MEINUNG

Mit erhöhtem Blutzucker ins Krankenhaus: So sollten Ärzte und Diabetes-Manager diese Patienten optimal betreuen

Prof. Dr. Stephan Martin

Interessenkonflikte

1. Dezember 2022

Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ende September 2022 wurde von der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) eine neue Konsensus-Erklärung zur medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes veröffentlicht.

Ich möchte heute diese neuen Therapieleitlinien vorstellen.

Änderung des Lebensstils weiterhin Basis

Die Basis der Therapie des Typ-2-Diabetes besteht weiterhin in einer Änderung des Lebensstils. Dabei kann auch eine Low-Carb-Ernährung oder auch eine radikale Gewichtsabnahme mit Hilfe von Formula-Diät eingesetzt werden.

Therapie individuell wählen

Ganz interessant ist, dass Metformin in dieser Leitlinie nicht mehr das Mittel der Wahl für jeden Patienten bei der Behandlung der Hyperglykämie ist.

Grundsätzlich wird empfohlen, bei der Therapieentscheidung sehr individuell vorzugehen. Dabei sollen die behandelnden Ärzte die Patienten zuerst danach gruppieren, ob sie ein hohes kardiorenales Risiko haben. Darunter verstehen die Autoren entweder ein hohes kardiovaskuläres Risiko, d.h. wenn Personen einen Typ-2-Diabetes haben, schon älter als 55 Jahre sind und 2 weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, oder sie leiden bereits an einer kardiovaskulären Erkrankung, wie einer koronaren Herzkrankheit, einem Herzinfarkt, einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, einem Schlaganfall oder einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA). In all diesen Fällen wird empfohlen, direkt mit einem GLP1-Agonisten mit nachgewiesenem Nutzen für eine kardiovaskuläre Erkrankung oder einem SGLT2-Hemmer mit nachgewiesenem Nutzen für die kardiovaskuläre Erkrankung zu beginnen.

Bei Patienten mit einem sehr hohen Risiko, kann es sinnvoll sein, beide Wirkstoffe zu kombinieren – so die Leitlinie.

Die Empfehlung, diese Wirkstoffe zu verwenden, gilt unabhängig davon, ob die Personen ihr HbA1c-Ziel erreicht haben oder nicht. Der Patient muss nicht unbedingt, wenn er diese Risikofaktoren hat, Metformin einnehmen, um von diesen Mitteln zu profitieren.

Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter oder erhaltener Auswurffraktion, sollten einen SGLT2-Hemmer einnehmen.

Fällt ein Patient nicht in die erste Gruppe, sieht die Leitlinie vor, zu überprüfen, ob eine chronische Nierenerkrankung (CKD) vorliegt. Eine CKD ist definiert durch eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate von unter 60 ml/min oder einen Urin-Albumin-Kreatinin-Quotienten von mehr als 30 mg/g Kreatinin. In diesem Fall sollte der Patient vorzugsweise einen SGLT2-Hemmer einnehmen. Also bei Herzinsuffizienz und bei Niereninsuffizienz sind SGLT2-Hemmer zu bevorzugen.

Patienten, die aus irgendeinem Grund SGLT2-Hemmer nicht einnehmen können, sollten einen GLP1-Agonisten erhalten.

Personen ohne kardiorenales Risiko

Wenn Patienten weder ein hohes renales oder kardiovaskuläres Risiko haben, dann sieht der Algorithmus als Ziel eine Optimierung des Blutzucker-Spiegels und des Gewichts-Managements vor.

Zunächst zum Blutzucker-Management: Hier ist bei der Auswahl von Medikamenten Metformin weiterhin eine sinnvolle Therapie, wobei möglicherweise andere Wirkstoffe ergänzt werden müssen, um das HbA1c-Ziel des Patienten zu erreichen. Ist der Patient weit von seinem HbA1c-Ziel entfernt ist, kann ein Medikament mit höherer Wirksamkeit gewählt werden.

Bei der Wirksamkeit von Antidiabetika werden Substanzen mit sehr hoher, mit hoher und mit mittlerer Wirksamkeit unterschieden.

Eine sehr hohe Wirksamkeit bei der Senkung des HbA1c-Werts haben Dulaglutid in hoher Dosis, Semaglutid, Tirzepatid (das demnächst in Deutschland in den Handel kommt), Insulin oder eine Kombination von injizierbaren Wirkstoffen, z. B. GLP1-Rezeptoragonisten plus Insulin.

Eine hohe Wirksamkeit haben GLP1-Agonisten wie Liraglutid oder Exenatid, Metformin, SGLT2-Hemmer, Sulfonylharnstoffe und Glitazone.

Zu den Substanzen mit mittlerer Wirksamkeit gehören DPP4-Inhibitoren.

Die Leitlinie sieht insbesondere Hinweise zur Gewichtskontrolle vor. Zur Gewichtskontrolle ist eine Änderung des Lebensstils in Form von geänderter Ernährung und vermehrter körperlicher Aktivität wichtig.

Wenn eine Änderung des Lebensstils nicht ausreicht, sollte ein Medikament mit gewichtsreduzierender Wirkung wie ein GLP1-Agonist oder ein SGLT2-Hemmer eingesetzt werden.

Als Alternative soll nach Aussage der amerikanischen Leitlinie eine metabolische Operation in Betracht gezogen werden.

Dabei sollte man sich bei der Gewichtskontrolle auf Patienten konzentrieren, die aufgrund der Fettleibigkeit schon Komplikationen haben, z. B. Schlafapnoe oder biomechanische Komplikationen wie Rücken-, Hüft- oder Knieschmerzen oder eine nicht alkoholische Fettleber.

Die Medikamente zur Gewichtsabnahme wurden ebenfalls nach ihrer Wirkungsstärke geordnet.

Eine sehr hohe Wirksamkeit bei der Gewichtsabnahme haben Semaglutid und Tirzepatid, eine hohe Wirksamkeit haben Dulaglutid und Liraglutid, eine mittlere Wirksamkeit haben die anderen GLP1-Agonisten, wie Exenatid, und die SGLT2-Hemmer.

Keine Wirkung auf das Gewicht haben DPP4-Hemmer und Metformin.

Wo kommt Insulin ins Spiel?

Wenn ein Patient einen sehr hohen HbA1c-Wert hat, wenn er mit anderen Medikamenten seinen Zielwert nicht erreicht oder wenn er aufgrund seines Diabetes in einem katabolen Zustand ist, also einen Insulinmangel hat und er Gewicht verliert, dann ist Insulin ein wichtiger Bestandteil der Behandlung.

Diabetes-Behandlung = Organprotektion

Diese Leitlinie ist m. E. nicht 1:1 auf Deutschland anwendbar. Allerdings unterscheidet sie sich nicht mehr sehr stark von den Nationalen Versorgungsleitlinien, die vor 1 Jahr veröffentlicht worden sind.

Generell steht die Glucose-Kontrolle nicht mehr im Vordergrund, sondern Diabetesbehandlung bedeutet Organprotektion, also Schutz für Herz, Nieren, Gehirn.

Und die Insulintherapie ist in dieser Leitlinie und in den Nationalen Versorgungsleitlinien auf Ramsch-Niveau abgesunken.

Ich hoffe, es war für Sie interessant.

Ihr Stephan Martin

 

Kommentar

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