Schmerzen, Übelkeit, Haarausfall: Warum die „Kollateralschäden“ einer Krebstherapie konsequent behandelt werden müssen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

10. Oktober 2022

Schmerzen, Erschöpfung, Übelkeit oder Haarausfall sind akute Nebenwirkungen, unter denen Krebspatienten während der Therapie oft leiden. Sie zu lindern gehört ebenso zur Krebstherapie wie die tumorspezifische Therapie. Welche Optionen für die supportive Therapie zur Verfügung stehen, erläuterte Dr. Juliane Brandt bei einer Veranstaltung des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) [1].

 
Die supportive Therapie ist ein unverzichtbarer Baustein der onkologischen Behandlung. Dr. Juliane Brandt
 

„Die supportive Therapie ist ein unverzichtbarer Baustein der onkologischen Behandlung“, betonte die Oberärztin an der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie des Universitätsklinikums Heidelberg. „Die Therapien werden immer besser, dementsprechend aber auch intensiver.“ Eine tumorspezifische Therapie sei nur sinnvoll, wenn auch die Nebenwirkungen behandelt werden könnten, so dass der Patient weiter alltäglichen Beschäftigungen nachgehen könne und eine gute Lebensqualität habe.

Wahrnehmung von Nebenwirkungen ist sehr individuell

Bei der Beurteilung von Nebenwirkungen gilt es zu berücksichtigen, dass Patienten diese sehr individuell und teils sehr unterschiedlich wahrnehmen. „Wir wissen mittlerweile, dass oftmals eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Behandler und der Patienten gibt“, so Brandt. Deshalb sei eine systematische Symptomerfassung durch die Patienten selbst so wichtig, zum Beispiel mit dem Patientenfragebogen PROMs (patient reported outcome measures). „Das Wichtigste beim Thema Nebenwirkungsmanagement ist aber das Gespräch zwischen Patienten und Behandlungsteam“, ergänzte sie.

 
Das Wichtigste beim Thema Nebenwirkungsmanagement ist aber das Gespräch zwischen Patienten und Behandlungsteam. Dr. Juliane Brandt
 

Empfehlungen für die optimale supportive Therapie bei onkologischen Patienten gibt es in der entsprechenden S3-Leitlinie. Diese ist auch als Patientenleitlinie erhältlich.

Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen

Ein zentrales Thema in Aufklärungsgesprächen sind oft Übelkeit und Erbrechen, die sowohl bei der medikamentösen – oral und intravenös – als auch bei der Strahlentherapie auftreten können. „Sie werden von vielen Patienten besonders gefürchtet und von den Behandlern in der Häufigkeit ihres Auftretens teils unterschätzt“, sagte Brandt.

Zur Verhinderung von Übelkeit und Erbrechen unter Tumortherapien ist eine medikamentöse Prophylaxe möglich. „Es reicht nicht aus, das Symptom erst zu behandeln, wenn es entsteht“, so Brandt.

Entscheidend ist das emetogene Potenzial

Wie sich die Prophylaxe zusammensetzt, hängt vom emetogenen Potenzial der Tumortherapie ab. Krebsmedikamente werden auf Basis ihres Potenzials, Übelkeit und Erbrechen hervorzurufen, in 4 Gruppen eingeteilt:

  • minimal (z.B. Chlorambucil),

  • gering (z.B. Cetuximab),

  • moderat (z.B. Cisplatin ≤ 50 mg/m2) und

  • hoch (z.B. Cisplatin > 50 mg/m2)

Bei der Strahlentherapie gilt die Faustregel, je größer das Bestrahlungsfeld und je höher die Bestrahlungsdosis, desto höher das Risiko für Übelkeit und Erbrechen.

  • Bei einer Ganzkörperbestrahlung ist das Risiko hoch,

  • bei einer Bestrahlung des oberen Abdomens, der Bauchwirbelsäule, der Lendenwirbelsäule und der Neuroachse moderat.

  • Ein geringes Risiko für Übelkeit und Erbrechen besteht bei einer Bestrahlung von Becken, Hirnschädel, Kopf, Hals und Thorax.

  • Bei einer Bestrahlung von Extremitäten und Brust ist das Risiko minimal.

„Insgesamt erhöht ist das Risiko für Übelkeit und Erbrechen, wenn beide Therapieformen bei einer Radiochemotherapie kombiniert werden“, sagte Brandt.

