Eine forcierte Blutdrucksenkung ist sowohl in der Prävention als auch in der Therapie der schweren linksventrikulären Hypertrophie (LVH, Linksherzhypertrophie) von erheblichem Nutzen, wie eine neue Analyse der Daten der SPRINT-Studie zeigt. Sie wurde im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht [1].
Eine stärkere Absenkung des systolischen Blutdrucks auf einen Zielwert von unter 120 mmHg statt nur auf unter 140 mmHg senkt demnach sowohl die Häufigkeit einer schweren LVH als auch die Entwicklung einer Herzinsuffizienz oder der damit verbundenen Mortalität. Die Autoren und Autorinnen weisen darauf hin, dass es bisher keine spezifischen Therapien zur Vorbeugung oder Behandlung der schweren LVH gibt, sodass diese Ergebnisse wichtige klinische Auswirkungen haben.
„Mehrere frühere Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass Personen mit schwerer LVH ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz und ein erhöhtes Sterberisiko haben, aber es wurde bisher nicht gezeigt, dass sich dieser Zustand beeinflussen lässt“, sagte der Seniorautor der neuen Analyse, Dr. Jarett D. Berry vom Tyler Health Science Center der University of Texas, gegenüber Medscape. „Wir haben zum ersten Mal gesehen, dass das Risiko für eine schwere LVH veränderbar ist. Das ist ein sehr wichtiger Punkt im Hinblick auf Patienten mit Hypertonie.“
Der Erstautor Dr. Simon B. Ascher von der University of California in San Francisco fügte hinzu: „Wir wissen, dass Personen mit schwerer LVH ein sehr hohes Risiko für nachteilige Folgen haben, aber jetzt sehen wir auch, dass wir auf dieses Risiko Einfluss nehmen können, und zwar über eine forcierte Blutdrucksenkung.“
Kann forcierte Blutdrucksenkung auch schwere LVH verhindern oder rückgängig machen?
Die LVH ist eine Verdickung der linken Ventrikelwand und im EKG erkennbar. Sie ist eine häufige Hypertoniekomplikation und eng mit dem Auftreten eines u.U. tödlichen Herzversagens verbunden. Nach neueren Untersuchungen gibt es verschiedene LVH-Phänotypen, bei denen auch die genannten Risiken deutlich unterschiedlich ausfallen.
Wenn eine LVH mit einem Anstieg bei den Biomarkern verbunden ist, die auf eine chronische Herzmuskelschädigung hindeuten (hochsensitives Troponin T, hs-cTnT, oder I), und mit einer neurohormonellen Aktivierung (N-terminales natriuretisches Peptid vom Typ B, NT-proBNP), steht dies für eine Untergruppe der LVH: nämlich die schwere LVH (engl. „malignant“ LVH), deren Insuffizienz- und Mortalitätsrisiko besonders hoch ist.
Es hätten zwar mehrere Studien gezeigt, dass eine forcierte Blutdrucksenkung bei der schweren LVH vorbeugend wirke und auch zu Rückbildungen führe, so die Autoren. Doch sei nicht bekannt, ob eine solche Therapie eine maligne LVH auch verhindern oder rückgängig machen könne oder ob sie das Insuffizienz- und Mortalitätsrisiko bei einer bestehenden schweren LVH beeinflusse.
Daten von rund 9.000 Patienten aus SPRINT-Studie analysiert
In der aktuellen Studie gingen die Autoren diesen Fragen nach, indem sie die Daten der wegweisenden SPRINT-Studie analysierten. Dabei verglichen sie bei 9.361 Personen mit Hypertonie und einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen eine forcierte Blutdrucksenkung (auf einen systolischen Zielwert <120 mmHg) mit einer Standard-Blutdrucksenkung (Zielwert <140 mmHg).
In die aktuelle Analyse flossen die Daten von 8.820 Patienten und Patientinnen ein (94,2% davon aus der SPRINT-Kohorte), für die ein 12-Kanal-Standard-EKG sowie Basiswerte des hs-cTnT und des NT-proBNP vorlagen. Aus dieser Gruppe wurden 5% der Fälle als schwere LVH eingestuft. Hierbei waren zu Beginn der Studie die Merkmale höheres Alter, afroamerikanische Ethnie, weibliches Geschlecht und mehr Begleiterkrankungen häufiger mit der schweren LVH verbunden.
So hatten während der Studie 13,6% der Personen mit LVH ein höheres Insuffizienz- und Mortalitätsrisiko:
als Personen ohne LVH, aber mit positiven Biomarkern (8,2%),
als Personen mit LVH, aber ohne erhöhte Biomarker (5,6%), oder
als Personen ohne LVH und ohne erhöhte Biomarker (1,9%).
Diese Ergebnisse hatten auch nach Adjustierung der Daten an verschiedene Variablen noch Bestand. Personen mit schwerer LVH zeigten gegenüber Menschen ohne LVH ein 4-fach erhöhtes Risiko für ein Herzversagen oder den Tod.
Die Randomisierung ergab, dass die forcierte Blutdrucksenkung in allen LVH-Kategorien eine ähnliche relative Risikoverringerung für Herzinsuffizienz oder Tod gegenüber einer Standard-Blutdrucksenkung mit sich brachte. Aufgrund der viel höheren Ereignisrate unter den Patienten mit schwerer LVH hatten diese auch eine höhere absolute 4-Jahres-Risikoreduktion von 4,4% – verglichen mit 2% bei Personen mit LVH ohne erhöhte Biomarker und mit 1,2% bei Personen ohne LVH oder erhöhte Biomarker.
