkerungswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Lutz, Direktor des Instituts für Demographie der Universität Wien, geht davon aus, dass das Wachstum früher endet. In seinem Basisszenario wächst die Menschheit noch bis 2070 und erreicht ihre Maximalzahl mit 9,8 Milliarden Menschen. In seiner Minimalprognose könnte die höchste Zahl der Menschen bereits 2055 mit 8,7 Milliarden erreicht werden. Das wäre eine Generation früher als von der UN erwartet.

Höhepunkt der Kinderzahlen gerade überschritten

„Weltweit haben wir gerade den Höhepunkt der Kinderzahlen überschritten“, verweist Dr. Bruno Masquelier, Professor am Zentrum für demografische Forschung der Universität Louvain in Belgien, auf die UN-Berechnungen. Mit 2,15 Milliarden Kindern im Alter von 0-14 Jahren sei der Höhepunkt der Kinderzahl 2021 erreicht worden. Kinder im Alter vom Säugling bis zum 14. Lebensjahr überlebten zunehmend und seien gesund – das „ist ein Grund zum Feiern“, so Masquelier.

Er warb dafür, die Aufmerksamkeit neu auszurichten – auf ältere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, denn: „Der Anteil von älteren Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die vorzeitig sterben hat zugenommen.“

Tomáš Sobotka, Leiter der VID-Forschungsgruppe „Fertilität und Familie“ am Institut für Demographie der Universität Wien erinnerte daran, dass das Tempo und das Ausmaß des Geburtenrückgangs in Afrika südlich der Sahara ungewiss ist. „Das höchste Szenario impliziert eine Bevölkerungsdichte von mehr als 2.200 Einwohnern pro km², die heute nur von einigen Stadtstaaten übertroffen wird“, sagte Sobotka. Die Schätzungen der UN gingen im Zeitraum 2008 bis 2022 bei 9 bis 16 afrikanischen Subsahara-Ländern von einer Bevölkerung von über 100 Millionen im Jahr 2100 aus.

Doch tatsächlich sei die Fortpflanzung der Zukunft eine „große Unbekannte“, so Sobotka. Noch unklar sei, welche Rolle künftig das Einfrieren von Eizellen, die Gen- und Embryonenauswahl spielen werde. Daneben müsse auch die seit den 70er Jahren abnehmende Zeugungsfähigkeit der Männer bedacht werden. Auch die Entwicklung hin zu späten und weniger werdenden Partnerschaften wirke sich auf die Fortpflanzung aus. Und noch gar nicht abschätzen lasse sich, wie sich der Klimawandel, neue Technologien und wirtschaftliche Unsicherheit auf die Fortpflanzung auswirken werde.

Die Welt wird älter

Dr. Jane Falkingham, Direktorin des ESRC Centre for Population Change und Professorin für Demografie und internationale Sozialpolitik an der Universität Southampton erinnerte daran, dass die steigende Lebenserwartung einen erheblichen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung hatte. „Allein seit 1990 haben wir weltweit 7 Lebensjahre dazugewonnen.“

Falkingham wies aber auch darauf hin, dass die von Sobotka erwähnte sinkende Fertilität die Struktur der Bevölkerung verändern werde: „Die Welt wird älter.“ Doch es gibt große Unterschiede im Durchschnittsalter der Bevölkerung. „Das älteste Land der Welt ist heute Monaco, das Durchschnittsalter beträgt dort 54,5 Jahre. Natürlich ist Monaco ein Sonderfall, aber in Japan liegt das Durchschnittsalter bei 48 Jahren, während es in Nigeria immer noch bei 14,5 Jahren liegt“, berichtete Falkingham.

 
Was wir jetzt erleben, ist eine Entwicklung weg von diesen horizontalen Verwandtschaftsnetzen hin zu engeren vertikalen Verwandtschaftsnetzen. Prof. Dr. Jane Falkingham
 

Die Veränderung in der Alterszusammensetzung führe auch zu einer Veränderung in der Familienzusammensetzung. „Mit dem Rückgang der Fruchtbarkeit und dem Anstieg der Lebenserwartung verändern sich auch unsere Familiennetzwerke“, so Falkingham.

Während man zu Zeiten hoher Geburtenraten viele Geschwister und Cousins hatte, war die Wahrscheinlichkeit, zur selben Zeit mit seinen Großeltern zu leben aufgrund der geringeren Lebenserwartung deutlich geringer als heute. „Was wir jetzt erleben, ist eine Entwicklung weg von diesen horizontalen Verwandtschaftsnetzen hin zu engeren vertikalen Verwandtschaftsnetzen. Ein Kind, das heute geboren wird, hat eine sehr gute Chance, zur gleichen Zeit wie seine Großeltern zu leben und auch noch seine Urgroßeltern kennenzulernen“, sagte Falkingham.

