Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Jahr 2022 neigt sich dem Ende zu. Wie es gute Tradition ist, möchte ich ein kleines Resümee auf meiner persönlichen Sicht über dieses Jahr ziehen.
Das Jahr nach COVID
Für mich ist es das Jahr nach COVID. Das Jahr, in dem COVID nicht verschwunden ist, aber seine Schrecken durch die Impfungen verloren hat. Kaum einer von uns ist trotz Impfung verschont geblieben, aber wie auch ich hatten viele nur geringe oder sogar gar keine Beschwerden.
Aber ich habe das Gefühl, dass das Verhalten der Menschen, das sich durch die Einschränkung des Lockdowns verändert hat, geblieben ist.
Folgen sind eine zunehmende Isolierung auf sozialer Ebene, ein geändertes Bewegungs- und auch Ess-Verhalten. Das im Lockdown angefressene Übergewicht bleibt erhalten und die Zahlen an entsprechenden Erkrankungen - ganz zuvorderst der Typ-2-Diabetes - scheinen gefühlt zu explodieren.
Dabei hat die Politik, insbesondere die Gesundheitspolitik, in Zeiten der COVID-Krise den Satz „Gesundheit steht an 1. Stelle“ geprägt.
Es wurde alles unternommen, um die SARS-CoV2-Infektion und die daraus resultierende COVID-19- Erkrankung zu verringern.
Warum sind Zigaretten- und Cannabis-Konsum erlaubt?
Schon damals habe ich mich gefragt, warum wir das Zigarettenrauchen zulassen, wenn Gesundheit wirklich an 1. Stelle steht.
Von den knapp 900.000 in Deutschland im Jahr 2019 verstorbenen Personen verstarben laut Statistischen Bundesamt 110.000 bis 140.000 vorzeitig wegen aktivem oder passivem Rauchen.
Ganz aktuell hat das Bundeskabinett noch grünes Licht für den Weg einer Legalisierung von Cannabis gegeben. Es stimmte den Plänen von unserem verehrten Gesundheitsminister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach zu, nach denen Erwerb und Besitz einer Höchstmenge von 30 g Cannabis - in den Niederlanden sind es übrigens 3 g - zum Eigenkonsum straffrei sein soll.
In einer aktuellen Arbeit kommen kanadische Radiologen zu dem Schluss, dass die Kombination aus Zigarettenrauch und Cannabis-Konsum zu einer verstärkten Schädigung der Lunge führt.
In einer weiteren amerikanischen Studie wurde der Zusammenhang von Cannabis-Konsum und dem Risiko von Vorhofflimmern untersucht. Dazu wurden die Daten von über 23 Mio. Teilnehmern einer amerikanischen Beobachtungsstudie genutzt. Bei den Personen mit Cannabis-Konsum zeigte sich ein um 30% erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern. Vergleichbare Ergebnisse zeigen sich auch für Cocain und Amphetamine.
Wer denkt, dass der Gesundheitsminister diese Bedenken in den Wind schlägt, der irrt. Sein Vorschlag sieht vor, dass Cannabis auch in Apotheken verkauft werden soll Er denkt eben auch an die notleidende Pharmaindustrie und die Apotheken, die dann Medikamente zur Antikoagulation und Cannabis im Doppelpack verkaufen können.
Diese Beispiele zeigen, dass in unserem Staat Gesundheit definitiv nicht an 1. Stelle steht.
Ich wünsche uns allen, dass im kommenden Jahr Gesundheit, aber auch die Menschen, die sich um die Gesundheit kümmern (Professionelle und selbst Betroffene) eine höhere Wertschätzung erlangen.
Aber wir wissen ja alle, Wünsche kann man äußern, die Realität sieht anders aus.
Alles Gute wünsche ich Ihnen für die kommenden Feiertage und auch alles Gute für das Jahr 2023!
Ihr Stephan Martin
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Bigotte Gesundheitspolitik? 2022 verlor COVID seinen Schrecken, aber Cannabis wurde erlaubt – Rückblick eines Diabetologen - Medscape - 12. Dez 2022.
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