MEINUNG

Von der Kunst, schlechte Nachrichten zu überbringen – aber auch positive

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

5. Oktober 2022

Jede Ärztin, jeder Arzt muss Patienten gelegentlich schlechte Nachrichten überbringen. Doch wie geht das am besten? Prof. Dr. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Zentrum für onkologische Chirurgie, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Er hat ein Sachbuch dazu geschrieben („Von der Kunst, schlechte Nachrichten zu überbringen“) und unlängst eine große Studie („How to breaking bad news“) unter Ärzten und Medizinstudierenden durchgeführt.

Prof. Dr. Jalid Sehouli
Quelle: Privat

Medscape: Zum Thema „schlechte Nachrichten überbringen“ haben Sie 1.300 Ärzte und Medizinstudenten befragt. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse aus Ihrer Studie?

Sehouli: Der Großteil der Befragten gab an, Schwierigkeiten mit dem Thema „Übermittlung von schlechten Nachrichten“ zu haben, weil sie in der Regel keine Techniken erlernt haben – und sie auch keine strukturierte Fort- und Weiterbildung zu diesem Thema haben. Dass sie aber grundsätzlich bereit wären, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es wurde auch deutlich, dass die Befragten Angst vor dieser Übermittlung von schlechten Nachrichten haben.

Medscape: In Ihrer Studie gaben von den befragten Ärzten nur 31,2% an, angemessene Kommunikationsfähigkeiten erlernt zu haben. Hat Sie das überrascht?

Sehouli: Erst einmal finde ich es toll, dass die Befragten so ehrlich sind. Ich denke, dass der Anteil in Wahrheit eher kleiner ist. Doch um das zu festzustellen, bedarf es Selbstreflektion, die ja nicht Teil der medizinischen Ausbildung ist – weder im Studium noch in den Weiterbildungscurricula.

Diese Ehrlichkeit hat mich ermutigt zu sagen: „Okay, wenn jemand ein Problem artikuliert, dann ist das auch eine gute Grundlage, um daran weiterzuarbeiten.“ Hätten alle Befragten gesagt: „Wir haben keine Probleme damit“ – dann sähe die Sache anders aus, dann kommt man an diese Menschen nicht ran. Ich verstehe dieses Eingeständnis als Hilfeschrei, als sehr lauten Hilfeschrei.

Medscape: Sie sagen, die Aufteilung „Wir haben einen Überbringer einer schlechten Nachricht, und wir haben einen Empfänger“ ist zu einfach. Inwiefern?

Sehouli: Von dieser Stereotypisierung muss man sich lösen. Denn sobald jemand eine schwierige oder schlechte Nachricht übermittelt, ist er selbst gleichzeitig Empfänger. Und der, der die schlechte Nachricht erhält, ist auch Überbringer, denn derjenige oder diejenige muss das ja seinem/ihrem Partner oder den Kindern erzählen.

Das heißt, diese Rollenwechsel sind dynamisch, sie sind immer bi-direktional und immer gleichzeitig. Das muss man sich erst mal klar machen.

Medscape: Welchen Stellenwert nimmt eine gelingende Kommunikation für die Zufriedenheit von Arzt und Patient ein?

Sehouli: Aus der Sicht des Gesundheitswesens geht es zum einen um die Patientinnen und Patienten als Empfänger, dabei spielt Zufriedenheit eine große Rolle. Es geht aber auch um Patientensicherheit: Wenn jemand besser kommuniziert mit dem Patienten, dann hat dieser Patient – wenn Komplikationen auftreten – weniger Probleme damit umzugehen, weil er darauf vorbereitet ist.

 
Ich denke, dass wir bei funktionierender Kommunikation und daraus resultierenden gestärkten Beziehungen deutlich weniger Burnouts haben würden. Prof. Dr. Jalid Sehouli
 

Der zweite Aspekt ist, dass ein Arzt oder eine Ärztin ein gutes Gespräch als sinnstiftend und die Beziehung stärkend erlebt. Wir sind soziale Individuen, die durch die Interaktion leben. Das heißt, ich gehe davon aus – und das habe ich auch erlebt in meinem Team –, dass Ärztinnen und Ärzte, die in ihrer Kommunikation große Probleme haben, in einem Bereich, in dem es viele Probleme gibt, nicht lange durchhalten. Ich denke, dass wir bei funktionierender Kommunikation und daraus resultierenden gestärkten Beziehungen deutlich weniger Burnouts haben würden.

