Störungen im Darm könnten erklären, warum einige Patienten mit Schizophrenie aggressiv sind, andere dagegen nicht, so neue Forschungsergebnisse. Mindestens ein Experte äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der Schlussfolgerungen der Studie.
Die Ergebnisse einer Studie mit 50 stationären Patienten mit Schizophrenie zeigten, dass die Biomarker für Entzündungsprozesse, oxidativen Stress und für einen undichten Darm (Leaky Gut Syndrom) bei aggressiven Patienten deutlich höher waren als bei Gleichaltrigen, die keine Aggressionen zeigten.
Darüber hinaus wiesen diejenigen mit Aggressionen eine geringere Alpha-Diversität und Gleichmäßigkeit der fäkalen Bakteriengemeinschaft, geringere Mengen verschiedener nützlicher Darmbakterien und höhere Mengen des gramnegativen Bakteriums Prevotella auf. 6 kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) und 6 Neurotransmitter waren in den Gruppen mit erhöhter Aggression ebenfalls niedriger als in den Gruppen, in der keine erhöhte Aggressivität vorlag.
„Die vorliegende Studie war die erste, die den Entzündungsstatus, die Auswirkung von oxidativem Stress, die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota und deren Stoffwechselprodukte“ bei aggressiven Patienten mit Schizophrenie mit den Werten von schizophrenen Patienten verglich, die keine Aggressionen zeigten, schreiben die Forscher unter der Leitung von Dr. Hongxin Deng und Dr.Lei He von der Abteilung für Psychiatrie am Zhumadian Psychiatric Hospital in China. Die Ergebnisse wurden in BMC Psychiatry veröffentlicht [1].
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Aggression bei [Personen mit Schizophrenie] durch Pro-Inflammation, oxidativen Stress und Leaky-Gut-Phänotypen – verknüpft mit enterischer Dysbakteriose und mikrobiellen SCFAs – gekennzeichnet ist. Das liefert Anhaltspunkte für künftige mikrobiell basierte oder entzündungshemmende Therapien bei aggressiven Patienten“, fügen sie hinzu.
Unbekannte Pathogenese
Obwohl neue Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Schizophrenie „die Neigung zur Aggression um das 4- bis 7-Fache erhöhen kann, ist die Pathogenese der Aggression noch weitgehend unbekannt“, so die Forscher.
Dieselben Forscher hatten zuvor einen Zusammenhang zwischen der systemischen pro-inflammatorischen Reaktion und dem Auftreten oder der Schwere von Aggressionen bei Schizophrenie festgestellt, der „möglicherweise durch einen undichten Darm verursachte bakterielle Translokation“ verursacht wird.
Die Forscher vermuten, dass periphere Zytokine „die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) Veränderungen in Stimmung und Verhalten auslösen könnten“.
Sie stellen jedoch fest, dass der entzündungsfördernde Phänotyp „oft ein synergistischer Effekt mehrerer Ursachen“ ist. So hat sich gezeigt, dass chronischer pro-oxidativer Stress zum Auftreten von Aggressionen bei intermittierender explosiver Störung beiträgt, doch wurde dieser Zusammenhang bei Patienten mit Schizophrenie nur selten bestätigt.
Darüber hinaus gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die Dysbakteriose des Darms und die Dysbiose der Stoffwechselprodukte der Darmflora, einschließlich der SCFAs oder Neurotransmitter, möglicherweise „integrale Bestandteile der Pathophysiologie psychiatrischer Störungen“ sind, indem sie den Zustand von oxidativem Stress und Entzündungsprozessen verändern.
Stuhlproben von 50 Schizophrenie-Patienten untersucht
Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass der systemische entzündungsfördernde Phänotyp bei aggressiven Schizophrenie-Patienten „mit Veränderungen der Darmmikrobiota und ihrer Stoffwechselprodukte, einem undichten Darm und oxidativem Stress einhergeht“. Die Profile dieser Variablen und ihre Zusammenhänge sind jedoch bei Patienten mit Schizophrenie und Aggression „nur unzureichend untersucht“ worden.
Um diese Lücke zu schließen, untersuchten sie erwachsene stationäre Psychiatriepatienten mit Schizophrenie und aggressivem Verhalten sowie stationäre Patienten mit Schizophrenie, aber ohne aggressives Verhalten innerhalb einer Woche vor der Aufnahme (n=25 pro Gruppe; Durchschnittsalter 33,52 bzw. 32,88 Jahre; 68% bzw. 64% Frauen).
Sie entnahmen von jedem Patienten Stuhlproben und wiesen mit einem Enzym-Immunoassay (ELISA) das fäkale Calprotectin-Protein nach, einen Indikator für Darmentzündungen. Außerdem entnahmen sie peripher Blut und wiesen mit ELISA verschiedene Biomarker nach.
((((((Please add table here)))))))
Die Forscher wandten die Modified Overt Aggression Scale (MOAS) zur Charakterisierung aggressiver Verhaltensweisen und die Positive and Negative Syndrome Scale zur Charakterisierung psychiatrischer Symptome an.
