OP geglückt – Patient tot: Diese Umstände und Vorerkrankungen steigern das Sterberisiko für Ältere nach schweren Operationen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

3. November 2022

Jede Operation erhöht insbesondere für ältere Menschen das Risiko, zu sterben. Eine US-Studie hat ergeben, dass dieses Risiko steigt, je älter, dementer und gebrechlicher die Operierten waren. Weiterhin zeigte sich wesentlich, ob die Operation notfallmäßig oder geplant erfolgte. Die Art der Operation und das Geschlecht der Operierten waren dabei weniger entscheidend. Die Studie ist in JAMA Surgery publiziert [1].

 
Ähnliche Daten gibt es auch aus Deutschland, allerdings nur für bestimmte Operationstypen, für die sich die Studienautoren jeweils interessiert haben. Prof. Dr. Rainer Wirth
 

In den USA werden seit 2010 Gesundheitsdaten älterer Menschen in der longitudinalen National Health and Aging Trends Study (NHATS) gesammelt. Unter den Leistungsempfängern wählten die Studienautoren um Dr. Thomas M. Gill, Yale School of Medicine, New Haven, Connecticut, 992 Menschen über 65 Jahre aus:

  • die nicht in einem Heim oder ähnlicher Struktur lebten,

  • bei denen auf eine vollständige Gesundheitsdokumentation zurückgegriffen werden konnte und

  • bei denen eine oder 2 große Operationen durchgeführt wurden.

„Ähnliche Daten gibt es auch aus Deutschland, allerdings nur für bestimmte Operationstypen, für die sich die Studienautoren jeweils interessiert haben“, berichtet Prof. Dr. Rainer Wirth, Marienhospital Herne und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), „beispielsweise für Herzklappen-OPs oder Nephrektomien“.

Prof. Dr. Rainer Wirth

„Heimpatienten werden oft bei solchen Studien ausgeschlossen, da sie viel schwerer in einer Studie zu managen sind“, bestätigt Wirth. „Außerdem kann man die Auswirkungen auf die Lebenserwartung methodisch bedingt nicht so gut studieren, da die Lebenserwartung von Heimbewohnern ohnehin eher niedrig ist.“

Das altersbedingte Risiko ist bei allen Typen von Operationen erhöht

Diese Operationen summierten sich auf 1.193 Fälle und waren:

  • zu 40% muskuloskeletaler Natur,

  • zu 18% abdominaler/gastointestinaler,

  • zu 12% vaskulärer,

  • zu 9% kardiologischer und

  • zu 8% neurologischer Natur (13% übrige).

Das Durchschnittsalter lag zum Zeitpunkt der Operation bei 79 Jahren. Dabei waren 40% zwischen 80 und 89 Jahren und knapp 10% der Operierten 90 Jahre und älter. Im auf die OP folgenden Jahr kam es zu 206 Todesfällen: Also starben 13,4% der Patienten innerhalb eines Jahres nach der Operation.

Rein auf das Lebensalter bezogen war das Mortalitätsrisiko für 80- bis 84-Jährige gegenüber der jüngsten Gruppe von 65 bis 69 Jahren um das 2,5-Fache erhöht, für 85- bis 89-Jährige um etwa das 3-Fache und für die 90+ Jährigen um das 6-Fache.

Männer trugen im Vergleich zu Frauen ein etwa 1,4-faches, statistisch nicht signifikantes Mortalitätsrisiko.

Bezogen auf die muskuloskeletalen Operationen, die die Mortalitätsrate am geringsten erhöhten, bedingten lediglich die vaskulären Operationen ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko von 1,88. Die übrigen Operationstypen unterschieden sich nicht signifikant im Hinblick auf die Folgen für die Sterblichkeit.