Medscape: Gute Kommunikationsfähigkeiten sollten also zum Standard gehören?

Sehouli: Das ist eine Frage, die wir uns in der Gesellschaft stellen müssen. Ich bin der Meinung, dass Kommunikation zum Standard gehören sollte. Einmal wegen des Selbstschutzes, um die Professionalisierung zu erhalten, ohne an Empathie zu verlieren. Auf der anderen Seite natürlich auch, weil Patienten gerne gesehen und gehört werden wollen. Das ist Teil der Beziehung – und das ist das Rückgrat jeder diagnostischen und therapeutischen Intervention. Ich denke, solche Veränderungen sind möglich.

Die Frage ist, wie wir dies schaffen. Man kann heute Medizin studieren, kann Arzt werden, ohne jemals einen Kurs zu Kommunikation gemacht zu haben. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern weltweit.

Medscape: Woran liegt es denn, dass Kommunikation keinen größeren Raum einnimmt? Zeitmangel?

Sehouli: Ja, es ist ein Zeitproblem. Aber auch das Bewusstsein, dass dies extrem wichtig ist, ist nicht bei allen vorhanden. Würde ich ein Seminar zu einer neuen chirurgischen Technik machen, dann läuft das vor Teilnehmern über. Ein Kurs hingegen, in dem es darum geht, wie man redet, ist ein Kurs, zu dem Sie die Leute mit viel Kraft motivieren müssen. Weil jeder denkt: „Das kann ich doch, warum sollte ich dahin, ich muss ja nicht.“

Wenn ich in die Selbstreflexion gehe, egal wie systematisch diese ist, kann das erst mal destabilisieren. Denn es kann herauskommen: Du kommunizierst gar nicht so gut, wie Du dachtest. Und wenn Sie dann kein Instrument haben, das zu verbessern, dann fangen Sie lieber an, das zu vermeiden und sich durch schwierige Situationen durchzumogeln.

Kommunikation ist so ein Thema wie Tod oder Sexualität, wo wir immer hören: redet keiner drüber. Ist ja klar, dass keiner drüber redet. Das ist relativ einfach: Weil es sich nicht delegieren lässt, und weil es keine Struktur dafür gibt. Wenn Sie einen Sexualtherapeuten in ihrer Klinik hätten, ist es leicht, das Thema anzusprechen. Wenn Sie aber selbst darüber reden müssen, ohne zu wissen, wie Sie auf Fragen antworten können, dann werden Sie das eher nicht ansprechen. Und so ist das mit der Kommunikation von schlechten Nachrichten eben auch.

Medscape: Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit dem Thema „Bad News“. Nun ist das ja ein Thema, das man nicht unbedingt sucht. Gab es für Sie einen konkreten Anlass, sich damit auseinanderzusetzen?

Sehouli: Ich habe als junger Arzt bei den schweren Krebsoperationen assistiert – das ist die sogenannte zweite Assistenz, da hält man im Wesentlichen die Haken, man macht weder einen Faden noch eine Naht. So habe ich gesehen, dass Komplikationen auftreten können. Ich habe aber auch gesehen, dass die Kollegen dann häufig nicht zu den Patienten gegangen sind und große Schwierigkeiten hatten, mit den Patienten zu kommunizieren.

Und da habe ich gedacht: Zu einem guten Chirurgen gehört für mich, dass ich kommunizieren kann. Also habe ich damals als junger Arzt den ersten Kurs hier in der Frauenheilkunde organisiert zum Thema „Breaking Bad News“. Ich hatte von ersten Ansätzen zu diesem Thema in England gehört. Ich dachte, das sollten wir auch hier in der Charité etablieren.

