Wie gehen Hausarztpatienten in Deutschland mit rezeptfreien Arzneimitteln um? Die Beratung durch den Hausarzt bzw. Apotheker oder ein Blick in die Packungsbeilage scheinen offenbar nicht für alle selbstverständlich zu sein. Das ergab eine „Wartezimmerbefragung“ vom Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Universitätsmedizin Mainz. Neben der Beratung durch Apotheker spiele vor allem der Hausarzt eine zentrale Rolle, so die Wissenschaftler [1].
Befragung von 300 Patienten in 20 hausärztlichen Praxen
Sowohl in Deutschland als auch in anderen westlichen Ländern haben rezeptfreie Medikamente einen hohen Stellenwert. Das gilt auch für die hausärztliche Versorgung. Entsprechend ist der Konsum dieser Over-the-counter-Arzneimitteln (OTC) seit Jahren angestiegen.
Um sich ein Bild darüber zu machen, welche Einstellung Menschen zu OTC-Medikamenten haben und wie sie die freiverkäuflichen Präparate nutzen, haben Dr. Julian Wangler von der Universitätsmedizin Mainz und ein Kollege 300 Patienten in 20 hausärztlichen Praxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland befragt. Der anonymisierte Fragebogen beinhaltete Aspekte zum Einkaufs- und Konsumverhalten von rezeptfreien Arzneimitteln, zum Informationsverhalten sowie zur Internetnutzung.
Mehr Frauen als Männer kaufen OTC-Präparate
63% der Befragten gaben an, rezeptfreie Medikamente häufig oder gelegentlich zu konsumieren, während 37% OTC-Präparate selten einnahmen. Arzneimittel wurden am häufigsten in der Apotheke vor Ort gekauft und nur gelegentlich über das Internet, berichten die Wissenschaftler. Auffällig sei, dass mit 40% meist Frauen zu den OTC-Präparaten greifen. Auch Personen mit einem höheren Bildungsniveau erwerben öfter freiverkäufliche Arzneien als Menschen mit einem geringeren Bildungsstandard.
Wer rezeptfreie Medikamente konsumiert, macht dies häufig, ohne sich im Vorfeld über das Präparat zu informieren. So gaben 45% der Befragten an, vor dem Kauf bzw. der Einnahme von OTC-Präparaten keinen Rat einzuholen und sich auch sonst nicht über Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen zu informieren. Nur knapp mehr als die Hälfte (55%) ließen sich laut Befragung durch den Hausarzt und/oder den Apotheker beraten.
Erkältungsbeschwerden, grippale Symptome oder Schmerzen im Fokus der Selbstbehandlung
Nach Meinung von mehr als 80% der Befragten sind OTCs zur Behandlung von Erkältungsbeschwerden und grippalen Symptomen besonders gut geeignet, gefolgt von der Behandlung von Sonnenbränden, Insektenstichen, Verdauungsproblemen oder Kopfschmerzen.
Wie OTC-Präparate von den Käufern wahrgenommen werden, ist jedoch ambivalent. Zwar bezweifelt mehr als die Hälfte der Befragten, dass Rezeptfreiheit gleichbedeutend mit weniger Nebenwirkungen ist. Allerdings bringen die Befragten diese Medikamentengruppe oft mit Bagatellerkrankungen, mit einer niedrigen Dosierung und mit einer schwachen Wirkung in Verbindung.
Zentrale Rolle des Hausarztes
Die leichte Verfügbarkeit rezeptfreier Medikamente und ihre starke Präsenz in der Werbung könne über mögliche Nebenwirkungen hinwegtäuschen und die Anwendung verharmlosen, so die Autoren. Hier spiele neben der Beratung durch Apotheker gerade die vertrauensvolle, langjährige Begleitung durch den Hausarzt eine zentrale Rolle, lautet das Fazit der Wissenschaftler. Wichtig sei es daher, dass Hausärzte ihre Patienten regelmäßig auf deren Konsum rezeptfreier Arzneimittel ansprechen, Multimedikation bzw. Multimorbidität konsequent berücksichtigten und entsprechend passende OTC-Medikamente empfehlen.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Hoher Stellenwert von OTCs – doch viele Patienten verzichten auf die Beratung durch Arzt oder Apotheker - Medscape - 5. Okt 2022.
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