Die Notfallstation des Zürcher Universitätsspitals an einem frühen Samstagsmorgen: Eine schreiende und um sich schlagende Patientin wird von ihrem Ehemann mit Hilfe von 2 erwachsenen Söhnen vorgestellt. Sie klagen über akute Wesensveränderungen, die innerhalb von 1 Stunde während der wöchentlichen Badreinigung aufgetreten sind [1].
Die Patientin und ihre Geschichte
An diesem Samstag, wie jede Woche, reinigte die 68-Jährige ihr Badezimmer. Plötzlich fing sie an, unermüdlich den Boden zu schrubben, bis ihre Finger blutig waren. Der Ehemann konnte seine von Putzwut besessene Frau allein nicht mehr stoppen und rief seine Söhne zur Hilfe.
Bei der Vorstellung in der Notaufnahme ist die Patientin ohne psychische Erkrankungen in der Anamnese örtlich sowie zeitlich völlig desorientiert und halluziniert aktiv. Sofort auffallend sind die blutigen Fingernägel, massive Kratzer an den Händen und subkutane Hämatome an allen Extremitäten.
Körperliche und apparative Untersuchungen
Der Blutdruck ist mit 200/90 mmHg erhöht, die übrigen Vitalparameter sowie der internistische Status bleiben unauffällig. Die Angehörigen geben an, die 68-Jährige sei eine langjährige Raucherin (zirka 30 pack years), habe jedoch anamnestisch bis auf eine arterielle Hypertonie und eine PAVK Grad I keine Vorerkrankungen.
Bei der Laboranalyse sind folgende Befunde besonders auffällig:
Normalwerte |
Eintrittswerte |
|
Kalium |
3,5-4,8 mmol/l |
2,5↓↓ |
Glucose |
3,1-6,4 mmol/l |
9,4↑ |
y-GT |
5-39 U/l |
189↑ |
LDH |
240-280 U/l |
879↑↑ |
Leukozyten |
3,7-11,2 Tsd/µl |
15,3↑ |
Weitere Untersuchungen bleiben ohne Ergebnisse. Das toxikologische Screening ist negativ, die angeordnete Computertomographie (CT) sowie Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels inklusive Hypophyse sind unauffällig. Als ebenfalls wenig hilfreich erweisen sich die Lumbalpunktion und das Elektroenzephalogramm (EEG).
Nach der konsequenten Analyse der Laborwerte und Differenzialdiagnosen eines Delirs haben die Zürcher Kollegen einen festen Verdacht und ordnen einen Cortisol-Test an.
Wie die behandelnden Ärzte vermutet haben, war der Cortisolwert sowohl im Serum mit 4.600 nmol/l als auch im Urin mit 10.372 nmol/l deutlich über der Norm. Auch das adrenocortikotrope Hormon (ACTH) mit 44,4 pmol/l war erhöht (die obere Norm 10,5 pmol/l).
Verlauf, Diagnose und Therapie
Ein Thorax-Röntgenbild lieferte Hinweise für eine COPD sowie eine linksseitige Hilusvergrösserung. Im CT-Thorax/Abdomen wurden noduläre Auftreibungen beider Nebennieren und eine mediastinale Lymphadenopathie sowie multiple hypodense Leberläsionen nachgewiesen. Die Feinnadelpunktion der Leberläsionen ergab Metastasen eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms.
Akutes Delir sowie Hypokaliämie und Hyperglykämie in Kombination mit den oben genannten radiologischen Befunden und deutlich erhöhten Cortisolwerten führten die Zürcher Mediziner schließlich zu der Diagnose eines rasch „explodierenden“ paraneoplastischen Cushing-Syndroms bei kleinzelligem Bronchialkarzinom.
Im Verlauf trat bei der Patientin ein septischer Schock auf. Eine empirische Antibiotikatherapie führte dann zu einer passageren klinischen Verbesserung. Nach einigen Tagen kam es jedoch zu einem Multiorganversagen. Aufgrund der infausten Prognose hat sich die Familie der 68-Jährigen für ein konservatives Vorgehen ausgesprochen, aus diesem Grund wurden die intensivmedizinischen Maßnahmen nicht weiter ausgebaut. Die Patientin starb einige Tage später.
Bei Delir an die breite Palette von Differenzialdiagnosen denken
Sicher ist die Versorgung akut verwirrter Patienten im hektischen klinischen Alltag eine Herausforderung für die behandelnden Ärzte. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ratsam, alle Differenzialdiagnosen eines Delirs in Ruhe durchzugehen und systematisch abzuklären.
Um ein Cushing-Syndrom zu diagnostizieren, ist angesichts hoher Cortisolwerte im Serum und Urin bei entsprechendem klinischem Bild keine weitere Diagnostik erforderlich.
Bei dem sogenannten Pseudo-Cushing-Syndrom wird ebenfalls ein Ansteigen der Cortisolwerte beobachtet, hervorgerufen durch Stress, Depression oder Alkohol. Allerdings steigt der Cortisolspiegel bei Pseudo-Cushing in der Regel nicht über das 3- bis 4-Fache der oberen Norm an.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
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Diesen Artikel so zitieren: Fall: Putzwut endet für eine 68-Jährige tödlich – seltene Diagnose nach akuter Wesensveränderung. Ihr Verdacht? - Medscape - 24. Okt 2022.
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