Patientenspezifische Risikofaktoren für Übelkeit und Erbrechen unter Tumortherapie

Allerdings spielen für das Risiko nicht nur die Tumortherapie selbst, sondern auch patientenspezifische Risikofaktoren eine Rolle: „Personen, die schon in der Vortherapie unter Übelkeit und Erbrechen litten oder grundsätzlich dazu neigen (Schwangerschaftserbrechen oder Reiseübelkeit in der Anamnese), entwickeln unter einer Tumortherapie häufiger Übelkeit und Erbrechen. Gleiches gilt für jüngere Menschen und Frauen.

 
Insgesamt erhöht ist das Risiko für Übelkeit und Erbrechen, wenn beide Therapieformen bei einer Radiochemotherapie kombiniert werden. Dr. Juliane Brandt
 

Von Bedeutung für das Risiko sind auch Ängste und negative Erwartungen – man spricht hier von einem antizipatorischen Erbrechen. „Da Ängste und Erwartungen bekannte Risikofaktoren sind, sollten sie im Gespräch zwischen Arzt und Patient besprochen werden, um das Risiko für Übelkeit und Erbrechen einschätzen zu können“, so Brandt.

Das antizipatorische Erbrechen spricht prinzipiell schlechter auf eine medikamentöse Prophylaxe an. Es sollte dann über eine Erweiterung der Prophylaxe nachgedacht werden, gegebenenfalls können auch Benzodiazepine zum Einsatz kommen.

Das Gespräch mit dem Patienten ist entscheidend

Ein typisches Präparat, welches zur Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen bei Krebspatienten eingesetzt wird, ist Olanzapin. „Olanzapin ist ein typisches Beispiel dafür, weshalb es so wichtig ist, miteinander zu reden“, betonte Brandt.

Das atypische Neuroleptikum wird nämlich üblicherweise zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen eingesetzt, was bei den Patienten zu Verunsicherung führen kann. „Da muss man erklären, dass es an Signalwegen im Gehirn angreift, die Übelkeit auslösen“, so Brandt.

Angriff auf die Darmschleimhaut verursacht Durchfall

Eine weiteres typische, ebenfalls den Magen-Darm-Trakt betreffende Nebenwirkung von Tumortherapien ist der Durchfall. Die Zellen der Darmschleimhaut gehören zu den sich schnell teilenden Zellen, weshalb sie sehr empfänglich für die Auswirkungen einer Chemotherapie oder Bestrahlung sind. „Die Ursache für Durchfall unter der Tumortherapie ist deshalb meist ein Schleimhautschaden“, erklärte Brandt. Infektiöse Ursachen kämen vor, seien aber seltener.

Prophylaktische Optionen gibt es nur wenige: Bei Patienten mit einem intakten Immunsystem könne man Symbiotika geben, sagte Brandt. Und vor einer Bestrahlung sei die Verabreichung von Amifostin oder Sulfasalazin möglich.

Tritt Durchfall auf, sei es wichtig, Flüssigkeitsverluste auszugleichen, sprich ausreichend zu trinken. Zur symptomatischen Therapie könnten Loperamid (wichtig ist eine ausreichend hohe Dosierung), Opiumtinktur oder Octreotid verwendet werden.

Warnzeichen, die eine zeitnahe ärztliche Rücksprache erfordern, sind blutiger Stuhlgang, Fieber, zunehmende Bauchschmerzen und zunehmende Flüssigkeitsverluste, die zu Kreislaufproblemen und Schwindel führen.

Schmerzhafte Entzündung im Mund

Ebenso wie die Zellen der Darmschleimhaut, leiden oft auch die Zellen der Mundschleimhaut besonders unter Chemotherapie und Bestrahlung. „Die orale Mukositis kann sehr schmerzhaft sein und birgt die Gefahr, dass Bakterien durch die geschädigte Schleimhaut ins Blut eindringen“, so Brandt. Isst und trinkt der Patient aufgrund der Mundschleimhautentzündung zu wenig, drohen Flüssigkeitsmangel und Nierenschädigung.

 
Die orale Mukositis kann sehr schmerzhaft sein und birgt die Gefahr, dass Bakterien durch die geschädigte Schleimhaut ins Blut eindringen. Dr. Juliane Brandt
 

Risikofaktoren, die ein orale Mukositis unter der Tumortherapie begünstigen, sind: eine unzureichende Mund- und Zahnhygiene, Rauchen, eine frühere Chemo- oder Strahlentherapie, wenig Speichel, erbliche Veranlagung sowie eine Nieren- oder Leberschädigung.

