Eine gepoolte Analyse von 1,2 Millionen Menschen aus 22 Ländern zeigt, dass 6,2% der Patienten 3 Monate nach einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion Long-COVID-Symptome aufweisen. Frauen sind davon doppelt so häufig betroffen als Männer. Nach 12 Monaten haben sich die Symptome aber bei den meisten Patienten zurückgebildet.

Dr. Dietrich Walzer
Quelle: Dr. Walzer
Die Autoren der Global Burden of Disease Long-COVID-Studie analysierten 54 Studien und 2 medizinische Datenbanken und fokussierten sich dabei auf 3 Symptomcluster: persistierende Fatigue mit körperlichen Schmerzen oder Stimmungsschwankungen, kognitive Probleme oder anhaltende respiratorische Probleme. Der primäre Endpunkt der Studie war das Vorliegen eines dieser 3 Symptomcluster 3 und 12 Monate nach der Infektion mit SARS-CoV-2.
Beeinträchtigung vor allem durch Fatigue, kognitive und respiratorische Probleme
Dr. Theo Vos vom Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington, Seattle, USA, und seine Kollegen berichten, dass nach 3 Monaten 3,2% der untersuchten Patienten an persistierender Fatigue mit Körperschmerzen oder Stimmungsschwankungen, 3,7% an anhaltenden respiratorische Problemen und 2,2% an kognitiven Problemen litten.
Long-COVID ist mittlerweile in zahlreichen epidemiologischen Studien untersucht worden. Aber die Datenlage ist unübersichtlich. „Die Untersuchungen verwendeten unterschiedliche Methoden, Patientengruppen, Nachbeobachtungszeiträume und Definitionen für die nach einer SARS-CoV-2-Infektion auftretenden Symptome“, erklärt Dr. Dietrich Walzer von der Abteilung für Infektiologie an der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg im Gespräch mit Medscape.
Wichtig ist die Berücksichtigung des präinfektiösen Gesundheitszustands
Auch die Prävalenz der postakuten Symptomatik unterschiedet sich drastisch zwischen den Studien. In einer britischen Studie wurde mittels Online-Erfassung beispielsweise eine Häufigkeit von lediglich 2,3 % ermittelt. In der jüngst veröffentlichten EPILOC-Studie aus Deutschland lag sie bei 28,5%. Andere Studien kommen gar auf Werte über 60%.
„Pandemie-assoziierte Beschwerden und Einschränkungen wurden oft miterfasst und waren bei Fehlen einer nicht-infizierten Kontrollgruppe schlecht abschätzbar“, erklärt Walzer. In der aktuellen Analyse sei dagegen der Gesundheitszustand der Studienteilnehmer vor der Infektion berücksichtigt worden.
Die wichtigsten Symptome wurden erfasst
Auch den Fokus auf die 3 Symptomcluster Fatigue, kognitive Beschwerden und respiratorische Probleme befürwortet der Freiburger Arzt: „Das sind die Symptome, die auch in unserer Ambulanz am häufigsten beobachtet werden und die sich auch in der EPILOC-Studie bestätigt haben.“
In der in Baden-Württemberg durchgeführten Studie wurden knapp 12.000 Personen mit im Schnitt 8,5 Monate zurückliegender COVID-19-Infektion analysiert. Neben Fatigue, neurokognitiver Beeinträchtigung und respiratorischen Symptomen kristallisierten sich darin auch die Symptomcluster Riech- und Schmeckstörungen sowie Angst/Depression heraus.
Es gebe einige Long-COVID-Symptome, die häufiger auftreten, aber in der globalen Analyse nicht erfasst worden seien, so Walzer. Dennoch gebe sie einen guten Überblick über die Häufigkeit, aber auch Risikofaktoren für Long-COVID-Symptome.
Frauen sind doppelt so häufig betroffen
Die Analyse der Global Burden of Disease Long Covid Collaborators zeigt nämlich auch, dass Frauen deutlich häufiger von Long-COVID betroffen sind als Männer. Bei Frauen über 20 Jahren habe die Häufigkeit der 3 Symptomcluster 3 Monate nach der Infektion bei 10,6% gelegen, während gleichaltrige Männer mit 5,4% davon nur etwa halb so oft betroffen gewesen seien, berichten die Autoren um Vos.
„Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist auch, dass Kinder und Jugendliche bzw. junge Erwachsene kaum Long-COVID entwickeln“, ergänzt Walzer. Bei Patienten unter 20 Jahren lag die Häufigkeit bei 2,8%.
Schwere der Erkrankung beeinflusst das Risiko
Wie lange die Long-COVID-Symptome anhalten, hängt offenbar stark von der Schwere der Erkrankung ab: Während COVID-19-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, im Schnitt noch nach 9 Monaten Long-COVID-Symptome aufweisen, erholten sich nicht hospitalisierte Patienten nach im Schnitt 4 Monaten.
„Wir nehmen an, dass die Ursachen für anhaltende Beschwerden nach leichter und schwerer COVID-19-Erkrankung unterschiedlich sind. Insbesondere bei Patientinnen und Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden mussten, lassen sich oft auch im Verlauf noch Einschränkungen von Organfunktionen nachweisen, welche bei leicht Erkrankten so nicht bestehen.“, erklärt Walzer. Long-COVID diene hier als Sammelbegriff für möglicherweise unterschiedliche Krankheitsbilder.
Die wichtigste Botschaft aber sei, sagt Walzer, „dass die Prognose in der Regel gut ist“. Von den Patienten mit Long-COVID-Symptomen 3 Monate nach der symptomatischen Infektion hatten nur 15,1% auch nach 12 Monaten noch Symptome. „Das heißt die Symptome nehmen über die Zeit ab, die Rückbildungsquote ist - insbesondere nach leichter Erkrankung - hoch“, so der in der Infektiologie tätige Arzt.
Credits:
Photographer: © Ralf Liebhold
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Große Analyse rückt Long-COVID in neues Licht: „Nur“ rund 6% leiden darunter und die meisten erholen sich innerhalb eines Jahres - Medscape - 17. Okt 2022.
Kommentar