95% in Deutschland haben Antikörper; immer mehr Intensivpatienten; jeder 4. in Süddeutschland hat nach COVID länger Beschwerden

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. Oktober 2022

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

 

Update vom 17. Oktober 2022

Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, auf seinem Dashboard 680,9 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 16. Oktober lag der Wert bei 707,7.

Unsere Themen heute:

  • 95% der Bevölkerung weisen Antikörper auf

  • Zahl der Intensivpatienten nimmt weiter zu

  • Jeder 4. hat 6 bis 12 Monate nach COVID-19 noch Beschwerden

95%der Bevölkerung weisen Antikörper auf

Fast alle Deutschen weisen Antikörper gegen SARS-CoV-2 auf. Das zeigt die Interimsanalyse des Immunbridge-Projekts. „Die gute Nachricht: 95% der Bevölkerung besitzen bereits Antikörper gegen das Coronavirus“, sagte

Bettina Stark-Watzinger bei der Vorstellung der Studie. Ein Großteil der Menschen in Deutschland sei im kommenden Herbst und Winter moderat bis gut gegen schwere Coronaverläufe geschützt. Die Bundesforschungsministerin leitet daraus ab, dass die Bundesländer nur dann auf zusätzliche Schutzmaßnahmen nach dem IfSG zurückgreifen müssen, wenn sich eine neue, gefährlichere Variante durchsetzen sollte.

Prof. Dr. Hendrik Streeck, Sprecher der Immunbridge-Studie, wies darauf hin, das vor dem Hintergrund dieser Grundimmunität nicht mehr in erster Linie Infektionszahlen ausschlaggebend seien, „sondern wie viele Patienten im Krankenhaus ‚mit‘ Corona behandelt werden“. Die Daten, so Streeck, „zeigen aber auch, dass wir eine deutliche Immunitätslücke in den Risikogruppen haben und dass Impfkampagnen bei über 70-Jährigen dringend notwendig sind“.

Ein Schutz vor einer Infektion mit COVID-19 lässt sich aus den Ergebnissen allerdings nicht ableiten, betont Prof. Dr. Isabella Eckerle, Virologin am Universitätsklinikum Genf. „Wichtig ist hier noch anzumerken, dass der reine Nachweis von Antikörpern nichts über den Schutz vor SARS-CoV2-Infektion aussagt. Auch kann man nicht zuverlässig sagen, ob sie von Impfung, Infektion oder Kombi aus beidem stammen. Ein hohes Infektionsgeschehen ist trotzdem möglich“, twittert Eckerle.

Sie weist darauf hin, dass in der Schweiz ähnliche Seroprävalenzen gefunden und zusätzlich Surrogat-Neutralisations-Assays durchgeführt wurden. Die Ergebnisse des Preprints zeigen, dass Genesene ohne Impfung schwach oder gar nicht neutralisieren. In einem weiteren Preprint wurde 94% Seroprävalenz im Kanton Genf nach der Omikron BA.2-Welle gefunden, aber weniger als die Hälfte konnte BA.5 neutralisieren.

In der Interimsanalyse selbst wird darauf hingewiesen, dass trotz hoher Prävalenz von Antikörpern gegen das S-Antigen (95%) und N-Antigen (48%) nur ein geringer Schutz in der Bevölkerung gegen Infektion mit der zu diesem Zeitpunkt in Deutschland dominierenden SARS-CoV-2-Variante zu bestehen scheint. Das zeigten die Sommerwelle und die wieder ansteigenden Fallzahlen ab Ende September. Das bedeute, dass bei entsprechend veränderten SARS-CoV-2- Varianten auch weitere Infektionswellen mit relevanter Morbidität auftreten können.

Die Autoren weisen auch darauf hin, dass die Arbeit deutliche Einschränkungen aufweist, etwa in Bezug auf die Fallzahl in bestimmten Altersgruppen oder bei vorerkrankten Menschen. Gedacht seien die vorläufigen Ergebnisse hauptsächlich zur internen Kommunikation mit den Konsortien des Modellierungsnetzes für schwere Infektionskrankheiten. Weder die Datengrundlage noch die Methodik der Auswertung oder Darstellung der Ergebnisse seien final.

Zahl der Intensivpatienten nimmt weiter zu

Die Anzahl SARS-CoV-2-Infizierter mit Symptomen einer akuten Atemwegsinfektion wird in KW 40/2022 auf 1,1 bis 2,6 Millionen geschätzt, so das RKI in seinem Wochenbericht. Die Zahl der Arztbesuche aufgrund einer akuten Atemwegserkrankung mit zusätzlicher COVID-19-Diagnose wird auf etwa 400.000 geschätzt. Beide Werte liegen über denen der Vorwoche.

