Die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft könnte zu psychologischen Verhaltensauffälligkeiten bei Kleinkindern führen. In einer US-Studie zeigten 3-Jährige, die in utero gegenüber Paracetamol exponiert waren, mehr Schlaf- sowie Aufmerksamkeitsprobleme, wie eine Forschungsgruppe im Fachjournal Plos One berichtet [1].
„Da Paracetamol ein in der Schwangerschaft häufig eingenommenes Schmerzmittel ist, sind diese Ergebnisse von Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und legen nahe, beim Einsatz von Paracetamol-haltigen Präparaten in der Schwangerschaft Vorsicht walten zu lassen“, schreiben Erstautorin Dr. Kristin K. Sznajder vom Department of Public Health Sciences des Pennsylvania State University College of Medicine, Hershey, USA, und ihre Kollegen.
Studiendesign nicht auf Erfassung von Risiken durch Paracetamol ausgelegt
Auch Experten für Reproduktionstoxikologie rufen zur Vorsicht auf, allerdings bei der Interpretation der Studie: „Die Daten der vorliegenden Studie stammen aus der First Baby Study (FBS), einer Längsschnitt-Kohortenstudie, die Erstgebärende in Pennsylvania rekrutierte. Das primäre Ziel der FBS war es, den Zusammenhang zwischen Entbindungsart und nachfolgenden Geburten zu untersuchen. Das Studiendesign war also gar nicht für die Erfassung der Auswirkungen von Paracetamol auf die Nachkommen angelegt“, sagt Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitätsfrauenklinik Ulm.
Die Gruppe um Sznajder untersuchte insgesamt 2.422 Mutter-Kind-Paare. Die Frauen machten in der 35. Schwangerschaftswoche Angaben zur Medikamenteneinnahme und füllten ein pränatales Stressprotokoll aus. 41,7% der Frauen gaben an, während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen zu haben. Als die Kinder 3 Jahre alt waren, füllten die Eltern einen Fragebogen zu deren Verhalten aus (Child Behavior Checklist).
Untersuchung von 7 Problembereichen
Der Fragebogen erfasst 7 Problembereiche, darunter beispielsweise die emotionale Reaktivität, körperliche Beschwerden, Aufmerksamkeitsprobleme, aggressives Verhalten sowie Schlafprobleme. Sznajder und ihre Kollegen berichten, dass Kinder, die in utero Paracetamol ausgesetzt gewesen waren, in 3 der 7 Problembereiche signifikant schlechter abschnitten: Rückzugsverhalten, Schlafprobleme und Aufmerksamkeitsprobleme.
Die Scores in allen 7 Problembereichen seien signifikant mit pränatalem Stress assoziiert gewesen, betonen die Autoren. Nach einer Anpassung der Ergebnisse um pränatalen Stress und andere potenzielle Störvariablen blieben 2 Problembereiche bei den in utero gegenüber Paracetamol exponierten Kleinkindern auffällig: Schlafprobleme (angepasste Odds Ratio [aOR] 1,23; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,01-1,51) und Aufmerksamkeitsprobleme (aOR 1,21; 95-%-KI 1,01–1,45).
Ergebnisse nur knapp statistisch signifikant
„Betrachtet man die Ergebnisse im Detail, bleiben nach Adjustierung für pränatalen Stress und andere Störfaktoren nur Schlafprobleme und Aufmerksamkeitsprobleme übrig“, kommentiert Paulus. „Und hier liegen die unteren Grenzen der Konfidenzintervalle mit 1,01 nur minimal über der Grenze zur Nichtsignifikanz. Damit besteht auch statistisch nur ein marginaler Zusammenhang.“ Eine kausale Verknüpfung zwischen der Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten der Kinder sei damit keinesfalls nachgewiesen, betont der Ulmer Reproduktionstoxikologe.
Dennoch seien die Befunde wichtig, sagt Dr. Ann Z. Bauer, Postdoktorandin am Zentrum für Autismusforschung und -bildung der University of Massachusetts in Lowell, USA, auf Nachfrage. „Da die Einnahme von Paracetamol so häufig ist, könnte das Medikament, auch wenn es nur für einen geringen Anstieg des individuellen Risikos verantwortlich ist, dennoch für einen großen Teil der neurologischen Probleme in der Gesamtbevölkerung verantwortlich sein“, kommentiert sie.
Paracetamol gilt in Deutschland als sicheres Schmerzmittel während der Schwangerschaft. Dennoch wird die Eignung zur Behandlung von Schwangeren immer wieder in Frage gestellt. Verschiedene Studien beschreiben erhöhte Risiken für das Auftreten von beispielsweise Asthma, Aufmerksamkeitsproblemen und Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern, deren Mütter Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen haben.
