Druck auf Patienten und Ärzte: Lauterbach plant Opt-Out-Regelung bei elektronischer Patientenakte – was passiert mit den Daten?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

2. November 2022

Bei der elektronischen Gesundheitsakte zieht Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) nun die Zügel straffer – zum Unwillen der Datenschützer. Der Minister will die Opt-out-Regelung bei der ePA durchsetzen. Das heißt, jede Bürgerin und jeder Bürger muss sich aktiv entscheiden, ob er die ePA nutzen will oder nicht. So will Lauterbach mehr Versicherte dazu bringen, die ePA zu nutzen.

Seit dem 1. Januar 2021 sind die Kassen verpflichtet, ihren in Deutschland 73 Millionen Versicherten die ePA anzubieten. Doch das Interesse der Versicherten ist gering. Aktuell hat zum Beispiel die größte Krankenkasse in Deutschland, die Techniker Krankenkasse (TK), nur rund 348.000 ePA-Nutzerinnen und -Nutzer unter ihren rund 11 Millionen Versicherten, wie die Kasse auf Anfrage mitteilte.

In der Realität braucht es also immer noch bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (AU) meist einen Papierausdruck, das elektronische Rezept funktioniert immer noch nicht – und die elektronische Patientenakte (ePA) wird von kaum einem Patienten genutzt.

Kassenarztchef Dr. Andreas Gassen kehrte kürzlich mit dem eisernen Besen: Die gesamte E-Health in Deutschland brauche ein „Reset“, einen neuen Beginn, gab der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in einem Interview mit der Funke Mediengruppe zu Protokoll. Der Neustart dürfe auch „die eine oder anderer Milliarde koste“, sagte Gassen. Soweit würde Lauterbach wohl nicht gehen – trotz der Missstände. Sein Vorschlag nimmt Ärzte und Patienten in die Pflicht.

Opt-out soll die Nutzerzahlen hochtreiben

„Durch die Opt-out-Regelungen soll die elektronische Patientenakte (ePA) in der Versorgung – bei PatientInnen und Leistungserbringern – ankommen“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Anfrage. Die ePA sei bisher kaum verbreitet, unter anderem wegen des komplizierten Berechtigungsmanagements, das den Patienten und Ärzten blüht, wenn sie die ePA nutzen wollen. „Damit besitzen oder gar nutzen nur sehr wenige Versicherte in Deutschland eine ePA“, so das Ministerium.

Die Folge: ihre „fehlende Relevanz im Praxisalltag der Ärztinnen und Ärzte.“ Die Potenziale der ePA blieben damit ungenutzt, meint das BMG und verweist auf den Koalitionsvertrag der Ampel. Dieser sehe „einen grundlegenden Umbau der ePA bis hin zu einer Opt-out-Anwendung“ vor.

 
Daher ist noch nicht ganz klar, welchen Mehrwert Daten haben, die durch die ePA erhoben werden. Christof Stein
 

Mehr noch: Lauterbach will auch durchsetzen, dass die Gesundheitsdaten, die in der ePA gespeichert sind, der Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Die Versicherten sollen selbst entscheiden können, ob sie dies zulassen und in welchem Umfang. Ihre Einwilligung wäre freiwillig und könne jederzeit widerrufen werden, hieß es.

„Die freigegebenen Daten aus der ePA werden in einem zweistufigen Verfahren über eine Vertrauensstelle pseudonymisiert und anschließend an das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übersandt“, schreibt das BMG. „Dort werden die Daten Forschern auf Antrag und nach umfangreicher Prüfung der Zulässigkeit im Einzelfall zur Verfügung gestellt.“

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Dr. Ulrich Kelber, sieht die Sache offenbar kritisch. Die ePA umfasse die Daten, die die Ärztinnen und Ärzte sowieso schon haben, sagte sein Sprecher, Christof Stein, zu Medscape. „Die müssten ja identisch sein mit den Abrechnungsdaten, die von den Krankenkassen an das Forschungsdatenzentrum gegeben werden. Daher ist noch nicht ganz klar, welchen Mehrwert Daten haben, die durch die ePA erhoben werden.“

Es fehle noch ein Gesetzentwurf, der festlegt, auf welche Art, in welchem Umfang und auf welchen Wegen die Daten aus der elektronischen Patientenakte weiterverwendet werden solle, hieß es. Bisher gibt es nur das Patientendatenschutzgesetz und das Digitale-Versorgung-Gesetz. Da stünden aber nur Grundsätze drin.

Hausärzte mahnen praktikable Lösungen an

Der Deutsche Hausärzteverband indessen mahnte im Zusammenhang mit der ePA eine „gut umgesetzte und breit genutzte elektronische Patientenakte“ an. Sie wäre ein großer Fortschritt für die Qualität der Versorgung in Deutschland, hieß es. „Gleichzeitig wäre sie mit ausdrücklicher Zustimmung der jeweiligen Nutzerinnen oder des Nutzers auch für die Generierung von Forschungsdaten ein Meilenstein“, erklärte der Sprecher des Verbandes Vincent Jörres auf Anfrage. Die informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten müsse indessen auch bei einer Opt-out Lösung unbedingt gewahrt bleiben.

 
Gleichzeitig wäre die ePA mit ausdrücklicher Zustimmung der jeweiligen Nutzerinnen oder des Nutzers auch für die Generierung von Forschungsdaten ein Meilenstein. Vincent Jörres
 

Die Hausärzte stehen offenbar Gewehr bei Fuß, während ihr Verband bedauert: „In der derzeitigen Version ist die ePA (…) schlichtweg nicht praxistauglich.“ Solange die ePA derart unpraktisch ist, bleibe sie nutzlos. „Einfach nur gesetzlich zu regeln, dass die Opt-out-Lösung kommt, ansonsten aber die Anwendung so unpraktikabel zu belassen, wie sie derzeit ist, wird langfristig zu noch mehr Frustration führen“, sagte Jörres. „Ohne eine im Praxisalltag gut funktionierende ePA ergibt auch eine Opt-out-Lösung wenig Sinn.“

 
Ohne eine im Praxisalltag gut funktionierende ePA ergibt auch eine Opt-out-Lösung wenig Sinn. Vincent Jörres
 

Zudem sei noch eine ganze Reihe von Fragen zur konkreten Umsetzung einer Opt-out-Lösung offen, so der Verband, „zum Beispiel, wie der Widerspruchsprozess genau ausgestaltet wäre“.

KBV-Chef Gassen kassierte mit seiner Generalkritik am Zustand der E-Health in Deutschland Widerspruch von Florian Lanz, dem Sprecher des GKV-Spitzenverbandes. Laut dpa sei er über die Milliardenforderung durch Gassen „verwundert“.

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