Auch die bundesweite 7-Tage-Inzidenz von SARS-CoV-2 ist in Meldewoche 40 im Vergleich zur Vorwoche weiter angestiegen, der Anstieg selbst war allerdings in der vergangenen Woche flacher als zwischen MW 38 und 39. Die 7-Tage-Inzidenzwerte stiegen in allen Bundesländern und fast Altersgruppen, mit Ausnahme der 5- bis 14-Jährigen an. Dabei zeigt die Altersgruppen über 50 den stärksten Anstieg. Die höchsten Veränderungen mit 38-49% wurden bei den 85- bis über 90-Jährigen verzeichnet.

Im Vergleich zur Vorwoche ist auch die Zahl der COVID-19-Ausbrüche in medizinischen Einrichtungen und Alten- und Pflegeheimen weiter gestiegen. „Diese Entwicklungen können als direkte Folge der starken Ausbreitung in den vergangenen Wochen gedeutet werden“, schreibt das RKI. Die seit Mitte Juni dominierende Omikron-Linie BA.5 hat andere Varianten fast vollständig verdrängt; ihr Gesamtanteil lag in KW 39 bei knapp 96%.

Für die Bewertung der Lage ist wichtig, wie sich die Zahl schwer verlaufender Erkankungen entwickelt. Dazu zeigen Daten der syndromischen Krankenhaussurveillance, dass es seit KW 38 wieder zu einem Anstieg von Patienten kommt, die mit einer schweren akuten Atemwegsinfektion und COVID-19-Diagnose im Krankenhaus behandelt werden (COVID-SARI). Die Inzidenz liegt aktuell bei 5,4 Hospitalisierungen. Das entspricht einer Gesamtzahl von etwa 4.500 neuen Krankenhausaufnahmen wegen COVID-SARI.

Vor allem bei den ab 60-Jährigen wurde ab KW 38 ein erneuter Anstieg der COVID-SARI-Hospitalisierungsinzidenzen beobachtet. Auch die im DIVI-Intensivregister berichtete absolute Zahl der auf ITS behandelten Personen mit COVID-19 stieg in KW 40 im Vergleich zur Vorwoche weiter an und lag am 12.10.2022 bei 1.668 Personen (Vorwoche 1.309 Personen). Personen ab 80 Jahre sind am stärksten von schweren Krankheitsverläufen betroffen.

Jeder 4. hat 6 bis 12 Monate nach COVID-19 noch Beschwerden

Jeder 4. Betroffene leidet in Süddeutschland 6 bis 12 Monate nach einer Corona-Infektion noch unter erheblichen Symptomen. Das ist das Ergebnis der jetzt im British Medical Journal veröffentlichten EPILOC-Studie. Eingeschlossen wurden 11.710 Erwachsene (im Alter von 18 bis 65 Jahren) mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion zwischen Oktober 2020 und März 2021, die den Gesundheitsbehörden in 4 Regionen in Süddeutschland gemeldet wurden. 59% waren Frauen, das mittlere Alter lag bei 44 Jahren.

Müdigkeit (37,2%) und neurokognitive Beeinträchtigung (31,3% trugen am stärksten zu einer verminderten gesundheitlichen Erholung und Arbeitsfähigkeit bei, aber auch Brustsymptome, Angst/Depression, Kopfschmerzen/Schwindel und Schmerzsyndrome waren weit verbreitet und für die Arbeitsfähigkeit relevant.

„Obwohl wir die Tendenz vermutet hatten, waren wir doch sehr erstaunt, wie viele jüngere Personen mit zunächst unkomplizierter akuter SARS-CoV-2-Infektion ein Risiko für Long-COVID haben“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Winfried Kern von der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg. An der Studie waren außerdem die Universitäten Heidelberg, Tübingen und Ulm beteiligt. Die Studie wurde mit Hilfe der lokalen Gesundheitsämter im Umkreis der Universitätsstandorte durchgeführt. 

„Neurokognitive Beeinträchtigungen neben chronischer Müdigkeit hingen am stärksten mit einer verminderten Gesundheit und reduzierten Arbeitsfähigkeit bei Long-COVID-19 zusammen. Und auch wenn wir eine mögliche Verzerrung durch eine selektive Teilnahme an der Studie annehmen müssen, bleibt trotzdem eine erhebliche Krankheitslast zurück“, kommentiert Dr. Raphael Peter vom Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Universität Ulm und Erstautor der Studie.

Eine große internationale Meta-Analyse kam jedoch aktuell zu dem Ergebniss, dass die Langzeitbeschwerden nach einer Corona-Infektion deutlich weniger häufig auftreten als bisher gedacht und von zahlreichen Begleitfaktoren abhängig sind (Medscape berichtete).

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Kommentar

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