Signifikant war hingegen der Unterschied, ob die Operation als geplant (40%) oder notfallmäßig (60%) dokumentiert war: Notfall-Operationen führten unabhängig von Alter und Geschlecht nicht nur zu einer 3-fach erhöhten Sterblichkeit (22,3% gegenüber 7,4% nach freiwilligen OPs), sondern auch zu einer Verkürzung der verbleibenden Lebenszeit um einen Faktor 3 (durchschnittlich 62 gegenüber 169 Tagen).

Typisch geriatrische Eigenschaften erhöhen das Risiko signifikant

Weiterhin wurden die Patienten geriatrischen Gruppen zugeordnet: Aufgrund der Krankenakten wurden sie in stark oder wenig bzw. nicht gebrechlich, gesichert oder möglicherweise bzw. nicht dement eingeteilt.

 
Demenz ist in allen vergleichbaren Studien ein Risikofaktor für schlechteres Outcome. Prof. Dr. Rainer Wirth
 

Schon für wenig gebrechliche Senioren (56%) stieg die allgemeine OP-bedingte Mortalitätsrate um das nahezu Doppelte (Hazard Ratio 1,94 bei 1,05-3,35 im Konfidenzbereich von 95%). Waren die Betroffenen stark gebrechlich (28%), stieg die Mortalitätsrate um das 5,3-Fache gegenüber den als nicht gebrechlich Dokumentierten (26%).

Wurde der Demenzstatus als Hauptkriterium verwendet, war die Mortalität bei Vorliegen einer gesicherten Demenz signifikant um das 3,3-Fache erhöht gegenüber nicht oder nur möglicherweise dementen Patienten, zwischen denen sich kein Unterschied ergab.

„Demenz ist in allen vergleichbaren Studien ein Risikofaktor für schlechteres Outcome“, bestätigt Wirth. „Daher spricht man inzwischen nicht nur von der physischen, sondern auch von der kognitiven Gebrechlichkeit.“

Ausgehend von einer Gesamtmortalität von 13,4% in ersten Jahr nach einer großen Operation unter Älteren, die nicht in einem Heim lebten, trugen Notfall-Operationen, das Lebensalter, die Gebrechlichkeit und eine vorhandene Demenz maßgeblich zur Steigerung des Mortalitätsrisikos bei.

Rechnerisch verkürzte sich die Lebenszeit:

  • von über 90-Jährigen um 84 Tage und

  • für 85- bis 89-Jährige um 40 Tage,

  • für Personen mit hoher Gebrechlichkeit um 49 Tage und

  • mit gesicherter Demenz um 45 Tage.

Die Art der Operation und das Geschlecht waren im Vergleich dazu weniger relevant.

Chirurgen sollten diese Risiken für Ältere besonders berücksichtigen

Obschon die Studie viele Details wie Umstände des Todes, erhöhte Morbidität, Verlängerung des Krankenhausaufenthalts, Heimaufnahme oder Verringerung der Lebensqualität infolge einer Operation außer Acht lasse, weisen die Autoren auf die Bedeutung ihrer Ergebnisse für die Definition der Risikofaktoren sehr hohes Alter, Gebrechlichkeit und Demenz hin. Diese Ergebnisse möchten sie als Anregung verstanden wissen, diese besonderen Risiken bei der Planung, Durchführung und Nachsorge notwendiger Operationen der davon Betroffenen entsprechend zu berücksichtigen.

 
Alter per se ist kaum ein Risikofaktor, sondern der Grad der Gebrechlichkeit ist für die Prognose viel bedeutsamer. Prof. Dr. Rainer Wirth
 

„Für mich persönlich und auch für andere Geriater ändern diese Ergebnisse nichts, da wir schon lange wissen, dass Alter per se kaum ein Risikofaktor ist, sondern dass der Grad der Gebrechlichkeit für die Prognose viel bedeutsamer ist“, resümiert Wirth „Das vermitteln wir auch Anästhesisten und Chirurgen. Insbesondere für Chirurgen ist das der Aufruf, die Gebrechlichkeit bei der OP-Planung, Aufklärung und Beratung zu berücksichtigen, um eine bessere Risiko-Nutzen-Abwägung zu vollziehen.“

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