Wie wird sich die Migration entwickeln?

Nimmt Migration immer stärker zu? Darauf antworten viele Befragte mit ja, berichtete Dr. Helga de Valk, Direktorin des Niederländischen Interdisziplinären Demografischen Instituts (NIDI) und Migrationsforscherin an der Universität Groningen. Schaue man sich aber die Zahlen an, sei das nur bedingt richtig: „Die absoluten Zahlen sind gestiegen, aber auch die weltweite Bevölkerung hat zugenommen“, so de Valk. Vergleicht man den Anteil der Menschen, die in den 1960er Jahren nicht dort lebten, wo sie geboren wurden (0,5%) mit dem Anteil im Jahr 2020 (3,6%) zeigt das, dass Migration auch prozentual gestiegen ist – „aber nicht sehr stark“.

Migration, so de Valk, habe es immer schon gegeben. Vor dem Hintergrund, dass Migration zunehmend als Problem empfunden werde, als etwas das gestoppt werden müsse, sei es wichtig, sich das klarzumachen.

Die Daten zeigten, dass die Mehrheit der Menschen, die nicht mehr da lebt, wo sie geboren wurde, in einer Region in der Nähe ihres Geburtsortes lebe. „Es handelt sich in vielen Fällen um Binnenmigration. Die internationale Migration stellt einen kleinen Anteil an der Gesamtmigration dar“, so de Valk.

Noch nicht absehbar sei, wie sich die Klimaerwärmung auf die Migration auswirken werde. „Wir wissen, dass sich die Dinge verändern werden. Aber wie genau die Effekte auf die Migration aussehen, das wissen wir noch nicht. Manche gehen von riesigen Effekten aus, andere sind da skeptischer. Bedenken sollte man auch, dass viele Menschen gar nicht die finanziellen Mittel haben um zu migrieren und andere wollen ihre Heimat nicht verlassen“, erinnerte de Valk.

Wie können 10 Milliarden Menschen ernährt werden?

Schon während der Corona-Pandemie schnellte die Zahl der hungernden Menschen nach oben. Waren 2019 laut UN etwas mehr als 600 Millionen Menschen unterernährt, schätzt die Welthungerhilfe die Zahl heute auf 830 Millionen – mehr als 10% der Weltbevölkerung. „Aufgrund der steigenden Kosten für Lebensmittel, Brennstoffe und Düngemittel sind weltweit 200 Millionen Menschen mehr von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen als im Jahr 2019“, schreibt der Guardian .

Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich 10 Milliarden erreichen wird, stehen Landwirte, Regierungen und Wissenschaftler vor der Herausforderung, die Produktion von Nahrungsmitteln zu steigern, ohne die Zerstörung der Umwelt zu forcieren und die Klimakrise zu verschärfen, die wiederum zur Ernährungsunsicherheit im globalen Süden beitragen.

Die UN gehen davon aus, dass die pflanzliche und tierische Nahrungsmittelproduktion bis 2050 gegenüber 2009 um 70% gesteigert werden muss, um den steigenden Nahrungsmittelbedarf zu decken. Doch schon jetzt ist die Lebensmittelproduktion für fast ein Drittel der CO2-Emissionen und 90% der weltweiten Entwaldung verantwortlich.

Experten wie Crystal Davis vom World Resources Institute setzen auf eine andere Form der Bewirtschaftung. „Das derzeitige Agrarparadigma besagt, dass Land billig und unendlich ist“, sagte Davis. „Die meisten Landwirte fällen einfach mehr Bäume, wenn neues Land benötigt wird.“ Um aber die ökologischen Ziele zu erreichen, müsse die Umwandlung natürlicher Ökosysteme in Ackerland gestoppt werden: „Wir können dies zum Teil dadurch erreichen, dass wir degradierte Flächen wieder in ihre ökologische Integrität und Produktivität zurückführen“, so Davis.

Sie verwies auf eine Hybridlösung, bei der Bäume und andere natürliche Elemente in die Landschaft zurückgebracht und gleichzeitig Produktionssysteme integriert werden. Etwa die Initiative 20 x 20, in der sich 18 südamerikanische und karibische Länder, darunter Argentinien und Brasilien, verpflichtet haben, bis 2030 50 Millionen Hektar Land wiederherzustellen.

Ein 2022 in den USA geborenes Kind würde 5 Erden benötigen

Bevölkerungsforscher Swiaczny verwies darauf, dass das Bevölkerungswachstum weiterhin eine große Herausforderung und gemeinsame Verantwortung für die nachhaltige Entwicklung der weniger entwickelten Länder darstellt. Auch für die einkommensstarken Länder des globalen Nordens mit ihren alternden und schrumpfenden Bevölkerungen bleibe es eine Herausforderung.

