Kranke Seele macht anfällig: Psychische Belastungen vor einer Corona-Infektion können das Risiko für Long-COVID erhöhen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

30. September 2022

Wer vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 unter Depressionen, Angstzuständen, Stress oder Einsamkeit litt, trägt offenbar ein höheres Risiko infolge einer COVID-19-Infektion an Long-COVID zu erkranken. Dr. Siwen Wang, Epidemiologe an der Harvard School of Public Health und Kollegen fanden heraus, dass beispielsweise vorbestehende depressive Störungen mit einem um 32% erhöhten Risiko auf Long-COVID assoziiert sind. Die Ergebnisse ihrer prospektiven Beobachtungsstudie mit knapp 55 000 Teilnehmern wurden jetzt in JAMA Psychiatry veröffentlicht [1].

„Das ist keine ganze neue Erkenntnis, insofern überraschen mich die Ergebnisse nicht“, kommentiert Dr. Christian Gogoll, Internist und Pneumologe am Lungen-MVZ Weißensee in Berlin, die Studienergebnisse. Schon die Mitte 2021 veröffentlichte S1-Leitlinie zu Long-COVID weist daraufhin, dass somatische oder psychosomatische Beschwerden in der Anamnese bzw. eine hohe psychosoziale Belastung die Manifestation eines Long-COVID-Syndroms begünstigt, berichtet Gogoll, der auch Co-Autor der Leitlinie ist.

„Die Ergebnisse der Arbeit von Wang und Team unterstreichen allerdings noch mal die Wichtigkeit für neuro-psychologische Tests für Menschen, die an COVID-19 erkrankt waren und anhaltende Beschwerden haben“, betont Gogoll. Entsprechend machen neurologisch-psychiatrische Fragestellungen im Rahmen der interdisziplinären Begutachtung des Post-COVID-Syndroms einen wesentlichen Anteil aus.

Müdigkeit, Geruchsprobleme, Kurzatmigkeit und Brain Fog am häufigsten

Wang und Kollegen hatten im April und Mai 2020 Fragebögen an mehr als 105.000 überwiegend weibliche (96,6%) Teilnehmer der Nurses Health Study 2 und 3 sowie der Growing Up Today Study verschickt. Gefragt wurde u.a. nach psychischen Störungen und nach den Ängsten und Sorgen, die die Pandemie bei den Teilnehmerinnen auslöst. 

54.960 Teilnehmerinnen beantworteten die Fragebögen. 38% (n = 20.902) der Teilnehmerinnen waren im Gesundheitswesen tätig. Das Durchschnittsalter (SD) betrug 57,5 Jahre. 6% (3.193 Teilnehmer) meldeten ein positives SARS-CoV-2-Testergebnis.

Von den 3.193 infizierten Studienteilnehmern berichteten 1.403 auch 4 Wochen nach Infektion noch über mindestens ein Long-COVID-Symptom. Müdigkeit (56%), Geruchs- oder Geschmacksprobleme (44,6%), Kurzatmigkeit (25,5%), Brain Fog (24,5%) und Gedächtnisstörungen (21,8%) wurden als häufigste Symptome genannt. 

Beim Abgleich mit dem Fragebogen, den die Teilnehmerinnen vor der Infektion ausgefüllt hatten, stellten Wang und Team fest, dass depressive Störungen mit einem um 32% erhöhten Risiko auf Long-COVID assoziiert waren (Risk Ratio: 1,32; 95%-Konfidenzintervall: 1,12–1,55). Auch Angststörungen (RR: 1,42; 1,23–1,65), Sorge um COVID-19 (RR: 1,37; 1,17–1,61), erhöhter Stress (RR 1,46) und Einsamkeit (RR: 1,32) waren mit Long-COVID assoziiert.

