Kopfschmerzen nach Schädel-Hirn-Trauma: Bei einem Drittel bleiben sie monate- oder jahrelang

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

27. Oktober 2022

Jedes Jahr erleiden mehr als 400.000 Menschen in Deutschland ein Schädel-Hirn-Trauma. Das kann von einer leichten Gehirnerschütterung bis hin zu Frakturen des Schädelknochens reichen. „Mehr als 50% dieser Patienten berichten in Studien über akute Kopfschmerzen, damit sind diese das häufigste Symptom nach einem Trauma“, berichtete PDDr. Torsten Kraya, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum St. Georg in Leipzig, auf der Pressekonferenz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. zum Deutschen Schmerzkongress 2022 [1].

„Es handelt sich bisher um ein nicht ausreichend beachtetes Problem“, betonte der Kongresspräsident. Denn bei bis zu einem Drittel der Betroffenen werden die Kopfschmerzen chronisch, bleiben also noch Monate oder gar Jahre nach dem Unfall bestehen und und führen zu einer relevanten Beeinträchtigung im Alltag, so Kraya. In der Kopfschmerzklassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) sind die posttraumatischen Kopfschmerzen unter den sekundären Kopfschmerzformen aufgeführt – das heißt: Die Ursache für die Kopfschmerzen ist das Trauma.

 
Es handelt sich bisher um ein nicht ausreichend beachtetes Problem. Dr. Torsten Kraya
 

Häufig setzt eine gezielte Behandlung aber erst ein, wenn die Schmerzen auch nach einigen Wochen nicht verschwinden – laut Definition gilt ein posttraumatischer Kopfschmerz als chronisch, wenn er länger als 3 Monate bestehen bleibt. „Das Problem wird damit deutlich unterschätzt“, sagte Kraya.

Risiko für posttraumatischen Kopfschmerz nach leichtem Trauma höher

„Eigentlich würde man ja annehmen, je schwerer das Trauma, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, einen chronischen posttraumatischen Kopfschmerz zu entwickeln. Es ist aber im Gegenteil so, dass mit einem milden Schädel-Hirn-Trauma ein höheres Risiko einhergeht, zu einem posttraumatischen Kopfschmerz zu führen, als mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma“, berichtete Kraya. Man geht heute davon aus, dass bereits in der akuten Phase nach dem Schädel-Hirn-Trauma die Weichen für die spätere Entwicklung der Kopfschmerzsymptomatik gestellt werden.

 
Mit einem milden Schädel-Hirn-Trauma geht ein höheres Risiko einher, zu einem posttraumatischen Kopfschmerz zu führen. Dr. Torsten Kraya
 

Gerade bei einem leichten Schädel-Hirn-Trauma fehlen sichtbare Verletzungen, wie etwa Blutungen oder Frakturen. Doch die Erschütterung, der das Gehirn ausgesetzt ist, hat weitreichende Folgen: Neuere Forschungen zeigen, dass sich unter der mechanischen Belastung schlagartig die Durchlässigkeit der Nervenzellmembranen verändert.

Das wiederum zieht eine Reihe von Veränderungen bei Ionenströmen, Signalstoffen, neuronaler Aktivität, dem Zellstoffwechsel und regionalen Blutflüssen im Gehirn nach sich. Auch die Freisetzung entzündungsfördernder Substanzen scheint eine Rolle bei der Schmerzentstehung zu spielen. „Diese akuten Veränderungen normalisieren sich innerhalb einiger Tage oder Wochen wieder“, sagte Kraya.

Weshalb bei manchen Menschen die Schmerzen dennoch bestehen bleiben, sei nach wie vor nicht vollständig geklärt. Vermutet wird, dass dabei dauerhafte Veränderungen der Schmerzwahrnehmung, der körpereigenen schmerzhemmenden Systeme und eine Dysbalance des autonomen Nervensystems eine Rolle spielen, die u.a. die Herz- und Atemfrequenz und die Durchblutung steuern. Darauf könnten auch Beschwerden wie Schlafstörungen, Depressionen oder Ängste zurückzuführen sein, die nach einem Schädel-Hirn-Trauma auftreten können.

Posttraumatische Kopfschmerzen können sich sowohl Migräne-ähnlich als auch als Spannungskopfschmerzen zeigen. Ein posttraumatischer Kopfschmerz vom Migräne-Typ wird häufig mit Triptanen behandelt, Spannungskopfschmerzen hingegen eher mit Acetylsalicylsäuren, Paracetamol oder Ibuprofen. Oft gibt es auch Mischformen.

Multimodale Therapie für Patienten mit erhöhtem Chronifizierungsrisiko

Neben der Wahl der Medikamente ist es wichtig, möglichst früh zu behandeln: „Wenn der Schmerz sich erst einmal verselbständigt hat, ist ihm nur noch schwer beizukommen“, sagte Kraya. Deshalb wird versucht, möglichst früh medikamentös gegenzusteuern – besonders bei Patienten, die Risikofaktoren für eine Chronifizierung des Schmerzes aufweisen.

 
Wenn der Schmerz sich erst einmal verselbständigt hat, ist ihm nur noch schwer beizukommen. Dr. Torsten Kraya
 

Zu den Risikofaktoren zählen etwa:

  • eine bereits vorbestehende Neigung zu Kopfschmerzen,

  • ein jüngeres Lebensalter,

  • weibliches Geschlecht sowie

  • ein Kopfschmerz vom Migräne-Typ.

Im Zusammenhang mit posttraumatischen Kopfschmerzen treten auch häufiger Schlafstörungen, Depressionen und Angststörungen auf. Durch das zu häufige Einnehmen von Mitteln gegen Kopfschmerzen haben Patienten mit posttraumatischen Kopfschmerzen zudem ein erhöhtes Risiko, einen Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz zu entwickeln.

Schonung nach einem Schädel-Hirn-Trauma ist nur bedingt sinnvoll. „Studien zeigen, dass eine moderate körperliche und geistige Aktivierung bereits binnen 24 oder 48 Stunden nach dem Unfall sinnvoll ist, auch um das Einüben von Schonverhalten und eine Chronifizierung der Schmerzen zu vermeiden“, erklärte Kraya.

 
Studien zeigen, dass eine moderate körperliche und geistige Aktivierung bereits binnen 24 oder 48 Stunden nach dem Unfall sinnvoll ist. Dr. Torsten Kraya
 

Personen mit einem erhöhten Chronifizierungsrisiko sollten daher idealerweise mit einem multimodalen Therapieansatz behandelt werden. Neben einer frühzeitigen Schmerztherapie schließt ein solcher Ansatz auch verhaltenstherapeutische Elemente sowie unter Umständen auch eine Physiotherapie mit ein.

 

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....