Wenn nach der Geburt der Spaß vorbei ist: Spielt die Art der Entbindung eine Rolle, wenn Schmerzen beim Sex auftreten?

Jake Remaly

Interessenkonflikte

6. Oktober 2022

Für manche Eltern hat die Wiederaufnahme sexueller Aktivitäten nach der Geburt eines Babys oberste Priorität. Für andere ist das Thema weniger dringlich – und das nächtliche Füttern und der Windelwechsel sind vielleicht auch nicht die einzigen Probleme, die dem entgegenstehen. Eine beträchtliche Zahl von Frauen klagt nach einer Entbindung über Dyspareunie, also Schmerzen beim Sex. Neuere Untersuchungen geben nun Aufschluss darüber, welchen Anteil psychische und biomedizinische Faktoren daran haben.

So hat die Art der Entbindung möglicherweise einen geringeren Einfluss auf das sexuelle Wohlbefinden, als manche Menschen vermuten. Es wird zwar weithin angenommen, dass eine Entbindung per Kaiserschnitt die sexuelle Funktion weniger beeinträchtigt als eine vaginale Geburt. Doch nach den jetzt in der Zeitschrift BJOG veröffentlichten Forschungsergebnissen hat die Art der Entbindung keinen Einfluss auf die postpartale Sexfrequenz oder den Spaß daran [1].

Im Gegenteil: 11 Jahre nach einer Entbindung war die Geburt per Sectio um 74% wahrscheinlicher mit vaginalen Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs verbunden als eine vaginale Entbindung, fanden die Forschenden heraus (Odds Ratio [OR] 1,74; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,46–2,08).

Nach diesen Ergebnissen schütze eine Entbindung per Kaiserschnitt „möglicherweise nicht vor sexuellen Funktionsstörungen, wie bisher angenommen“, so Florence Z. Martin, Doktorandin der Epidemiologie an der britischen Universität Bristol und Hauptautorin der Studie, in einer Pressemitteilung.

Daten von mehr als 10.000 Frauen – bis zu 18 Jahre nach Entbindung

Für die Untersuchung analysierten sie und ihr Team von der Universität Bristol und dem Karolinska Institut in Schweden die Daten von über 10.300 Britinnen aus der Avon Longitudinal Study of Parents and Children, die 1991 und 1992 schwanger waren.

Den Forschenden lagen Daten zu Schmerzen beim Sex 11 Jahre nach der Entbindung vor. Zudem gab es Daten über das sexuelle Vergnügen und die Häufigkeit sexueller Aktivitäten 33 Monate, 5 Jahre, 12 Jahre und 18 Jahre nach der Entbindung.

Wenn Frauen auch Jahre nach einem Kaiserschnitt noch Schmerzen beim Sex hatten, könnte die Vernarbung der Gebärmutter dafür eine Ursache sein, so Martin und ihr Team. Ein anderer Erklärungsansatz wäre es, dass Frauen, die bereits vor der Entbindung Probleme mit einer Dyspareunie hatten, eher zu einem Kaiserschnitt gezwungen seien.

Andere Studien haben ebenfalls festgestellt, dass verschiedene Entbindungsarten im Allgemeinen ähnliche Ergebnisse in Bezug auf das sexuelle Wohlbefinden nach der Geburt erbringen.

„Mehrere meiner eigenen Längsschnittstudien konnten nur einen begrenzten Zusammenhang zwischen der Art der Entbindung und verschiedenen Aspekten des sexuellen Wohlbefindens wie sexuelle Befriedigung, Sexualfunktionen und sexuelles Verlangen aufzeigen“, so Dr. Natalie O. Rosen, Direktorin des Couples and Sexual Health Laboratory an der Dalhousie University in Halifax, Nova Scotia, Kanada. Die Ergebnisse anderer publizierter Studien seien jedoch widersprüchlich, sodass die Frage noch weiter untersucht werden sollte, sagte sie.

 
Mehrere meiner eigenen Längsschnittstudien konnten nur einen begrenzten Zusammenhang zwi-schen der Art der Entbindung und verschiedenen Aspekten des sexuellen Wohlbefindens … aufzeigen. Dr. Natalie O. Rosen
 

Katastrophisierung von Schmerzen

Eine in diesem Jahr in Obstetrics & Gynecology veröffentlichte Studie von Rosens Gruppe untersuchte bei 582 Frauen von der Mitte der Schwangerschaft bis 2 Jahre nach der Entbindung die Schmerzen bei sexuellen Aktivitäten. 

Etwa 21% der Teilnehmerinnen gaben einen mittleren Wert von über 4 auf einer von 0 bis 10 reichenden Schmerzskala an, was als mäßige Schmerzen beim Sex eingestuft wurde. Die übrigen Werte wurden als „minimale Dyspareunie“ klassifiziert. Das Schmerzmaximum wurde in der Regel 3 Monate nach der Geburt erreicht und nahm dann sowohl in der Gruppe mit moderaten als auch in der Gruppe mit minimalen Schmerzen beständig ab.

Die Art der Entbindung hatte dabei keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass eine Teilnehmerin eine mäßige Dyspareunie entwickeln würde. Auch das Stillen oder früher erlittene chronische Schmerzen spielten für die Daten keine Rolle.

„Allerdings hat sich ein Punkt als wichtig herausgestellt, auf den man achten sollte: Frauen, die über viele negative Gedanken und Gefühle in Bezug auf Schmerzen berichteten, was als Schmerzkatastrophisierung bezeichnet wird, hatten auch mit größerer Wahrscheinlichkeit mäßige anhaltende Schmerzen beim Sex“, so die Forschenden in einem Video über ihre Ergebnisse.