Aus den Kursen heraus ist das Sachbuch entstanden. Beim Recherchieren und Schreiben dazu ist mir aufgefallen, dass es wenig praktische Ratgeber gibt und auch kaum Wissenschaft dazu. So war für mich klar, dass die Evidenz dazu verbessert werden muss und ich habe 2 Projekte gestartet: zum einen diese Umfrage unter Ärzten und Medizinstudenten und zum anderen eine Studie mit Patienten, die demnächst starten wird.

Medscape: Ihre Umfrage unter Patienten – wie soll die aussehen?

Sehouli: Mein Ziel ist, 1.000 Patientinnen zu interviewen. Die finalen Vorbereitungen für die Umfrage laufen. Die Rahmenbedingungen dazu liefern die schlechten Nachrichten, die die Patientinnen erhalten haben. Wir wollen wissen, wie sie damit umgegangen sind, was sie sich wünschen und wie sie – aus ihrer Sicht – besser darauf vorbereitet werden könnten.

Und ich habe eine Art Checkliste entwickelt für Patientinnen. Ich würde diese Checkliste gerne von den Patientinnen kommentiert haben – ob das ein hilfreicher Weg ist, so eine Checkliste mitzunehmen. Wären Patientinnen dazu bereit, sich zum Thema Kommunikation weiterzubilden, an einer Patienten-Akademie? Die Studie wird in Kürze an der Charité starten, aber deutschlandweit laufen.

Medscape: Wie kann man sich als Arzt auf ein „Bad News“-Gespräch vorbereiten?

Sehouli: Man sollte sich fragen: Bin ich vorbereitet? Kann ich das überhaupt? Wie viel Zeit habe ich? Was sind die Grundzüge des Gesprächs? Es ist wichtig, dass ich mich explizit darauf vorbereite.

 
Es ist wichtig, dass ich mich explizit auf das Gespräch vorbereite. Prof. Dr. Jalid Sehouli
 

Viele Ärzte gehen in ein solches Gespräch ohne Vorbereitung. Ohne zu wissen, wer die Patientin ist, wie die Patientin im sozio-kulturellen Kontext aufgefangen ist, wie viel die Patientin wissen kann. Es ist ein Unterschied, ob die Patientin auf die Situation vorbereitet ist oder ob die Patientin nach einer Untersuchung nur hören wollte, dass alles in Ordnung ist – und ich ihr mitteilen muss, dass sie Lebermetastasen hat.

Ich vergleiche dieses „sich vorbereiten“, dieses „sich bewusst machen“ mit einem Stabhochspringer, der vor dem Absprung die Einzelheiten des Sprungs im Kopf durchgeht. Das ist der erste Schritt.

Zweitens: Wichtig ist, wie ich im Gespräch auf den Menschen reagiere, dass ich alle Emotionen dieses Menschen beobachte und natürlich respektiere – außer dieser Mensch wird gewalttätig.

 
Außerdem ist wichtig, in dem Gespräch mehr zu schweigen und zuzuhören als zu reden. Prof. Dr. Jalid Sehouli
 

Drittens: Außerdem ist wichtig, in dem Gespräch mehr zu schweigen und zuzuhören als zu reden. Und dann zu versuchen, das Gehörte zu übersetzen und das Gegenüber zu fragen: Was bedeutet das für Sie, wie könnte der nächste Schritt aussehen?

Wichtig ist auch, im Anschluss an das Gespräch ein Debriefing mit mir selbst zu machen, um mich auf das nächste Gespräch vorbereiten zu können. Das ist eine Art Algorithmus.

Medscape: Seit wann werden Medizinstudierende auch in Kommunikation geschult?

Sehouli: Seit rund 10 Jahren wird es besser. Es gibt Sprachkurse, es gibt sogar Simulations-Patienten, die werden an vielen Universitäten eingesetzt und simulieren in sehr guter Qualität Krankheiten. Diese sind dann auch in der Lage, dem Studierenden Feedback zu geben. Dieses Konzept fasst mehr und mehr Fuß in den Universitäten, das ist schon besser geworden. Aber es reicht eben nicht.

Ich bin der Meinung, dass man wirklich nur lernen kann, indem man fein justiert und Verantwortung übernimmt. Das heißt, wenn man über Kommunikation redet, aber keine Verantwortung für Fehler oder für therapeutische Entscheidungen trägt, dann ist das Lernen weniger stark und nachhaltig, als wenn man diese Verantwortung tragen muss.