„Wichtige Rolle“
In der Gruppe mit den aggressiven Patienten wurden signifikant höhere Biomarker für systemische Pro-Inflammation, für oxidativen Stress und Leaky Gut gefunden als in der Gruppe mit den nicht-aggressiven Patienten (alle p < 0,05).
Nach der Kontrolle für potenzielle Störfaktoren fanden die Forscher auch positive Assoziationen zwischen den MOAS-Scores und Biomarkern, sowohl im Serum als auch im Stuhl. Es gab auch positive Assoziationen zwischen 8-Hydroxydesoxy-Guanosin (8-OHdG) oder 8-Isoprostan (8-ISO) im Serum und systemischen Entzündungsbiomarkern (alle R > 0; p < 0,05). Außerdem waren die Alpha-Diversität und die Gleichmäßigkeit der bakteriellen Gemeinschaft im Kot in den Gruppen mit versus ohne Aggression geringer.
Als die Forscher die relative Häufigkeit der 15 wichtigsten Gattungen der Darmmikroflora in den beiden Gruppen verglichen, waren Bacteroides, Faecalibacterium, Blautia, Bifidobacterium, Collinsella und Eubacterium in der Gruppe der aggressiven Patienten „bemerkenswert reduziert“, während das Vorkommen von Prevotella deutlich erhöht war (alle korrigierten p < 0,001).
Bei den aggressiven Patienten waren die Spiegel von 6 SCFAs und 6 Neurotransmittern viel niedriger als bei den Patienten, die nicht aggressiv waren (alle p < 0,05).
Aggressive Patienten, die unter Schizophrenie litten, „wiesen dramatisch erhöhte Serumspiegel von 8-OHdG (Nukleinsäure-Oxidations-Biomarker) und 8-ISO (Lipid-Oxidations-Biomarker) auf als jene ohne Aggressionen; und eine weitere Analyse zeigte auch eine positive Korrelation zwischen oxidativem Stress und systemischer Pro-Entzündungsreaktion und Schwere der Aggression“, schreiben die Autoren.
Die Ergebnisse „deuten auf eine gemeinsame Rolle von systemischer Pro-Inflammation und oxidativem Stress bei der Entwicklung von Aggression bei Schizophrenie hin“, fügen sie hinzu. „Darmdysbakteriose mit einem undichten Darm scheint eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie zu spielen.“
Korrelation versus Kausalität
Prof. Dr. Emeran Mayer vom Oppenheimer Center for Neurobiology of Stress and Resilience und UCLA Brain Gut Microbiome Center, Los Angeles, Kalifornien, sagte in einem Kommentar für, dass „es auf den ersten Blick interessant ist, dass sich aggressives Verhalten, nicht aber Schizophrenie in den Unterschieden zwischen den Markern für systemische Entzündung, erhöhte Darmdurchlässigkeit und Mikrobiom-Parameter zeigte.“
Wie viele solcher deskriptiven Studien sei die Untersuchung jedoch fehlerhaft, da sie 2 Patientengruppen vergleicht und auf eine Kausalität zwischen den Biomarkern und den Verhaltensmerkmalen schließt, fügte Mayer hinzu, der nicht an der Studie beteiligt war.
Zu den Unzulänglichkeiten der Studie gehören die geringe Stichprobengröße sowie mehrere Störfaktoren – insbesondere Ernährung, Schlaf, Bewegung sowie Stress- und Angstzustände –, die nicht berücksichtigt wurden, sagte er. Außerdem fehlte in der Studie eine Kontrollgruppe von Patienten mit hohem Aggressionsniveau, aber ohne Schizophrenie.
„Die beobachteten Veränderungen der Darmdurchlässigkeit, die unwissenschaftlich als ‚Leaky Gut‘ bezeichnet werden, sowie die Unterschiede im Darmmikrobiom könnten auf eine chronisch erhöhte Aktivierung des sympathischen Nervensystems in der Gruppe mit hoher Aggression zurückzuführen sein“, so Mayer. „Das ist eine interessante Hypothese, die diskutiert werden sollte und die in dieser Studie hätte untersucht werden sollen.“
Die Unterschiede in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms und der SCFA-Produktion „könnten sekundär zu den Unterschieden in den pflanzlichen Nahrungsbestandteilen sein“, spekulierte Mayer und fragte sich, wie gut die Nahrungsaufnahme kontrolliert wurde.
„Insgesamt handelt es sich um eine interessante deskriptive Studie, die leider nicht wesentlich zum besseren Verständnis der Rolle des Mikrobioms von Gehirn und Darm bei schizophrenen Patienten beiträgt“, sagte er.
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.
Credits:
Photographer: © Luisfilipemoreira
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Wut im Bauch: Verursacht eine gestörte Darm-Mikrobiota Aggressionen bei Patienten mit Schizophrenie? - Medscape - 21. Okt 2022.
Kommentar