Dabei zeigte sich, dass das Ausmaß der psychischen Störungen vor Infektion einen Einfluss auf das Long-COVID-Risiko hatte. Es gab sogar eine Art Dosis-Wirkungsbeziehung: Personen mit 2 oder mehr Disstress-Symptomen wiesen ein um fast 50% erhöhtes Risiko (RR: 1,49; 1,23–1,80) für Long-COVID auf als Personen mit nur einem Disstress-Symptom (RR: 1,28; 1,06–1,54). 783 der 1.403 Personen klagten über eine Beeinträchtigung des täglichen Lebens, die durch alle Arten von Stress verstärkt wurde.

„Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass psychische Belastungen vor der Infektion ein Risikofaktor für Post-COVID bei Personen mit SARS-CoV-2-Infektion sein können. Zukünftige Arbeiten sollten den biobehavioralen Mechanismus untersuchen, der psychische Belastung mit anhaltenden Postinfektionssymptomen verbindet“, schreiben die Studienautoren.

 
Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass psychische Belastungen vor der Infektion ein Risikofaktor für Post-COVID bei Personen mit SARS-CoV-2-Infektion sein können. Wang und Kollegen
 

Bis zu 15 Prozent der Corona-Patienten entwickeln Long-COVID 

Vor Kurzem hat die WHO darauf hingewiesen, dass mindestens 17 Millionen Menschen in der Europäischen Region in den ersten beiden Jahren der Pandemie an Long-COVID litten. „Millionen müssen möglicherweise noch jahrelang damit leben“, schreibt das WHO-Regionalbüro für Europa und fordert die Länder auf, Long-COVID ernst zu nehmen und „dringend in Forschung, Genesung und Rehabilitation zu investieren“. 

Die Pathogenese von Long-COVID/Post-COVID ist noch nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und nicht bei allen Patienten gleich. In der S1-Leitlinie werden persistierende Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen als Krankheitstrigger sowie eine chronische (Hyper-)inflammation und Autoimmunphänomene als mögliche Mechanismen genannt. Auch eine nachgewiesene post-virale Koagulopathie wird ursächlich für die Beschwerden in Betracht gezogen.

„Die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Gesundheitsstörung nach einer SARS-CoV-2-Infektion scheint gegenüber anderen Akuterkrankungen aus bisher nicht näher bekannten Gründen erhöht zu sein“, heißt es in der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung des Post-COVID-Syndroms.

Zwar finden sich erwartungsgemäß bei intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten infolge der lebensbedrohlichen Erkrankung gehäuft posttraumatische Belastungsstörungen. Darüber hinaus besteht jedoch generell keine nachvollziehbare Korrelation zur Schwere der Akutphase.

Wie häufig ist Post-COVID?

Die Häufigkeit von Post-COVID variiert je nach untersuchter Patientenpopulation und den verwandten diagnostischen Instrumenten. In Untersuchungen, in denen Patienten selbst ihre Symptome angeben, wird die Häufigkeit von Post-COVID höher eingeschätzt. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) geht davon aus, dass 10 bis 15% der Patienten, die an COVID-19 erkranken, infolge Long-COVID entwickeln.

 
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) geht davon aus, dass 10 bis 15% der Patienten, die an COVID-19 erkranken, infolge Long-COVID entwickeln. DPG
 

„Man muss aber bedenken, dass viele sich im Verlauf bessern und einige auch nur milde Beschwerden haben. Es ist nicht so, dass all diese Patienten schwer krank sind“, erklärt Gogoll. 6% der Menschen suchen nach akuter SARS-CoV-2-Infektion hausärztliche oder fachärztliche Betreuung auf, so die Größenordnung, die die S1-Leitlinie dazu angibt.

Wang warnt davor, Long-COVID als psychosomatische Erkrankung zu interpretieren. Abgesehen davon, dass mehr als 40% der Patienten bei der ersten Befragung keine psychischen Belastungen angegeben hatten, würden sich die Long-COVID-Symptome auch deutlich von psychischen Krankheitssymptomen unterscheiden.

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