Immunassoziierte Nebenwirkungen einer Krebstherapie sind möglicherweise ein gutes Zeichen. PD Dr. Georgia Schilling stellt eine spannende Studie vor, die ein Umdenken in der Praxis bewirken könnte.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin Chefärztin der onkologischen Rehabilitation in Westerland auf Sylt und leitende Oberärztin des Asklepios Tumorzentrums in Hamburg.
Bei meiner Recherche bin ich auf einen sehr interessanten Artikel im JAMA Network Open vom 8. Dezember 2022 gestoßen [1]. Es geht um die Assoziation von immunassoziierten Nebenwirkungen, Hospitalisierung und Wiederaufnahme der Therapie nach einer Hospitalisierung aufgrund einer immunassoziierten Nebenwirkung mit dem Überleben von Patienten mit einem metastasierten Melanom, die zuvor eine Mono- oder Kombinations-Immuntherapie erhalten haben.
Der Artikel stammt von Alexander S. Watson und Kollegen aus dem Tom Baker Cancer Centre in Calgary.
Hintergrund
Hintergrund dieser Studie war, dass immunassoziierte Nebenwirkungen eine positive Assoziation mit einem längeren Überleben gezeigt haben. Das wissen wir schon durch die Immun-Checkpoint-Inhibitoren.
Beim malignen Melanom wurde aber die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab bislang nur in kleinen klinischen Kohorten untersucht.
Die Fragestellung dieser Studie war die Assoziation zwischen diesen immunassoziierten Nebenwirkungen und dem Überleben bei Patienten mit einem metastasierten Melanom zu untersuchen, speziell bei den Patienten, die eine Kombinations-Immuncheckpoint-Inhibition bekommen.
Frage ist also, ob immunassoziierte Nebenwirkungen mit einem längeren Gesamtüberleben bei Patienten assoziiert sind, die eine Doppel-Immuncheckpoint-Blockade erhalten.
Design der Studie
Es handelt sich um eine retrospektive Kohorten-Studie mit fast 500 Patienten mit metastasiertem Melanom, die an 6 Krebszentren in Alberta in Kanada zwischen 2013 und 2020 behandelt wurden. Die Patienten waren 18 Jahre und älter.
Sie hatten ein metastasiertes Melanom und haben mindestens eine oder mehrere Gaben einer Anti-PD1-Inhibition als Mono- oder als Kombinationstherapie bekommen.
Es mussten klinisch signifikante, immunassoziierte Nebenwirkungen auftreten, die eine systemische Steroid-Gabe erfordert oder auch zu einer Therapieverzögerung geführt haben. Die Patienten mussten mindestens 12 Wochen nach der Initiierung der Checkpoint-Inhibition noch am Leben sein.
Ergebnisse
Das mediane Lebensalter der Patienten mit immunassoziierter Nebenwirkung lag bei 61,8 Jahren. Ohne immunassoziierte Nebenwirkungen war das Alter 65,5 Jahre. Die Geschlechterverteilung war vergleichbar.
Es konnte eine Assoziation zwischen den immunassoziierten Nebenwirkungen und dem Gesamtüberleben gezeigt werden, es lag in der Gesamtkohorte bei 56,3 Monaten mit Nebenwirkungen versus 18,5 Monaten ohne immunassoziierte Nebenwirkungen. Das war statistisch signifikant.
Die Assoziation konnte auch bei den 124 Patienten in der Kohorte gezeigt werden, die eine Kombinations-Immuncheckpoint-Blockade bekommen haben. Hier lag das mediane OS bei 56,2 Monaten für Patienten mit immunassoziierten Nebenwirkungen versus 19 Monate ohne solche Nebenwirkungen. Auch das war statistisch signifikant.
Eine Hospitalisierung aufgrund dieser immunassoziierten Nebenwirkungen hat diese positive Korrelation im Vergleich zu einer ambulanten Therapie nicht beeinflusst. Die Wiederaufnahme der Immuncheckpoint-Blockade war ebenfalls mit einem längeren Überleben (56,3 Monate) assoziiert im Vergleich zu Patienten, bei denen die Therapie nicht wieder aufgenommen worden ist (31,5 Monate).
In dieser Studie mit knapp 500 Patienten, die signifikante klinische immunassoziierte Nebenwirkungen hatten, war also ein signifikant längeres medianes Gesamtüberleben zu verzeichnen. Der Unterschied ist deutlich: 56,3 versus 18,5 Monate. Dieser Effekt war auch zu sehen, wenn es eine Kombinations-Immuncheckpoint-Blockade war und er wurde durch eine stationäre Aufnahme nicht beeinflusst.
Die Wiederaufnahme der Therapie nach einer solchen immunassoziierten Nebenwirkung war auch nochmal mit einem längeren Überleben assoziiert.
Zusammenfassend zeigt die Studie, dass auch trotz einer erhöhten Hospitalisierungsrate diese immunassoziierten Nebenwirkungen mit einem längeren Überleben verbunden waren, auch bei Kombinations-Checkpoint-Blockade. Eine Wiederaufnahme der Therapie für ein selektioniertes Patientengut scheint sehr sinnvoll zu sein.
Konsequenzen für die Praxis
Zum einen sollten wir diese immunassoziierten Nebenwirkungen offensichtlich als gutes Zeichen sehen. Wir sollten die Therapie, wenn es möglich ist, auch wieder aufnehmen.
Aber natürlich benötigen wir weitere Studien, um diesen positiven Effekt weiter zu manifestieren. Das war eine Studie bei Patienten mit einem metastasierten malignen Melanom und es muss noch gezeigt werden, ob das auch für andere Entitäten gilt, wo wir auch eine Doppel-Immuncheckpoint-Blockade zunehmend einsetzen oder auch eine Monotherapie.
Das bleibt also weiterhin spannend, aber insgesamt finde ich, dass das sehr erstaunliche Daten sind. Sie machen uns dann auch Mut, diese Nebenwirkungen mit dem Patienten gemeinsam auszuhalten, zu behandeln und die Therapie wieder aufzunehmen.
Damit danke ich Ihnen ganz herzlich fürs Zuhören und Zuschauen.
Tschüss.
Medscape © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Nebenwirkungen als gutes Zeichen: Melanom-Patienten, die unter einer Immuntherapie stärker leiden, überleben länger - Medscape - 26. Jan 2023.
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