Eine neue Studie des Universitätsklinikums Dresden zeigt, dass Post-COVID in allen Altersgruppen auftreten kann. Mehrere Monate nach einer COVID-19-Infektion haben auch Kinder und Jugendliche oft noch mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen, nicht nur Erwachsene, wie die Autoren um Dr. Martin Rößler vom Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung im Fachblatt PLoS Medicine berichten [1].
Kinder und Jugendliche wiesen demnach 3 Monate oder länger nach einer COVID-19 Infektion mit einer um 30 % höheren Wahrscheinlichkeit Gesundheitsprobleme auf als eine Kontrollgruppe ohne COVID-19-Infektion. Bei Erwachsenen war die Wahrscheinlichkeit um 33 % erhöht. Frühere Publikationen hatten – im Gegensatz zu Erwachsenen - bei infizierten Kindern und Jugendlichen eher keine Unterschiede zur Kontrollgruppe gezeigt.
Unter dem Begriff Post-COVID werden längerfristige, mindestens 3 Monate nach einer COVID-19-Infektion fortbestehende oder neu hinzukommende Krankheitssymptome und gesundheitliche Einschränkungen zusammengefasst.
Einordnung von Beschwerden wird erleichtert
„Die Studienergebnisse können in der hausärztlichen Praxis dabei helfen, Beschwerden und Erkrankungshäufigkeiten in der aktuellen Situation einzuordnen, da sich die Auswirkungen der Pandemie sowohl infektiologisch als auch psychosozial nicht immer leicht differenzieren lassen“, kommentiert Prof. Dr. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Bei dieser Einordnung sei die Erkrankungswahrscheinlichkeit ein wichtiger Ausgangswert, zu dem die Studie nun ebenfalls neue Erkenntnisse liefere.
Die Datenbasis der retrospektiven Studie sind Abrechnungsdaten der Jahre 2019 und 2020 von etwa 38 Millionen Versicherten von 6 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. In die Analyse flossen Daten von 145.184 Erwachsenen und 11.950 Kindern und Jugendlichen mit labormedizinisch nachgewiesener COVID-19-Erkrankung im ersten Halbjahr 2020 ein.
Da nur Infektionen bis Mitte 2020 berücksichtigt wurden, wurden weder Infektionen durch die heute verbreitete Omikron-Variante von SARS-CoV-2 noch Effekte der COVID-19-Impfungen erfasst.
Andere Symptome als Erwachsene
Für jede infizierte Person wurden fünf nichtinfizierte Versicherte in die Studie eingeschlossen, die hinsichtlich Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und Nachbeobachtungszeit vergleichbar waren. Infizierte und Nicht-Infizierte wurden hinsichtlich 96 vorab festgelegter Symptome und Erkrankungen verglichen, die 3 Monate nach der Infektion neu dokumentiert wurden.
Kinder und Jugendliche litten am häufigsten an Unwohlsein, Müdigkeit, Erschöpfung, Husten sowie Hals- und Brustschmerzen. Aber auch die Raten von Kopfschmerzen, Fieber, Bauchschmerzen, Angstzuständen und Depressionen waren erhöht.
Bei Erwachsenen wurden 3 Monate nach einer COVID-19-Infektion vor allem Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie Fieber und Atemnot diagnostiziert, ferner auch Husten, Hals- und Brustschmerzen, Haarausfall, Müdigkeit, Erschöpfung und Kopfschmerzen.
Das Risiko für neu auftretende psychische Gesundheitsprobleme wie Angststörungen oder Depressionen war bei Kindern und Jugendlichen höher als bei Erwachsenen.
„Die Studie zeigt, dass Post-COVID auch bei Kindern und Jugendlichen auftritt. Die Symptome unterscheiden sich aber von denen von Erwachsenen deutlich und sind insgesamt auch seltener“, sagt Scherer.
Schweregrad der COVID-19-Erkrankung spielt eine Rolle
In Analysen, die den Schweregrad der COVID-19-Erkrankung berücksichtigten, hatten Patienten, die im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation behandelt werden mussten, ein höheres Risiko für Post-COVID-Symptome als Patienten mit ausschließlich ambulanter COVID-19-Diagnose. Dies galt für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene.
„Allerdings war die Zahl an Kindern und Jugendlichen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, insgesamt klein, weshalb die bei ihnen ermittelte Risikoerhöhung mit Unsicherheiten behaftet ist“, schränken Rößler und seine Koautoren ein.
Beweise für einen Kausalzusammenhang fehlen
„Was leider auch diese Studie nicht zeigen kann, ist, ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang zwischen der COVID-19-Infektion und allen hier beschriebenen Symptomen besteht“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Mitautor der S1-Leitlinie Long/Post Covid.
Er wies auf eine prospektive Fall-Kontroll-Studie von Juli 2020 bis Juli 2021 hin, in der hospitalisierte COVID-19-Überlebende und Kontrollen mit vergleichbar schwerer hospitalisierungspflichtiger Nicht-COVID-19-Erkrankung verglichen wurden. „Was sich dabei zeigte, war, dass die Häufigkeit neuropsychiatrischer Diagnosen nach 6 Monaten in der COVID-19-Gruppe und der Kontrollgruppe nicht signifikant unterschiedlich war“, betonte er. „Lediglich der Verlust des Geruchssinns war nach COVID-19 signifikant häufiger. Dies bedeutet, dass die Ergebnisse aller retrospektiven Observationsstudien mit Vorsicht betrachtet werden müssen.“
Im Widerspruch zu früheren Studien
Bisher wurde bei Kindern und Jugendlichen das Risiko für Post-COVID als eher gering beschrieben. „Unsere Resultate stehen im Widerspruch zu den Ergebnissen einer Reihe anderer epidemiologischer Studien, die bei Kindern und Jugendlichen keine signifikanten Unterschiede zwischen COVID-19-Infizierten und Kontrollen feststellten“, schreiben die Autoren um Rößler,
Auch die Studie aus Dresden zeigt, dass Kinder und Jugendliche seltener betroffen sind als Erwachsene. „Aber statistisch signifikant waren die Ergebnisse für alle Altersgruppen“, betonen die Forscher.
Sie weisen aber darauf hin, dass die Daten sie sich auf eine Zeit beziehen, in der die Ursprungsvariante von SARS-CoV-2 (Wuhan) vorherrschend war – ein viel aggressiverer Virusstamm als heute zirkulierenden Stämme. „Die sich heute im Umlauf befindlichen Stämme wie Omikron werden von unserer Stichprobe nicht abgedeckt, ebenso wenig wie ein potenzieller Effekt der Impfungen gegen COVID-19“, schreiben sie. „Deshalb sind weitere Beobachtungsstudien notwendig, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf spätere Phasen der Pandemie zu untersuchen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Unwohlsein, Müdigkeit, Erschöpfung, Husten: Auch Kinder leiden an Post-COVID – aber anders als Erwachsene - Medscape - 11. Nov 2022.
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