US-Forscher haben eine neue Klasse DNA-schädigender Stoffwechselprodukte entdeckt, die das Darmbakterium Morganella (M.) morganii produziert. Die in Science publizierte Studie liefert Hinweise darauf, dass diese Genotoxine bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) die Entstehung von Tumoren im Darm begünstigen könnten [1].
„CED-Patienten haben per se ein erhöhtes Dickdarmkrebsrisiko, wenn die Entzündung nicht therapeutisch kontrolliert wird“, sagt Prof. Dr. Gregor Gorkiewicz, Professor für Medizinische Mikrobiomforschung an der Medizinische Universität Graz, Österreich, auf Nachfrage. Inwieweit M. morganii für dieses erhöhte Risiko ursächlich verantwortlich sei, müsse klinisch erst noch gezeigt werden. „Wie in der Studie auch gezeigt wurde, ist die Konzentration von M. morganii bei CED zwar erhöht – insgesamt aber sowohl bei gesunden Menschen als auch CED-Patienten sehr gering“, ergänzte er.
Bislang nur wenige Genotoxine aus dem Mikrobiom bekannt
Der Einfluss des individuellen Mikrobioms auf die Gesundheit wird seit einigen Jahren intensiv erforscht. Einige Bakterien scheinen die Darmgesundheit durch die Ausschüttung ihrer Stoffwechselprodukte negativ zu beeinflussen. „Wir wissen seit etwa 15 Jahren, dass Bakterien die menschliche DNA schädigen können. Bisher hat sich die Forschung jedoch auf einige wenige Bakterienstämme und -arten der DNA-Schädigung konzentriert“, erklärt Dr. Jens Puschhof, der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg das Epithelium Microenvironment Interaction Laboratory (EMIL) leitet und ein Editorial zu der Studie verfasst hat [2].
Am bekanntesten ist das von einigen Escherichia-coli-Stämmen gebildete Genotoxin Colibactin. Es führt zu DNA-Doppelstrangbrüchen in Darmepithelzellen und begünstigt im Mausmodell die Entstehung von Dickdarmkrebs. „Auch beim Menschen sind Colibactin-assoziierte Mutationssignaturen nachgewiesen worden. Dies deutet darauf hin, dass eine DNA-Schädigung durch Bakterien auch bei Menschen mit Darmkrebs eine direkte Rolle spielt“, berichten Erstautorin Yiyun Cao und ihre Kollegen von der Yale University School of Medicine, New Haven, USA.
CED-Patienten weisen mindestens 18 Bakterienstämme mit genotoxischer Wirkung auf
Um herauszufinden, ob weitere Bakterien im Darm die Bildung von Darmtumoren durch ihre Stoffwechselprodukte begünstigen, untersuchten die Forschenden Stuhlproben von Menschen mit CED. Sie identifizierten 18 verschiedenen Bakterienstämme, deren Stoffwechselprodukte sich als genotoxisch erwiesen.
Sie entdeckten außerdem eine zuvor unbekannte Klasse von Genotoxinen, die Indolimine, welche von der Spezies M. morganii produziert wird. Frühere Studien weisen bereits darauf hin, dass ein stärkeres Auftreten des Bakterienstamms im Zusammenhang mit CED und der Entstehung von Dickdarmkrebs stehen kann. „Das Darmmikrobiom sowohl von Patienten mit CED als auch von Patienten mit Darmkrebs ist mit M. morganii angereichert“, so die Forschungsgruppe um Cao.
M. morganii schwächt im Mausmodell Darmbarriere und verstärkt Zellteilung
Ebenso wie Colibactin verursachen auch Indolimine Doppelstrangbrüche in der DNA. Als essenziell für die Produktion von Indoliminen erwies sich eine Aspartataminotransferase, die durch das Gen AAT kodiert wird. Cao und ihre Kollegen erzeugten daraufhin eine nicht länger genotoxische Variante von M. morganii, die aufgrund einer Mutation im AAT-Gen keine Indolimine mehr produzieren kann. Im Vergleich zu dieser Mutante schwächte der Wildtyp von M. morganii im Mausmodell die Darmbarriere und verstärkte die Zellteilung.
Die Forschungsgruppe konnte außerdem zeigen, dass der Indolimine-produzierende Wildtyp von M. morganii in einem Mausmodell für Darmkrebs die Tumorbildung im Darm förderte. Ihr Fazit: „Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Genotoxine aus dem Mikrobiom für die Wirtsbiologie und die Krankheitsempfänglichkeit eine größere Rolle spielen könnten als bislang bekannt war.“
Bestimmte Darmbakterien könnten Risikofaktor für Darmkrebs sein
Sollte sich bestätigen, dass Indolimine tatsächlich ursächlich für eine Erhöhung des Darmkrebsrisikos sind, hätten „Träger solcher genotoxischer Darmbakterien in gewisser Weise einen Risikofaktor für die Darmkrebsentstehung“, sagte Gorkiewicz. Da die Zusammensetzung des Darmmikrobioms über Lebensstilfaktoren wie zum Beispiel die Nahrung, aber auch über Medikamente und ähnliches moduliert werden könne, zeige die Arbeit auch neue Wege in der Prävention von Dickdarmkrebs auf.
Der Grazer Mikrobiomforscher wies aber darauf hin, dass andere Vertreter des Darmmikrobioms potenziell diese Genotoxine auch wieder inaktivieren könnten. „Das Darmmikrobiom ist ein sehr effektiver Bioreaktor, der unter anderem auch eine Vielzahl von Medikamenten metabolisieren kann. Somit wird wahrscheinlich erst der ‚Summeneffekt‘ des Mikrobioms in puncto Mutagenese wirksam.“
Noch zu früh, um möglichen Einfluss der Ernährung zu beurteilen
Mit dem wachsenden Wissen über entzündungs- und mutationsfördernde Bakterien kann begonnen werden zu untersuchen, welchen Einfluss einzelner Aspekte der Lebensweise auf das Auftreten und die Aktivität dieser Bakterien haben. „Wir wissen, dass unsere Ernährung und Lebensweise einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmflora haben“, sagte Puschhof.
„Es ist noch nicht möglich, diese präzisen Effekte für die neu identifizierten genotoxischen Bakterien abzuschätzen. Aber eine ausgewogene Ernährung trägt zu einer balancierten Darmflora bei. Und diese ist robuster gegen das Überwachsen einzelner, potenziell schädlicher Bakterien und kann somit einen wichtigen Beitrag zur Darmgesundheit leisten.“
Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.
Credits:
Photographer: © VectorMine
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Gefährliches Mikrobiom? Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung haben Bakterien, die Darmkrebs-fördernde Toxine produzieren - Medscape - 11. Nov 2022.
Kommentar