MEINUNG

Neuro-Talk: „Ein sehr aufregendes Jahr 2022“ – Game-Changer-Studien aus der Neurologie, die Sie als Arzt kennen sollten

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

22. Dezember 2022

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener präsentiert in seinem Jahresrückblick eine Auswahl seiner Lieblingsstudien. Haben Sie die Highlights zu Alzheimer, Schlaganfall, Schlaf, Migräne, COVID-19 und mitbekommen?

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Mein heutiges Video fasst die Highlights in der klinischen Neurologie im Jahr 2022 zusammen.

Lecanemab bei früher Alzheimer-Erkrankung

Die spektakulärste Arbeit war eine Publikation im New England Journal of Medicine, die Ende November erschienen ist [1]. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass Lecanemab, ein monoklonaler Antikörper gegen Fibrillen, aus denen Beta-Amyloid-Ablagerungen bei Morbus Alzheimer entstehen, offenbar im Vergleich zu Placebo. wirksam ist. In diese große Studie waren Patienten mit mild cognitive impairment und beginnender Alzheimer-Erkrankung mit Nachweis von Amyloid-Plaques im PET-Scan oder entsprechenden Biomarkern im Liquor aufgenommen worden. Sie erhielten über einen Zeitraum von 18 Monaten Verum (n = 898) oder Placebo (n= 897).

Am eindrucksvollsten waren die Daten zu den Amyloid-Ablagerungen, die mit Placebo unverändert waren und mit dem monoklonalen Antikörper dramatisch um 60-70% abgenommen haben.

Es zeigte sich auch eine Verlangsamung der Verschlechterung der kognitiven Funktionen. Das galt für den primären Endpunkt und alle sekundären Endpunkte. Also zum ersten Mal gelang nun der Wirkungsnachweis eines monoklonalen Antikörpers gegen Beta-Amyloid bei beginnendem Morbus Alzheimer.

Wermutstropfen sind die Nebenwirkungen, es kann nämlich zu Hirnödemen kommen, die aber meist asymptomatisch sind, und im MR sieht man auch vermehrte Mikroblutungen. Ob das dann bei einer potenziellen Langzeitanwendung zu vermehrten, intrazerebralen Blutungen führen kann, insbesondere bei Patienten, die antikoaguliert sind, weiß man bisher noch nicht.

Post-COVID

Zweites großes Thema war Post-COVID. Für viele Studien steht paradigmatisch eine Studie aus Holland mit 76. 000 Studienteilnehmern, die im Lancet erschienen ist [2]. Die Teilnehmer füllten einen Fragebogen mit 23 somatischen Symptomen vor der Infektion und über 90 bis 150 Tage nach der Infektion aus. 4.200 Teilnehmer hatten COVID-19.

Es zeigte sich, dass 21% der Personen mit COVID-19, aber nur 9% der Kontrollen ohne COVID-19 persistierende somatische Symptome hatten. Am häufigsten waren Kopfschmerzen, ferner Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, andere Schmerzen und Schwindel. Also Post-COVID existiert.

Was genau biologisch dahinter steckt, weiß man nicht. Leider gibt es bisher keine spezifische Therapie.

Schlafstörungen und Schlafmittel

Bisher gab es v.a. die Benzodiazepine, die etwas in Verruf geraten sind wegen potenzieller Abhängigkeit. Sie wurden durch die sogenannten Z-Substanzen ersetzt, bei denen mal ursprüngliche annahm, dass sie nicht zur Abhängigkeit führen. Bei einem Teil der Patienten kann es jedoch zu einer Abhängigkeit kommen.

Jetzt gibt es Orexin-Antagonisten. Ein dualer Orexin-Antagonist ist Daridorexant. Es wurde in 2 großen Phase-3-Studien untersucht [3], und erwies sich als eindeutig wirksamer als Placebo für alle wesentlichen Schlafparameter, vor allem die Geschwindigkeit, mit der der Schlaf eintritt. Ganz wichtig: es gibt keinen Überhang-Effekt am nächsten Tag.

Epstein-Barr-Virusinfektion und MS

Bei der MS herrschte große Aufregung wegen einer riesigen Studie von der Veterans Administration in den Vereinigten Staaten [4]. Bei Veteranen des Militärs wurde beobachtet, das offenbar eine Infektion mit Epstein-Barr-Virus das Risiko, später an einer MS zu erkranken, erhöht.

Ein Wermutstropfen ist hier, dass Epstein-Barr-Virusinfektionen sehr häufig sind, sie betreffen 70-80% der Bevölkerung. Es gibt bisher auch noch keinen Impfstoff. Ob eine Impfung später vor MS schützt, weiß derzeit auch noch niemand.

Parkinson und Alpha-Synuclein-Ablagerungen

Beim Morbus Parkinson wird immer deutlicher, dass eine Alpha-Synuclein-Ablagerung das wesentliche pathophysiologische Substrat ist. Hier ist die gute Nachricht, dass die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Daniela Berg in Kiel einen Test entwickelt hat, mit dem man im Serum neuronal abgeleitete Alpha-Synucleine nachweisen kann [5].

Die schlechte Nachricht ist, dass 2 große Placebo-kontrollierte Studien mit monoklonalen Antikörpern gegen Alpha-Synuclein bei früher Manifestation des Morbus Parkinson unwirksam waren [6,7]. Es gibt also leider weiterhin keine krankheitsmodulierende Therapie bei Morbus Parkinson.

Schlaganfall

Hier gibt es 2 ganz große Themengebiete, und zwar zum einen, ob die mechanische Thrombektomie bei Durchblutungsstörungen im vorderen Kreislauf mit der Lyse kombiniert werden soll. Es gab 3 randomisierte Studien [8]. Wenn man sie zusammennimmt, dann ist offenbar doch die Rekanalisierungsrate und der klinische Outcome besser, wenn die systemische Thrombolyse mit der mechanischen Thrombektomie kombiniert wird.

Als 2. wichtige Erkenntnis zeigen 2 große Studien aus China bei Basilaris-Verschlüssen eindeutig, dass in einem Zeitfenster bis zu 24 Stunden die mechanische Thrombektomie einer rein konservativen Therapie deutlich überlegen ist [9,10]. Das betrifft die Reduktion der Mortalität und die Reduktion der funktionellen Einschränkung.

Eine spannende Studie aus China zeigt, dass eine ischämische Konditionierung beispielsweise durch Ischämie an den Oberarm den Outcome bei ischämischen Schlaganfällen verbessert [11]. Ob das wirklich funktioniert, muss natürlich in weiteren Studien belegt werden.

Migräne

Kurz die wesentlichsten Informationen beim bei der Migräne:

Die monoklonalen Antikörper gegen CGRP und gegen den CGRP-Rezeptor sind wirksam bei der chronischen Migräne und sie sind vor allem wirksam bei Patienten mit einem Dauerkopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemittel, ohne dass man diese Patienten entziehen muss.

Eine weitere gute Nachricht ist, dass Erenumab jetzt als Praxisbesonderheit verschrieben werden kann, wenn nur eine vorausgehenden Migräneprophylaxe nicht wirksam war, nicht vertragen wurde oder kontraindiziert war.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2022 war ein sehr aufregendes Jahr für die Neurologie. Ich konnte ihn nur einige Highlights vorstellen, es gibt noch viele andere wichtige Ergebnisse.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und ich bedanke mich dafür, dass sie zugeschaut und zugehört haben.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....