Pränataler Stress spielt eine große Rolle
Die Aussagekraft dieser Studien wird jedoch kontrovers diskutiert. So werde beispielweise nicht berücksichtigt, welche Rolle die Auslöser der Medikamenteneinnahme bei den Auffälligkeiten der Kinder spielt. Ebenso seien Faktoren wie etwa pränataler Stress oder Vorbelastungen der Eltern mit verhaltensneurologischen Auffälligkeiten häufig nicht mitberücksichtigt.
In der vorliegenden Studie wurde pränataler Stress als Störfaktor mit eingerechnet. Die Forschungsgruppe stellte fest, dass bei Frauen, die Paracetamol einnahmen, mit größerer Wahrscheinlichkeit Angstzustände oder Depressionen diagnostiziert wurden und dass sie von einem höheren Maß an Stress während der Schwangerschaft berichteten als Frauen, die kein Paracetamol einnahmen.
Es sei „eine der ersten Studien, die sich speziell mit den potenziell störenden Auswirkungen von pränatalem Stress befassen“, so Bauer. Und auch Paulus lobt: „Positiv hervorzuheben ist die Adjustierung an das Stressniveau in der Schwangerschaft.“
Ist wirklich die Paracetamol-Einnahme die entscheidende Größe?
Allerdings schließe sich daran die nächste kritische Frage an: „Bis zur Beurteilung der kindlichen Entwicklung befinden sich die Kinder in einer familiären Umgebung, die als gravierende Einflussgröße zu betrachten ist“, so Paulus. „Möglicherweise unterscheiden sich eben Mütter, die während der Schwangerschaft häufiger zu Paracetamol greifen, in ihren Verhaltensmustern während der Erziehung ihrer Kinder auch von Schwangeren, die bewusst auf die Medikamenteneinnahme verzichten.“ Der Ulmer Gynäkologe warnt deshalb vor voreiligen Schlussfolgerungen auf Basis der Studie.
Und auch Sznajder und ihre Kollegen räumen eine Reihe von Limitationen ein. Zum einen beruhen die Daten zur Einnahme auf einem einmaligen Telefoninterview in der 35. Schwangerschaftswoche. Außerdem wurden weder die Dosis und die Häufigkeit noch der Zeitpunkt der Einnahme des Schmerzmittels während der Schwangerschaft berücksichtigt. „Angesichts der unterschiedlichen Stadien der Sensibilität in der kindlichen Entwicklung wäre die Einnahmephase während der Schwangerschaft von Bedeutung“, erklärt Paulus.
Künftige Studien sollten objektive Messgrößen verwenden
Darüber hinaus wurde das Verhalten der Kinder nicht von Lehrern oder Ärzten beurteilt, sondern von den Müttern. „In einer früheren Studie wurde festgestellt, dass die Resultate je nach Beurteilendem voneinander abweichen“, so Bauer. Für künftige Studien schlägt sie vor, die Symptome und Diagnosen zu mehreren Zeitpunkten, mit mehreren psychologischen Methoden und Informationsquellen zu überprüfen. „Darüber hinaus sollten sie unvoreingenommene physiologische Messgrößen wie die Vernetzungsfähigkeit des Gehirns mittels Magnetresonanztomographie verwenden“, ergänzt sie.
Nicht auf andere Schmerzmittel ausweichen
„Paracetamol ist nach wie vor ein gut dokumentiertes, sicheres Analgetikum während der Schwangerschaft“, sagt Paulus. Bis zum Vorliegen weiterer wissenschaftlicher Daten rät er, Paracetamol in der Schwangerschaft nur kurz und moderat dosiert einzunehmen.
Keinesfalls sollte auf potentere Analgetika mit noch problematischerem Wirkungsprofil ausgewichen werden: „Die Alternativen wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR, z.B. Ibuprofen), die zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus und einer verminderten fetalen Nierendurchblutung führen, und Opioid-Analgetika, die mit postpartaler Sedierung und einem Opioid-Entzugssyndrom beim Neugeborenen verbunden sind, weisen keine entscheidenden Vorteile auf“, betont er.
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Photographer: © Maksym Velishchuk
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Diesen Artikel so zitieren: US-Forscher warnen vor kindlichen Schlaf- und Aufmerksamkeits-Problemen durch Paracetamol in der Schwangerschaft –Experten kritisieren die Studie - Medscape - 29. Sep 2022.
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