Abkehr vom Endo-First-Prinzip bei pAVK: Individuelle konservative Therapien künftig an 1. Stelle vor OPs

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

27. Oktober 2022

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) soll künftig bevorzugt mit konservativen Maßnahmen wie Lebensstiländerungen und Medikamenten behandelt werden, statt sofort eine endovaskuläre Intervention anzusetzen. „Insgesamt geht es bei der Therapie der pAVK weg von ‚endovaskulär first‘ hin zu einer stärker individualisierten Behandlung“, erklärte Prof. Dr. Markus Steinbauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG), bei einer Online-Pressekonferenz anlässlich der 38. Jahrestagung der Fachgesellschaft [1].

 
Insgesamt geht es bei der Therapie der pAVK weg von ‚endovaskulär first‘ hin zu einer stärker individualisierten Behandlung. Prof. Dr. Markus Steinbauer
 

Eine neue S3-Leitlinie, die diese Trendwende vorantreibt, soll 2023 erscheinen. Unabhängig vom Stadium der Erkrankung und vom Gesundheitszustand der Patienten seien bislang bevorzugt minimal-invasive Techniken wie Ballondilatationen oder das Einsetzen von Stents zur Verbesserung der Durchblutung durchgeführt worden, so Steinbauer.

Frühe pAVK-Stadien sollen zuerst konservativ behandelt werden

Der Leiter des Gefäßzentrums und Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg erklärte, dass bei der Therapie der pAVK verschiedene Stadien zu unterschieden seien. Sie reichen von den kompensierten symptomatischen pAVK-Stadien (der „Schaufensterkrankheit“) bis hin zu den die Extremitäten gefährdenden Stadien der chronischen kritischen Extremitätenischämie (CLTI).

Die neue Leitlinie wird zu einer individualisierten Therapieauswahl raten und weniger auf das bisherige Endo-First-Prinzip ausgerichtet sein. So soll in frühen Stadien der Erkrankung (pAVK-Stadium II) zuerst konservativ behandelt werden. „Das beinhaltet eine Änderung der Lebensführung, um Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen zu reduzieren, und eine begleitende langfristige medikamentöse Therapie“, erklärt Steinbauer.

Veränderungen des Lebensstils und medikamentöse Therapie

Zu den empfohlenen Lebensstilveränderungen gehören eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung und ein Rauchverzicht. Darüber hinaus werden Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus behandelt. Die medikamentösen Therapien, die als Sekundärprophylaxe das Fortschreiten der Atherosklerose aufhalten sollen, umfassen Cholesterinsenker, neue Diabetesmedikamente und die Kombination aus einem Blutverdünner (Acetylsalicylsäure) und Rivaroxaban. Sie alle schnitten zuletzt in neuen Studien sehr positiv ab.

„Die aktuellen Studien haben ganz eindeutig gezeigt, dass diese Medikamente die Häufigkeit von Schlaganfällen und Herzinfarkten sehr stark senken und die Prognose sowie den Krankheitsverlauf erheblich verbessern“, betonte Steinbauer. Demnach konnte die Herzinfarktrate um 42% und die Schlaganfallrate um 14% gesenkt werden.

Therapieplanung soll Gesundheitszustand der Patienten berücksichtigen

Für den Fall, dass Ärzte dennoch endovaskuläre Eingriffe in Erwägung ziehen, gilt: „Nicht jeder Patient ist aufgrund der Anatomie oder des Wundbefundes für eine minimal-invasive Intervention geeignet“, so Steinbauer. „Manche benötigen aufgrund der Wund- und Infektsituation primär eine offene chirurgische Operation.“ Das kann beispielsweise eine Ausschälung des verkalkten Gefäßabschnitts sein oder die Umgehung eines Gefäßverschlusses durch einen Bypass.

Die neue Behandlungsleitlinie sehe vor, Art und Umfang der Intervention vor allem in Abhängigkeit von den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Patienten zu planen, so der DGG-Präsident.

Auch bei Älteren sollen konservative Therapien in den Vordergrund rücken

Trotz aller Verbesserungen der Pharmakotherapie treten Durchblutungsstörungen weiterhin gehäuft bei älteren und gebrechlichen Patienten auf. Die pAVK lässt sich in ihrer asymptomatischen Form bei rund 20% aller über 65-Jährigen nachweisen. In späteren Krankheitsstadien mit typischen Symptomen lässt sich die pAVK bei etwa 5% der über 55-Jährigen finden.

Steinbauer betonte, dass die konservative Therapie künftig auch bei älteren, gebrechlichen pAVK-Patienten stärker in den Vordergrund rücken solle. Manche der Betroffenen seien trotz hohem Alter fit und könnten sich von einer minimal-invasiven Intervention oder einer offenen Operation gut erholen. Bei anderen dagegen müsse abgewogen werden, ob eine konservative oder palliative Therapie vorzuziehen sei. Dies gelte etwa für Patienten mit Demenz, einer Minderernährung, einer Anämie oder einem zu erwartenden postoperatives Delir.

Eine weitere Option ist es, geriatrische Patienten vor einem Eingriff mittels Prähabilitation vorzubehandeln. „Mit Hilfe von Physiotherapie, Ernährungstherapie und gegebenenfalls Eiseninfusionen werden die Betroffenen gezielt gestärkt, sodass der Eingriff weniger belastend ist und auch die Mobilität und Lebensqualität zu erhalten werden kann“, erklärte Steinbauer das Prinzip.

Bereits deutlich reduzierte Amputationsraten sollen weiter sinken

Die neue Leitlinie hat das Ziel, die Sterblichkeit und die Zahl der Amputationen weiter zu reduzieren. „Hier können wir – trotz der hohen Diabetesprävalenz in Deutschland – bereits große Erfolge verzeichnen. Diese sind unter anderem auf die Verbesserung der Versorgung durch zertifizierte Gefäßzentren zurückzuführen“, sagte Steinbauer, der auch Leiter der Zertifizierungskommission der DGG ist.

Seit 2005 sei die Amputationsrate der unteren Extremitäten um mehr als 38% gesenkt worden. „Wir hoffen, dass das seit 2019 angebotene Zweitmeinungsverfahren beim diabetischen Fußsyndrom und die neuen Therapieempfehlungen zu weiteren Fortschritten bei der Behandlung der pAVK führen werden.“

Verbesserungen auch bei der Krankheitserkennung erforderlich

Die Senkung der Amputationsraten erfordert aber auch Verbesserungen bei der Prävention und Erkennung der Erkrankung. Steinbauer berichtete, dass die pAVK als langsam voranschreitende chronisch-komplexe Erkrankung mit oft jahrzehntelanger Beschwerdefreiheit mitunter lange nicht erkannt werde. „Es ist nicht unüblich, dass Betroffene eine lange Vorgeschichte ohne korrekte Krankheitsdiagnose durchmachen und dabei zahlreiche Arztkontakte erleben.“

 
Es ist nicht unüblich, dass Betroffene [mit pAVK] eine lange Vorgeschichte ohne korrekte Krankheitsdiagnose durchmachen... . Prof. Dr. Markus Steinbauer
 

Ebenso wichtig wie die konsequente Etablierung der besten konservativen Therapie sei es deshalb künftig auch, diese Patientenpfade zu erforschen und zu optimieren, um den Krankheitsverlauf zu verbessern.

 

Kommentar

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