 
Wenn man über Kommunikation redet, aber keine Verantwortung für Fehler oder für therapeutische Entscheidungen trägt, dann ist das Lernen weniger stark und nachhaltig, Prof. Dr. Jalid Sehouli
 

Ich finde es wichtig, dass das Thema im Studium angekommen ist, aber es müsste in der Weiterbildung kontinuierlich weitergeführt werden.

Medscape: Denken Sie, dass es der jungen Generation an Medizinern leichter fallen wird, schlechte Nachrichten zu kommunizieren?

Sehouli: Zu glauben, dass die junge Generation das Problem nicht mehr hat, ist falsch. Im Gegenteil: Ich denke, dass die junge Generation noch mehr Herausforderungen in der Kommunikation zu bewältigen hat, weil sie nicht genug auf die analoge und digitale Kommunikation vorbereitet wird. Ich fürchte, dass sich die Kommunikation daher eher noch verschlechtern wird. Weil wir die analogen und digitalen Kommunikationsstrategien nicht neu überdenken.

Ein erster wichtiger Schritt wären Diskussionen. Beispielsweise darüber: Wie diskutiere ich denn mit einer Patientin per E-Mail? Wie diskutiere ich mit einer Patientin über eine App? Wie halte ich eine gute Videosprechstunde ab? Wie baue ich – in Anbetracht der Nutzung digitaler Medien – überhaupt mein Beziehungskonzept zum Patienten auf?

Auch dazu planen wir eine Studie: zum Umgang mit digitalen Medien und zum Einfluss digitaler Medien auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. Das ist eine Studie, die hier in wenigen Wochen starten wird.

Medscape: Wenn es um das Erlernen des Überbringens von schlechten Nachrichten geht – was halten Sie von Mentor-Systemen?

Sehouli: Ja, dies wäre grundsätzlich immer möglich, denn wir lernen am besten an Vorbildern. Ein Mentoren-Konzept fände ich sehr gut, das müsste aber ein Mentor sein, der Hierarchie-übergreifend ist, und es müsste am besten ein Mentor von außerhalb der eigenen Station sein, sonst kommt es zu Konflikten. Infrage käme ein Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung, einer anderen Disziplin oder ein Mentor aus einem anderen Haus.

 
Ein Mentoren-Konzept sollte ein Qualitätsmerkmal sein. Prof. Dr. Jalid Sehouli
 

Dass das nicht gemacht wird, ist eine Frage von Zeit und Geld, denn das muss bezahlt werden. Ein Mentoren-Programm ist Arbeit, muss strukturiert sein, dafür müsste es entsprechende Ressourcen geben, die infrage kommenden Mitarbeiter müssten dafür freigestellt werden. Man müsste weg von „Nice to have“ hin zum Qualitätsmerkmal. Ein Mentoren-Konzept sollte ein Qualitätsmerkmal sein.

Medscape: Wir haben bislang nur über schlechte Nachrichten gesprochen, Sie haben aber auch eine Checkliste entwickelt, wie man gute Nachrichten überbringt. Wie sieht die aus?

Sehouli: Das sind die 5 goldenen Regeln.

  • Regel 1: Investieren Sie Zeit in die Vorbereitung und erhöhen Sie Ihre Achtsamkeit für gute Nachrichten (z.B. Normalbefunde, fehlende Zeichen eines Rezidivs, Beschwerdebesserung).

  • Regel 2: Kündigen Sie die positive Information oder Botschaft an.

  • Regel 3: Lassen Sie Ihrem Gegenüber nach der Kernbotschaft Zeit, diese anzunehmen. Nutzen Sie die Pause, Ihre eigenen und die Emotionen des Patienten wahrzunehmen.

  • Regel 4: Besprechen Sie praktisch Handhabbares und die Konsequenzen der guten Botschaft.

  • Regel 5: Nutzen Sie die Möglichkeit für sich und den Patienten, die gute Nachricht festzuhalten (z.B. Führen eines Tagesbuchs und/oder „feiern“) und sprechen Sie darüber, auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen und ihrem sozialen Umfeld (wenn Sie es wollen).

Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der Link zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....