Bei einer Schmerzkatastrophisierung war 3 Monate nach der Entbindung ein Erleben moderater Schmerzen bei sexueller Aktivität signifikant wahrscheinlicher (OR 1,09; 95%-KI 1,04–1,15).

Videos, die das Gespräch erleichtern

Sich um ein Neugeborenes zu kümmern und gleichzeitig eine Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten, kann schon herausfordernd sein. Für Rosen „gibt es zu wenig evidenzbasierte Untersuchungen, die Paaren dabei zu helfen versuchen, Veränderungen ihres sexuellen Wohlbefindens nach der Geburt eines Kindes zu verhindern oder zu bewältigen“.

Während der 2-jährigen Studie gab eine wachsende Zahl der Teilnehmerinnen an, im Laufe der Zeit seltener Sex zu haben. Der Prozentsatz der Frauen, die in den letzten 4 Wochen sexuell aktiv waren, lag zu Beginn der Studie (20. bis 24. Schwangerschaftswoche) bei 99%, nach 32 Schwangerschaftswochen bei 83,5%, 3 Monate nach der Geburt bei 73,9% und 2 Jahre nach der Geburt bei 69,6%.

„Die Sexualität ist ein wichtiger Weg für Paare, ihre Beziehung aufrechtzuerhalten“, so Rosen. „Leider erleben die meisten frischgebackenen Eltern erhebliche Störungen ihrer sexuellen Funktionen“, wie etwa ein geringeres sexuelles Verlangen oder vermehrte Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

Rosens Gruppe hat eine Reihe von comicartigen Videos zu diesem Thema in englischer und französischer Sprache erstellt (#PostBabyHankyPanky, etwa: Techtelmechtel nach der Geburt). Sie sollen dabei helfen, die Kommunikation über Sex nach der Geburt zu erleichtern. Zudem werden darin Frauen ermutigt, sich bei einer Dyspareunie um ärztliche Hilfe zu bemühen, da Behandlungen wie die kognitive Verhaltenstherapie, eine Beckenbodentherapie und auch topische Medikamente dabei helfen können, die Schmerzen zu lindern.

Beruhigende Daten

Dr. Veronica Gillispie-Bell, Leiterin der Qualitätsabteilung für Frauendienste am Ochsner Health System in New Orleans, sagte, dass sie häufig Patientinnen mit postpartalen Schmerzen beim Sex sehe.

Die Frauen werden in der Regel angewiesen, bis zu 6 Wochen nach der Entbindung eine „Beckenruhe“ einzuhalten. Für die Zeit ab dann empfiehlt sie den Frauen, auf die Verwendung von reichlich Gleitmittel zu achten, weil eine Scheidentrockenheit infolge der hormonellen Umstellungen während der Schwangerschaft und durch das Stillen den Koitus schmerzhafter machen kann – und zwar unabhängig von der Art der Entbindung. Vielen Patientinnen empfiehlt sie zudem eine Physiotherapie für den Beckenboden.

Gillispie-Bell ist auch medizinische Leiterin der Louisiana Perinatal Quality Collaborative. Dabei handelt sich um ein Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten, Gesundheitsbehörden und Interessenvertretungen, das die Entwicklungen für Gebärende, Familien und Neugeborene verbessern will. Sie bemüht sich dabei nicht zuletzt um eine Senkung der Kaiserschnittrate in diesem Bundesstaat. Die BJOG-Studie, die ein erhöhtes Risiko für eine Dyspareunie nach einem Kaiserschnitt zeigt, erinnert daran, dass es „langfristige Auswirkungen einer Sectio geben kann, die vielleicht weniger offensichtlich sind“, sagte sie. „Der Kaiserschnitt kann ein lebensrettender Eingriff sein, ist aber auch nicht ohne Risiko“, sagte sie.

 
Der Kaiserschnitt kann ein lebensrettender Eingriff sein, ist aber auch nicht ohne Risiko. Dr. Veronica Gillispie-Bell
 

Den Partner nicht vergessen

Dr. Leila Frodsham, Sprecherin des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists, erklärte gegenüber Medscape, es sei „beruhigend“, dass es „zu keinem Zeitpunkt nach der Geburt einen Unterschied zwischen der Entbindung per Kaiserschnitt und einer vaginalen Geburt gibt, was die Freude am Sex und die Häufigkeit der sexuellen Aktivitäten angeht“.

„Die Frauen sollten in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung über die Art ihrer Entbindung zu treffen, und es ist wichtig, dass das medizinische Personal ihre Präferenzen respektiert“, fügte Frodsham hinzu.

Ärztinnen und Ärzte sollten sich auch darüber im Klaren sein, dass Schmerzen beim Sex auch in der Zeit der Subfertilität, in der Perimenopause und bei der Wiederaufnahme sexueller Aktivitäten häufig sind. Schmerzen bei sexueller Aktivität würden von einer Kombination aus biologischen, psychischen und sozialen Faktoren beeinflusst, und nicht zuletzt müsse auch die zwischenmenschliche Komponente berücksichtigt werden, so Rosen.

„Schmerzen beim Sex treten in der Regel im Rahmen einer partnerschaftlichen Beziehung auf“, so Rosen. „Das bedeutet auch, dass es sich hierbei um eine zwischenmenschliche Angelegenheit handelt. Wir dürfen den Partner nicht vergessen, der sowohl von den Schmerzen betroffen ist als auch diese durch seine eigenen Reaktionen beeinflussen kann.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus  www.medscape.com  übersetzt und adaptiert.

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