Stockholm – Die Zahl der weltweit an Typ-1-Diabetes erkrankten Menschen wird sich bis zum Jahr 2040 voraussichtlich verdoppeln. Die meisten neuen Fälle unter Erwachsenen werden dabei in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen auftreten, wie eine neue Datenmodellierung zeigt. Sie von Dr. Gabriel A. Gregory vom Life for a Child Program im australischen New South Wales und seinem Team in Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht [1]. Die Datenbank des T1D-Index-Project wurde am 21. September 2022 zugänglich gemacht.
Die Vorhersage basiert auf den Daten des neu eingerichteten „Typ-1-Diabetes-Index“ und enthält Schätzungen aus dem Jahr 2021 zur Prävalenz des Typ-1-Diabetes, zur Inzidenz, der damit verbundenen Sterblichkeit und der Lebenserwartung für 201 Länder.
Das Modell prognostiziert auch die Prävalenz für den Diabetes im Jahr 2040. Es ist der erste Datensatz zum Typ-1-Diabetes, der die fehlende Prävalenz aufgrund einer vorzeitigen Sterblichkeit insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen berücksichtigt.
„Die weltweite Prävalenz des Typ-1-Diabetes ist beträchtlich und steigt weiter an. Eine verbesserte Überwachung besonders der Erwachsenen, die den größten Teil der mit Typ-1-Diabetes lebenden Bevölkerung ausmacht, ist unerlässlich, um die Versorgung und das Outcome zu verbessern. Durch eine Erhöhung des Versorgungsstandards lassen sich in den kommenden Dekaden Millionen Menschenleben retten. Dazu gehören etwa die Sicherstellung des allgemeinen Zugangs zu Insulin und zu anderen wichtigen Hilfsmitteln sowie eine Schärfung des Bewusstseins für die Beschwerden und Symptome eines Typ-1-Diabetes, um in allen Ländern eine 100-prozentige Diagnosequote anzustreben und auch zu erreichen“, schreiben die Autoren.
„Die vorliegende Arbeit verdeutlicht die Notwendigkeit der frühzeitigen Diagnose eines Typ-1-Diabetes und seiner zeitnahen, hochwertigen Versorgung“, sagte Dr. Chantal Mathieu, Senior-Vizepräsidentin der EASD und Endokrinologin an der belgischen KU Leuven, auf dem Jahreskongress 2022 der European Association for the Study of Diabetes (EASD) [2].
Eines von 5 Typ-1-Todesopfern unter 25 Jahre
Dem Modell der Forscher zufolge lebten weltweit im Jahr 2021 etwa 8,4 Millionen Menschen mit einem Typ-1-Diabetes, davon rund 20% in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Weitere 3,7 Millionen Menschen starben vorzeitig und wären im Überlebensfall zu dieser Zahl hinzugekommen. Schätzungen zufolge dürfte jeder 5. durch Typ-1-Diabetes verursachte Todesfall im Jahr 2021 Personen unter 25 Jahren betroffen haben, weil die Krankheit nicht diagnostiziert wurde.
„Es ist inakzeptabel, dass im Jahr 2022 weltweit etwa 35.000 Menschen innerhalb eines Jahres nach dem Auftreten der ersten Symptome ohne Diagnose sterben. Auch bei der Lebenserwartung von Menschen mit Typ-1-Diabetes gibt es nach wie vor große Unterschiede, von denen die Menschen in den ärmsten Ländern natürlich am stärksten betroffen sind“, so Mathieu.
Das Modell sagt voraus, dass bis 2040 zwischen 13,5 Millionen und 17,4 Millionen Menschen mit dieser Krankheit leben werden, wobei der größte relative Anstieg ab 2021 in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verzeichnen sein werde. Die meisten Fälle von Typ-1-Diabetes treten bei Erwachsenen auf, wobei schätzungsweise 62% der 510.000 Neudiagnosen im Jahr 2021 weltweit Personen ab 20 Jahren betrafen.
Typ-1-Diabetes nicht primär Erkrankung des Kindesalters
Mathieu wies noch einmal darauf hin, dass die Daten die lange Zeit vorherrschende Meinung widerlegen, dass der Typ-1-Diabetes eine vorwiegend pädiatrische Erkrankung sei. In der Tat liegt das Durchschnittsalter von Menschen mit einem Typ-1-Diabetes weltweit bei 37 Jahren.
Während der Typ-1-Diabetes oft als „Kinderdiabetes“ bezeichnet wird, zeigt diese wichtige Studie, dass nur etwa 20% der Betroffenen unter 20 Jahre alt ist; rund 2/3 sind zwischen 20 und 64 und ein knappes weiteres Fünftel ist zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Erkrankung über 65.
„Diese Krankheit hört nicht mit 18 Jahren auf. Die Kinder werden erwachsen, und die Erwachsenen werden älter. Die Gesundheitsbehörden der Länder müssen ihre Diagnose- und Behandlungswege für Menschen aller Altersgruppen, die mit Typ-1-Diabetes leben, überprüfen und verbessern“, betonte Mathieu.
In einem begleitenden Editorial weisen Dr. Serena Jingchuan Guo und Dr. Hui Shao darauf hin, dass sich die meisten Studien zu den kommenden globalen Belastungen durch den Diabetes auf den Typ 2 konzentriert haben. Jetzt sieht man sich zusätzlich mit den Herausforderungen von Fehldiagnosen, Unterdiagnosen, einem hohen Komplikationsrisiko und verfrühten Todesfällen im Rahmen des Typ 1 konfrontiert.
Die Erschwinglichkeit von Insulin ist dabei ein zentrales Thema, betonen Guo und Shao vom Center for Drug Evaluation and Safety im Fachbereich Pharmakologie der University of Florida in Gainesville/USA.
„Die Länder müssen die Preise und die Erstattungspolitik für Insulin stärker regulieren und gleichzeitig Subventionsprogramme aufbauen, um die steigende Nachfrage nach Insulin zu bewältigen und den Zugang dazu sicherzustellen. Eine Optimierung der Insulin-Lieferkette zwischen Herstellern und Patient*innen sowie Erfolge bei der Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten, z.B. durch Biosimilars, werden ebenfalls dabei helfen, die gegenwärtige Situation zu verbessern“, so die Schlussfolgerung.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Piotr Adamowicz
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Kein Kinderdiabetes: Die meisten neuen Fälle von Typ-1-Diabetes zukünftig bei Erwachsenen - Medscape - 30. Sep 2022.
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