Liu Zhenmin, UN-Untergeneralsekretär für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, nannte die Beziehung zwischen Bevölkerungswachstum und nachhaltiger Entwicklung „komplex und multidimensional“ und fügte hinzu: „Das rasche Bevölkerungswachstum erschwert die Beseitigung der Armut, die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung und die Ausweitung der Gesundheits- und Bildungssysteme. Umgekehrt werde die „Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, insbesondere der Ziele in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Gleichstellung der Geschlechter, dazu beitragen, die Geburtenrate zu senken und das weltweite Bevölkerungswachstum zu verlangsamen“.

Das Bevölkerungswachstum wird oft als Hindernis für die Nachhaltigkeit diskutiert, bestätigte Swiaczny, fügte aber hinzu: „Es ist nicht die Hauptursache für den nicht nachhaltigen Konsum, der zu Klimawandel und Umweltzerstörung führt. Vielmehr bereiten uns das Verbrauchsniveau und der Überkonsum von Ländern mit hohem Einkommen und die Ungleichheit zwischen denjenigen, die profitieren, und denjenigen, die für die Risiken der Klimaerwärmung am anfälligsten sind, am meisten Sorgen.“

Längst übersteige der ökologische Fußabdruck die Tragfähigkeit der Erde. Seit den 1970er Jahren hat sich der ökologische Fußabdruck im Laufe der Zeit vergrößert, so dass global betrachtet derzeit 1,7 Erden erforderlich wären, um unseren Bedarf zu decken. „Ein in diesem Jahr in den USA geborenes Kind würde etwa 5 Erden benötigen, wird es in Deutschland geboren, wären es 3 Erden“, verdeutlichte Swiaczny. In vielen armen Ländern, in denen das Bevölkerungswachstum noch immer hoch sei, liege der ökologische Fußabdruck unter der Nachhaltigkeitsschwelle von einer Erde.

Die Ungleichheit zeigt sich auch bei der Verteilung der globalen CO2-Emissionen: „10% der reichsten Bevölkerung sind für fast die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, während die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung nur für weniger als 10% der Emissionen verantwortlich ist“, so Swiaczny. Die Ungleichheit falle noch mehr auf, wenn man die kumulierten Emissionen seit Beginn der Industrialisierung betrachte. „Die USA z.B. haben seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein Viertel aller CO2-Emissionen verursacht. Und selbst Deutschland mit einer viel kleineren Bevölkerung liegt mit 5,5% aller CO2-Emissionen auf Platz 4 in dieser Rangliste“, berichtete Swiaczny.

Nachhaltiges Wirtschaften notwendig

Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum hält er für unumgänglich. Notwendig sei, das Bevölkerungswachstum von den Auswirkungen auf die Umwelt zu entkoppeln. Wie das erreicht werden kann, ohne die Fortschritte in den ärmeren Ländern zu beeinträchtigen, sei noch nicht klar. Ein Teil werde dadurch erreicht, die Lebensqualität der Menschen in Ländern mit hohem Einkommen von den Emissionen abzukoppeln, um den großen ökologischen Fußabdruck zu verringern.

Regenerative Energien böten aber auch weniger entwickelten Ländern große Chancen: So könnten mit der heute verfügbaren Technologie diese Länder auf Investitionen in traditionelle Kraftwerke verzichten und stattdessen Solarenergie und/oder Windenergie nutzen. Auch der Trend zur Verstädterung könne dazu beitragen, die Grundversorgung wirtschaftlicher zu gestalten und über den Ausbau des öffentlichen Verkehrs die Emissionen zu verringern.

„Ob all diese kleinen Beispiele in Richtung Nachhaltigkeit wirken und die steigenden CO2-Emissionen verringern, können wir nicht beurteilen, aber wir hoffen das Beste. Und wir können mit dazu beitragen, wenn wir einen nachhaltigeren Way of Life wählen“, schloss Swiaczny.

Wie schnell wird die Weltbevölkerung wieder schrumpfen? Ausschlaggebend sind dazu Geburtenrate, Kindersterblichkeit und Lebenserwartung im Alter. In den optimistischen Szenarien legt Bevölkerungsforscher Lutz eine weltweite Geburtenrate wie in Europa (1,5 Geburten je Frau) und eine mittlere Lebenserwartung von rund 100 Jahren zugrunde. Tritt das ein, würde die Weltbevölkerung rasant wieder abnehmen. Dann ist es wahrscheinlich, dass 2200 nur noch 2 bis 4 Milliarden Menschen auf der Erde leben.

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