Mukositis-Prophylaxe mit Mundspülungen und Kryotherapie

Zur Prophylaxe können häufige Mundspülungen mit Wasser oder Kochsalzlösung (mindestens 4- bis 6-mal täglich) empfohlen werden. Auch eine ausreichende Mundhygiene sowie das Meiden von Alkohol, scharfen Speisen und Nikotin kann helfen. Sei bei Krebspatienten eine Sanierung des Zahnstatus erforderlich, sollte dies vor intensiven Tumortherapien erfolgen, so Brandt.

Eine Kryotherapie, etwa durch das Lutschen von Eiswürfeln, kann etwa bei Chemotherapien mit 5-Floururacil oder einer Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan vor autologer Stammzelltransplantation von Vorteil sein. Behandelt werden kann eine orale Mukositis lokal oder systemisch, hier betonte Brandt die Notwendigkeit einer „ausreichenden Schmerztherapie“.

Schreckgespenst Haarausfall

Die wohl bekannteste, da sichtbarste Nebenwirkung der klassischen Chemotherapie, aber auch anderer Medikamentengruppen ist der Haarausfall. Ähnlich wie Schleimhautzellen bestünden Haarwurzeln in der Wachstumsphase aus sich häufig teilenden Zellen, erklärte Brandt die Ursache der häufigen Alopezie.

Der Haarausfall beginnt meist 1 bis 4 Wochen nach Therapiebeginn, zum Teil bestehen Schmerzen der Kopfhaut und Berührungsempfindlichkeit. Nach Abschluss der Behandlung wachsen die Haare in vielen Fällen nach ca. 3 bis 6 Monaten nach.

„Eine komplett zuverlässige Prophylaxe existiert bisher nicht“, so Brandt. Es besteht die Möglichkeit einer Prophylaxe mit Kopfhautkühlung, bei der analog zur Kühlung der Schleimhäute die reduzierte Durchblutung zu einer geringeren Exposition der Haarwurzeln gegenüber der Therapie führt. Die Kosten würden allerdings meist nicht von den Krankenkassen übernommen, ergänzte Brandt. Bei Frauen sei es möglich, auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen eine Perücke zu verordnen.

Vorurteile und Ängste können Schmerztherapie gefährden

Ein weiterer wichtiger Baustein der supportiven Therapie bei onkologischen Patienten ist die ausreichende Schmerztherapie. Oft sind dafür Opioide erforderlich. „Diese lösen bei den Patienten aber oft Ängste aus beziehungsweise sind mit zahlreichen Vorurteilen behaftet“, so Brandt: Sie verursachten Übelkeit und Verstopfung, machten müde, benommen und abhängig und wirkten atemdepressiv.

All dies erfordert eine sorgfältige Aufklärung der Patienten. Sie sollten darüber informiert werden, dass Übelkeit in der Anfangsphase der Opioidtherapie auftreten kann (nicht muss), durch Medikamente gut behandelt werden kann und nach 1 bis 2 Wochen meist wieder vergeht.

Opioidtherapie erfordert ebenfalls gutes Nebenwirkungsmanagement

Dass Opioide Verstopfung verursachen, ist ebenfalls eine Angst vieler Patienten und in diesem Fall kein Vorurteil, hier ist eine Prophylaxe dauerhaft nötig. „Bei konsequenten Maßnahmen von Beginn an – sprich medikamentöser und nichtmedikamentöser Prophylaxe – ist diese Nebenwirkung der Opioidtherapie in der Regel gut beherrschbar“, sagte Brandt.

Müdigkeit, Benommenheit und eine Atemdepression drohen bei der Opioidtherapie in der Regel nicht, wenn eine langsame und sachgemäßer Dosistitration nach Wirkung erfolgt. Ganz im Gegenteil: „Oftmals kommt es bei Erreichen einer guten Schmerzkontrolle zu einer erheblichen Verbesserung des Aktivitätsniveaus“, so Brandt.

 
Bei konsequenten Maßnahmen von Beginn an … ist diese Nebenwirkung der Opioidtherapie in der Regel gut beherrschbar. Dr. Juliane Brandt
 

Bei sachgemäßer Anwendung seien die akuten Nebenwirkungen einer Opioidtherapie gut beherrschbar, so Brandts. Sie betonte, dass eine gut kontrollierte Schmerzsituation auch in Bezug auf die sonstige Komplikationsrate vorteilhaft sei, da zum Beispiel schmerzbedingte Mobilitätseinschränkungen mit einer deutlich erhöhten Infektionsgefahr oder Thrombose- bzw. Embolierisiko behaftet seien.

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