MEINUNG

„Komplettremissionen durch Immuntherapie bei Darmkrebs“: Diese Studien-Highlights 2022 waren echte Erfolge im Kampf gegen Krebs

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

27. Dezember 2022

2022 war ein sehr spannendendes Jahr, sagt unsere Onkologin PD Dr. Georgia Schilling. Hier erklärt sich kurz, warum manche Studien die Therapie entscheidend verbessern werden. 

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg und Chefärztin der Onkologischen Rehabilitation in der Asklepios-Nordseeklinik in Westerland auf Sylt.

Ich freue mich, Ihnen zum Jahresende nochmal meine persönlichen Highlights mit auf den Weg ins Neue Jahr geben zu dürfen. Es war ein spannendes Jahr, wenn Sie die großen Kongresse mitverfolgt haben, wie den ASCO-Kongress (Medscape berichtete) im Juni und den ESMO-Kongress (Medscape berichtete) im September.

Große Fortschritte beim Kolorektalkarzinom

Es gab 2 sehr beeindruckende Studien zum kolorektalen Karzinom mit Mismatch Repair Deficiency, also MSI-High (MSI H), und neoadjuvanter Immuncheckpoint-Blockade, und zwar zum einen den Late Breaking Abstract Nr. 5 beim ASCO-Kongress 2022 von Dr.Andrea Cercek aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York [1,2]: Single agent PD-1 blockade as curative-intent treatment in mismatch repair deficient locally advanced rectal cancer. Es ging um eine PD1-Blockade mit einem einzigen Medikament in kurativer Intention beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom.

Die 2. Arbeit war der LBA7 vom ESMO-Kongress 2022 von Dr. Myriam Chalabi aus Amsterdam: Neoadjuvant immune checkpoint inhibition in locally advanced MMR-deficient colon cancer: The NICHE-2 study [3]. In der NICHE-2-Studie wurde die Immuncheckpoint-Blockade neoadjuvant eingesetzt, und zwar beim lokal fortgeschrittenen MSI-H-Kolonkarzinom. Es sind Studien unterschiedlicher Entität, aber ein Proof of Principle.

Beim Rektumkarzinom war es eine PD1-Monoblockade mit Dorstalimab, das in kurativer Intention eingesetzt wurde. Die Patienten erhielten keine Chemotherapie und keine Bestrahlung. Dorstalimab hat bei allen Patienten zu einer klinischen Komplettremission geführt. Nachteil der Studie:  Es waren nur 14 Patienten, aber es sind faszinierende Daten, weil wir diesen Primärtumor mit einer alleinigen medikamentösen Therapie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eradizieren können.

Diese Patienten erhalten bislang eine intensive Lokaltherapie mit Chemotherapie, Radiotherapie und Resektion.

Die Frage ist natürlich, ob wir das bei mehr Patienten sehen werden – hier waren es nur 14 Patienten - und was im längeren Follow-Up passiert. Darauf muss man noch warten und sehen, ob das dann ein klinischer Standard sein wird.

Die NICHE-2- Studie untersuchte beim lokal fortgeschrittenen Kolonkarzinom eine neoadjuvante Kombinationstherapie mit Nivolumab (2 Dosen) und Ipilimumab (1 Dosis). Es sind immerhin 30 Patienten mit MSI-H-Kolonkarzinom.

Auch die Ergebnisse dieser Studie waren faszinierend. Alle Patienten wurden nach dieser kurzzeitigen Immuntherapie mit 100% R0-Resektion operiert. 98% der Patienten wurden zeitnah operiert, also der Sicherheits-Endpunkt wurde erreicht. Es gab keine anderen Hinweise darauf, dass die Sicherheit nicht gegeben ist.

95% der Patienten erreichten eine Major Pathologic Response und 67% erreichten eine pathologische Komplettremission.

In der NICHE-Studie wurde eine größere Gruppe von Patienten behandelt. Das sehr gute Ansprechen weist auf ein Potenzial für eine neue Standardtherapie beim MSI-H-Kolonkarzinom hin.

Das ist jetzt Proof of Principle. Wir haben 2 Studien mit 2 unterschiedlichen Immuntherapien und 2 unterschiedlichen Entitäten, aber bei beiden hat das Prinzip der Immuntherapie gleich gut gewirkt.

Wahrscheinlich ist es ein Klasseneffekt, kein substanzspezifischer Effekt. Wahrscheinlich liegt es tatsächlich an diese Enttarnung der Tumorzellen. Wir werden in den nächsten Jahren lernen, ob es eine Kombinationstherapie braucht oder ob die Monotherapie reicht.

Erhaltungstherapie beim Ovarialkarzinom

Zum Ovarialkarzinom gab es 2 Studien auf dem ESMO-Kongress, die die Erhaltungstherapie mit Olaparib in einem langjährigen Follow-Up beleuchtet haben, und zwar die SOLO-1-Studie [4] und die PAOLA-1-Studie [5].