Die NNT (number needed to treat) zur Verhinderung eines Insuffizienzereignisses oder des Todes durch Herzinsuffizienz betrug:
bei Patienten mit maligner LVH 23,
bei Patienten mit LVH ohne erhöhte Biomarker 50 und
bei Patienten ohne LVH oder erhöhte Biomarker 82.
Eine forcierte Blutdrucksenkung schien auch die Entwicklung einer schweren LVH zu verhindern.
Von den 7.431 Teilnehmern, die zu Beginn der Studie keine schwere LVH aufwiesen, entwickelten 1,8% eine solche. Im Vergleich zur Standard-Blutdrucksenkung führte eine forcierte antihypertensive Therapie zu einem signifikanten Rückgang der Inzidenz der schweren LVH (2,5% gegenüber 1,1%). Sie war zudem bei 61,8% aus der Gruppe der forcierten antihypertensiven Therapie mit einer Rückbildung der schweren LVH verbunden gegenüber 53,4% aus der Standardgruppe.
Bestand zu Beginn der Studie keine LVH, senkte eine forcierte Blutdrucksenkung das Risiko für die Entwicklung einer LVH, und wenn anfänglich eine LVH ohne erhöhte Biomarker vorlag, führte die forcierte Therapie zu einer Rückbildung der LVH.
Nutzen der forcierten Blutdrucksenkung gezeigt
Berry stellte fest, dass eine forcierte Blutdrucksenkung jedes Stadium der LVH-Progression verlangsamte. „Beim normalen Ablauf entwickelt sich bei einer Hypertonie eine linksventrikuläre Hypertrophie, bei der sich der Herzmuskel verdickt. In einem nächsten Schritt kann daraus eine schwere LVH entstehen, bei der es neben der Verdickung des Herzmuskels auch zu einem Anstieg der Biomarker kommt. Schließlich kann dies in eine Herzinsuffizienz mit möglicher Todesfolge münden. Es ist ein Prozess über die Zeit“, erklärte er.
„Die SPRINT-Studie hat gezeigt, dass eine forcierte antihypertensive Therapie jedes dieser Stadien verändern kann. Sie verhindert die Entwicklung von LVH, den Übergang von einer LVH zu einer schweren LVH und dann bei davon Betroffenen den Übergang in die Herzinsuffizienz und den möglichen Tod. Es sieht also so aus, als beeinflusse eine forcierte Blutdrucksenkung den natürlichen Verlauf der schweren LVH zu Beginn der Erkrankung, aber auch noch an ihrem fatalen Endpunkt“, so Berry.
Und Ascher ergänzte: „Wir wussten bereits, dass die Blutdrucksenkung für die Vorbeugung und die Behandlung der LVH von Vorteil ist. Aber diese Studie zeigt jetzt, dass dies auch auf die schwere LVH zutrifft.“
„Unsere Botschaft lautet somit, dass eine forcierte Blutdrucksenkung in dieser Hochrisikogruppe von Personen mit schwerer LVH als primäre Präventionsstrategie zur Verringerung des Herzinsuffizienzrisikos als besonders wichtig angesehen werden sollte“, so Ascher.
Die Autoren und Autorinnen schlagen vor, dass größere Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese Hochrisikopatienten zu identifizieren. „Nach unseren Ergebnissen könnten Personen, die von einer forcierten Blutdrucksenkung im Hinblick auf Herzinsuffizienz und Mortalität eventuell erheblich profitieren, durch regelmäßige EKG-Kontrollen ergänzt durch kardiale Biomarker in effizienter Weise identifiziert werden“, schreiben sie.
Fokus auf Hochrisikogruppe
Für Dr. Christopher R. deFilippi vom Inova Heart and Vascular Institute in Virginia und Dr. Stephen Seliger von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore steht in ihrem begleitenden Editorial fest, dass diese neue SPRINT-Analyse die Modifizierbarkeit der schweren LVH belegt hat [2].
„In unserer täglichen Arbeit denken wir schnell, dass der Fortgang präklinischer Stadien hin zu einer symptomatischen Erkrankung stets unidirektional verläuft. In diesem Sinne haben Ascher et al. wichtige Erkenntnisse zur Inzidenz der schweren LVH und deren möglicher Rückbildung bei forcierter versus standardmäßiger antihypertensiver Therapie geliefert“, schreiben sie.
Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass es zwar keine Interaktionen zwischen den Behandlungen von Personen mit und ohne schwerer LVH gab, dass aber „die größere absolute Risikoreduktion und die daraus resultierende geringere NNT (numbers needed to treat) bei Personen mit schwerer LVH zu einem Fokus der Bemühungen auf diese Stadium-B-Patienten („pre-heart failure“) mit höherem Risiko führt“.
Sie fügen jedoch auch hinzu, dass weitere Erkenntnisse über die Inzidenz und die Dauer der schweren LVH als Risikofaktor für eine Herzinsuffizienz erforderlich seien, damit man sagen könne, ob sich aus ihrem Vorhandensein letztlich die Einleitung einer Therapie und die Bestimmung ihrer Wirksamkeit zur Vorbeugung einer Herzinsuffizienz der möglichen Todesfolgen ableiten ließe.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Kateryna Kon
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: 120er Zielwert bestätigt: Forcierte Blutdrucksenkung bringt erheblichen Nutzen bei schwerer Linksherzhypertrophie - Medscape - 3. Nov 2022.
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