MEINUNG

Rettungshilfe fürs Klima durch Digitalisierung im Gesundheitswesen – Bildungsforscher ist „unheimlich optimistisch!“

Christian Beneker

Interessenkonflikte

9. November 2022

Wir werden uns umstellen müssen, und wir werden lernen müssen. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass die Digitalisierung des Gesundheitssystems das Klima schützt, statt es zu schädigen. Das sagt Prof. Dr. Jan Ehlers, Professor für Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen an der Universität Witten/Herdecke, im Gespräch mit Medscape.

Dr. Jan Ehlers

Medscape: Beim Digital-Health-Index der Bertelsmann Stiftung liegt Deutschland bei 17 gelisteten Ländern nur auf Rang 16. Das heißt, die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist bei uns vergleichsweise schlecht ausgebaut. Trotzdem sagen Sie, die Digitalisierung verhilft zu einer besseren CO2-Bilanz. Schützt Digitalisierung im Gesundheitssystem das Klima?

Ehlers: Auch wenn Deutschland weit hinten auf der Liste liegt, muss man sagen, dass derzeit, was die Digitalisierung im Gesundheitswesen angeht, eine Menge im Land passiert. Aber wir sehen noch nicht, wie die zunehmende Digitalisierung des Gesundheitswesens eigentlich die CO2-Bilanz verbessern kann.

 
Wir könnten zum Beispiel mehr CO2 einsparen, wenn wir uns entschlössen, lieber Daten zu transportieren als Menschen: Telemedizinische Anwendungen etwa können viele Autofahrten vermeiden helfen. Prof. Dr. Jan Ehlers
 

Meistens beurteilen wir die Digitalisierung im Gesundheitswesen eher unter dem Aspekt etwa der verbesserten Versorgungsqualität. Aber wir sehen nicht, was die Digitalisierung des Gesundheitswesens an Positivem für den Klimaschutz bedeuten kann.

Lieber Daten transportieren als Menschen

Medscape: Wie verbessert die Digitalisierung in Praxen oder Krankenhäusern die Klimabilanz?

Ehlers: Wir könnten zum Beispiel mehr CO2 einsparen, wenn wir uns entschlössen, lieber Daten zu transportieren als Menschen: Telemedizinische Anwendungen etwa können viele Autofahrten vermeiden helfen. So könnten wir mit konsequentem digitalem Monitoring etwa von Herzpatienten viele Autofahrten zum Kardiologen oder der Hausarztpraxis einsparen – und dadurch den CO2-Ausstoß senken. Gerade bei der Prävention eröffnen die Digitalisierungsmaßnahmen also ein weites Feld.

Auch die künstliche Intelligenz funktioniert schon im Kleinen – wenn etwa Pflegedienste bei Google Maps sich die CO2-sparsamsten Routen für ihre Touren aussuchen können.

Ob etwa Pflegeroboter in Pflegeheimen dabei helfen, CO2 einzusparen, ist nicht klar. Aus meiner Sicht wäre es besser, mit einem digitalen Dokumentationsprogram mehr Zeit mit den Heimbewohnern zu schaffen.

Medscape: Auf der anderen Seite fallen doch enorme Mengen an CO2 an, wenn zum Beispiel die Kartenlesegeräte für Praxen und Krankenhäuser produziert werden.

Ehlers: Richtig und wichtig ist es, dass man auch die Trade- offs, also die Zielkonflikte bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen, genau beforschen muss: Wie viel Elektroschrott produzieren wir bei der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung? Wie viel CO2 bei der Herstellung der Geräte? Wie viel Energie verbrauchen wir bei der Herstellung? Durch den Geräte-Austausch?

 
Der massenhafte Austausch der Konnektoren ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel dafür, wie die Digitalisierung dem Klimaschutz schadet und auch noch teuer ist. Prof. Dr. Jan Ehlers
 

Der massenhafte Austausch der Konnektoren ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel dafür, wie die Digitalisierung dem Klimaschutz schadet und auch noch teuer ist. Der Chaos Computer Club (CCC) hatte nachgewiesen, dass ein Software-Update deutlich einfacher und billiger gewesen wäre.

Bei der künstlichen Intelligenz allerdings wissen wir noch nicht, ob sie in der Bilanz dem Klima nützt oder schadet.

Medscape: Welchen Anteil hat die Digitalisierung des Gesundheitssystems an den Gesamtemissionen?

Ehlers: Die Gesundheitswirtschaft hat einen Anteil an der jährlichen Gesamtemission an CO2 von 5,2%. Das heißt, die Gesundheitswirtschaft ist prinzipiell ein Bereich, bei dem man einsparen kann – zum Beispiel bei Lieferketten und der Mobilität allgemein. Auch immer neue Medizintechnik zu entwickeln und herzustellen, steril zu verpacken und zu transportieren braucht Energie und vergrößert den CO2-Fußabdruck.

Wie klimarelevant das Gesundheitssystem ist, sollten wir in allen Bereichen mitberücksichtigen. Ich sehe da ein langsames Umdenken im Gesundheitsbereich.

Die Zielkonflikte beforschen

Medscape: Fehlen nicht irgendwann die Rohstoffe, etwa die seltenen Erden? Sie werden energieintensiv abgebaut und müssen importiert werden …

Ehlers: Das muss in die Berechnung mit hineingenommen werden. Das passende Mittel heißt auch hier: Sparen. Viele junge Leute kaufen heute schon gebrauchte Geräte und erwerben nicht alle 2 Jahre ein neues Mobiltelefon.

Wir wissen, dass der höchste CO2 Ausstoß über die Endgeräte läuft. Da muss jeder bei sich selbst beginnen und fragen: Brauche ich 2 Handys, ein Tablet, eine Spielkonsole, 2 Bildschirme etc.? Diese Haltung brauchen wir auch zum Beispiel bei der Praxis-IT. Und: Die Handy-Hersteller sollten die Updates für Mobiltelefone länger vorhalten!

Medscape: Wie kann man dafür sorgen, dass Ärzte und Patienten den Klimaschutz durch e-Health besser berücksichtigen?

 
Ich bin unheimlich optimistisch! In Sachen Digitalisierung wird das deutsche Gesundheitssystem Fahrt aufnehmen und Anschluss gewinnen. Prof. Dr. Jan Ehlers
 

Ehlers: Da haben wir aus meiner Sicht eine Bildungsaufgabe: den Mitarbeitern im Gesundheitswesen aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt. Wo kann man digitale Gesundheitsanwendungen – DiGAs – verschreiben? Wo Telemedizin anbieten?

Vor allem geht es darum, ein positives Verhältnis zur Digitalisierung im Gesundheitswesen aufzubauen. Wir brauchen einen Handlungsoptimismus, eine reflektierte Bildungsfreude im Hinblick auf die Digitalisierung.

Und wir müssen aufpassen, dass alle teilhaben können an den digitalen Anwendungen – auch ältere Menschen. Sie müssen vieles neu lernen. Ich denke an Bildungsmaßnahmen zum Beispiel zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen. 

Medscape: Wo stehen wir in 10 Jahren?

Ehlers: Ich bin unheimlich optimistisch! In Sachen Digitalisierung wird das deutsche Gesundheitssystem Fahrt aufnehmen und Anschluss gewinnen. Kammern und KVen befassen sich zunehmend mit dem Thema, sie sehen immer mehr die Chancen. Wir sollten mehr die Chancen sehen, nicht mehr nur zuschauen und unsere Vision eines klimaschonenden Gesundheitssystems verfolgen. Aber: Wir werden bereit sein müssen, zu lernen.

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