Auch hier finde ich faszinierend, dass 2 Studien einen Langzeit-Überlebensvorteil durch Olaparib-Erhaltungstherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom nach Ansprechen auf ein Platin-haltiges Regime gezeigt haben.

Das hat für mich eine hohe klinische Relevanz, die positiven Daten des progressionsfreien Überlebens haben sich in beiden Studien in einen klaren Überlebensvorteil übersetzen lassen, auch bei Patientinnen, die HRD-positiv sind und keine BRCA-Mutation haben. Es gab wenig sekundäre MDS oder AML, das ist auch sehr ermutigend.

Fazit ist, dass wir BRCA und HRD bei den Ovarialkarzinom testen müssen und natürlich auch Therapiestrategien für die HRD-negativen Patienten.

Olaparib in der Erhaltungstherapie ist also absolut erwägenswert, wenn bestimmte molekulare Voraussetzungen vorliegen.

Vorsicht mit Paracetamol bei Immuntherapie

Bemerkenswert fand ich auch eine beim ASCO-Kongress vorgestellte Studie aus dem Gustave Roussy Cancer Campus, Villejuif, Frankreich, zum Einfluss von Paracetamol auf die Effizienz der Immuntherapie [6].

Es gab Hinweise darauf, dass Paracetamol eventuell negative immunmodulatorische Effekte aufweist. Studien zeigen, dass die Einnahme mit einer abgeschwächten Impfantwort einhergeht. Darauf basiert auch die Empfehlung der WHO von 2015, kein Paracetamol in kurzem zeitlichem Abstand vor oder nach einer Impfung zu nehmen.

Jetzt wurde der Einfluss von Paracetamol auf die Immuntherapie in dieser Studie untersucht. Es zeigte sich, dass Paracetamol ein potenzieller Suppressor der Antitumor-Immunität ist. Es sollte deshalb während einer Immuntherapie nur mit äußerster Vorsicht eingesetzt werden. Die nachweisbaren Paracetamol-Spiegel waren mit einem signifikant schlechteren klinischen Outcome assoziiert.

Das ist ebenfalls eine wichtige Botschaft: kein Paracetamol im Zusammenhang mit einer Immuntherapie oder wenn, dann nur ganz vorsichtig.

Prävention der CIPN

Auf dem ESMO-Kongress gab es eine Studie zur Prävention der Chemotherapie- induzierten peripheren Polyneuropathie (CIPN), die den Effekt von Kühl-Handschuhen und Kompression untersucht hat bei Patienten, die eine Taxan-basierte Chemotherapie bei Mammakarzinom erhalten haben, die POLAR-Studie [7].

Sie werden sicher auch sehr häufig von den Patienten gefragt, ob es sinnvoll ist, Hände und Füße zu kühlen, um die Neuropathie zu verhindern.

In der POLAR-Studie wurden viele Assessments gemacht, wie der EORTC-QLQ-CIPN20-Bogen, der CTCAE, der Total Neuropathy Score (TNSc) oder die Nervenleitgeschwindigkeit. Primärer Endpunkt war die Effektivität der Kühlung und Kompression zur Prävention einer CIPN und sekundär Lebensqualitäts-Analysen.

Beide Methoden - Kompression und Kühlung - sind sehr effektiv und sie sind gleichwertig. Außerdem ergab sich, dass die MR-Neurographie eine sehr sensitive Methode zur Früherkennung der CIPN ist.

Also auch dies ist eine Studie, die wichtig für unseren klinischen Alltag ist.

Kühlkappen zur Prävention der Alopezie

Auch nach Kühlkappen zur Prävention der Alopezie werden wir oft befragt. In einer auf dem ESMO-Kongress präsentierten Studie wurde der Effekt von Kühlkappen bei verschiedenen Tumorentitäten untersucht, überwiegend gynäkologischen Tumoren [8]. Endpunkte waren Effektivität, Sicherheit, und Compliance. Wichtigste Chemotherapien waren Anthrazykline, Taxane, Taxane plus Platin.

Kühlkappen sind eine sichere und effektive Methode zur Reduktion der Chemotherapie-induzierten Alopezie. Also müssen wir auch hier unser Vorgehen im nächsten Jahr überdenken und überlegen, ob wir das standardmäßig anbieten.

Die Effektivität in dieser Studie war am höchsten bei den Taxanen in Kombination mit Platin beziehungsweise bei Taxanen allein.

Mit diesen Gedanken zu den MSI-H kolorektalen Karzinomen, zum durch Olaparib-Erhaltungstherapie induzierten Langzeitüberleben, zu den Kühl- und Kompressionsmethoden zur Verhinderung von Neuropathie und Haarausfall und zum Paracetamol, das wir nicht mehr einsetzen in Kombination mit einer Immuntherapie, möchte ich Sie ins nächste Jahr verabschieden. Einen guten Start in das Jahr 2023 und ich bin mir sicher, es bleibt in der Onkologie weiterhin spannend.

Und damit Tschüss.
 

Kommentar

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